Maria und Peter. Sie baten darum, ihre echten Namen nicht zu nennen. Peter hat eine Alzheimer-Diagnose. © Marcus Schlaf
München – Peter war gerade Mitte 50, als seine Familie die ersten Veränderungen bemerkte. Er verlegte Dinge, wiederholte sich auffällig oft oder erzählte Geschichten anders, als sie tatsächlich passiert waren. „Uns ist das früh aufgefallen“, sagt seine Frau Maria (Namen geändert). Peter ging zum Hausarzt, sagte, er fühle sich oft erschöpft, vergesse immer wieder etwas. Aber sein Hausarzt habe das als Stress abgetan. Er solle mal runterfahren, ein Bierchen mit Freunden trinken, sich eine Auszeit gönnen.
Peter war sich zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, dass in seinem Gehirn etwas aus dem Gleichgewicht geraten war. Er wurde selbst erst stutzig, als während der Corona-Zeit die Online-Meetings zu einer Herausforderung für ihn, den einst eloquenten und international aktiven Unternehmensberater, wurden. Er konnte seinen Gedanken teilweise nicht stringent zu Ende formulieren, stellte Inhalte anders dar als früher, fühlte sich zunehmend überfordert. Er war nicht mehr so schnell und versiert in unterhaltsamer Kommunikation wie früher. Da dämmerte es ihm: Irgendetwas stimmt nicht. „Kollegen haben mich auf Versprecher und Gedächtnislücken angesprochen. Ich hatte selbst das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren“, erzählt er.
Doch der Weg zur gesicherten Diagnose war steinig. Aus der Not heraus, durch die Ärzte nicht ernst genommen zu werden, begann die Familie, Veränderungen und Auffälligkeiten zu dokumentieren. Erst diese Situationsbeschreibungen bewirkten, dass die Ärzte, die Peter aufsuchte, die Beschwerden nicht mehr als Burnout, Depression oder anderes abtaten, sondern er erstmals neurologisch umfangreich untersucht wurde. Seine Frau sagt frustriert: „Gerade bei jüngeren Alzheimer-Patienten fehlt es deutlich an Wissen und Sensibilität. Viele Ärzte denken bei Vergesslichkeit mit Anfang oder Mitte 50 nicht sofort an Demenz. Aber genau dann ist eine frühe Diagnose für den weiteren Verlauf der Erkrankung entscheidend.“
Zur emotionalen Belastung kam der Papierkrieg. „Mitten im Schock über die Diagnose musst du dich durch unzählige Formulare kämpfen – Therapieangebote, Krankenkasse, Rente“, sagt Maria. Besonders schwierig sei die Situation für Erkrankte unter 65. „Mein Mann ist offiziell noch im Berufsleben – aber wie soll er in seinem sehr herausfordernden Job weiterarbeiten, wenn so vieles schwieriger wird und er vieles vergisst?“
Die Kommunikation mit den Behörden beschreibt sie als „zäh, demütigend und entmutigend“. Unterstützung? „Vieles mussten wir uns mühsam selbst erkämpfen – ich kenne mich zum Glück mit dem Zugang zu Hilfesystemen ganz gut aus und kann mich für meinen Mann starkmachen. Aber wie geht es alleinstehenden Betroffenen? Die niemanden haben, der sie wertschätzend über einen sehr langen Zeitraum begleitet? Der sich für die finanziellen und rentenrechtlichen Belange der Betroffenen einsetzt? Wie schnell kann da der Job, das Einkommen und dann die Wohnung weg sein?“, fragt Maria.
In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz – zwei Drittel davon mit Alzheimer. Bis 2050, schätzen Experten, wird sich die Zahl der Demenzkranken voraussichtlich auf 2,8 bis drei Millionen erhöhen, sollten keine neuen Therapien und Medikamente gefunden werden. Die Krankheit zerstört Nervenzellen im Gehirn, langsam und unumkehrbar (siehe auch Grafik). Besonders betroffen ist das Gedächtniszentrum. Doch dabei bleibt es nicht. Je mehr Hirnregionen betroffen sind, umso mehr verschwinden oft auch Alltagsfähigkeiten wie Kochen, sich anziehen, Gespräche führen. Für Angehörige bedeutet das: permanente Wachsamkeit. Auch Maria hat ihre Arbeitszeit reduziert, um mehr für ihren Mann da sein zu können.
Viele Angehörige geraten in ein Wechselbad der Gefühle: Da ist die Liebe – aber auch die Wut über Situationen, die einem über den Kopf wachsen. Da sind Schuldgefühle – weil man manchmal ungeduldig ist oder daran denkt, die Pflege in professionelle Hände zu geben. Und da ist die Scham: Alzheimer ist noch immer ein Tabuthema. Betroffene Familien berichten oft davon, dass sich Freunde zurückziehen. Die Krankheit isoliert – nicht nur den Erkrankten, auch seine Liebsten. „Wir haben uns entschieden, offen mit dem Thema umzugehen“, sagt Peter.
Seine Partner in der Unternehmensberatung sind auch seine Freunde – da war viel Verständnis. Familie, Nachbarn und Freunde wissen Bescheid. So lassen sich beschämende Situationen vermeiden. Der heute 60-Jährige engagiert sich jetzt bei mehreren Vereinen an seinem Wohnort, und die anderen wissen, was mit ihm los ist. Dass es weder unhöflich noch unaufmerksam ist, wenn er sich an Dinge nicht erinnert oder etwas vergisst.
Wichtige Kontaktdaten
Angehörige sind keine Pflegeprofis. Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche. Es gibt Pflegestützpunkte, Selbsthilfegruppen, Pflegekurse, Kurzzeit- und Tagespflege, Beratungsstellen. Allerdings ist das Angebot in ländlichen Gegenden oft viel dünner als in Städten. Eine erste Hilfe zur Orientierung findet man unter anderem hier:
Gedächtnisambulanz ISD: Tel. 089/440 04 60 46; E-Mail: ambulanz.isd@med.uni-muenchen.de.
TUM Klinikum: Tel. 089/41 40 42 75; E-Mail: anmeldung.zks@mri.tum.de
Alzheimer Gesellschaft München e.V: Tel. 089/47 51 85; E-Mail: info@agm-online.de, Website: www.agm-online.de