Mit Klapprad und Zug durch Europa: Jon Worth. © dw
München – Zum Termin am Hauptbahnhof kommt Jon Worth mit dem Klapprad, die Satteltaschen sind dick gepackt, eine ist besonders schwer. „Da ist die Technik drin, auch eine Drohne“, erklärt er. Der gebürtige Engländer und deutsche Staatsbürger ist mit der Bahn durch Westeuropa getourt. 51 Bahnhöfe in 22 Tagen. Montpellier, Madrid, München. Seine Mission: das „Cross Channel Project“. London per Zug zu erreichen – das soll künftig normal sein.
Worth ist ein Bahnenthusiast, auf seiner Visitenkarte gibt er als Berufsbezeichnung „Independent railway commentator“ an, also unabhängiger Eisenbahn-Kommentator. Er betreibt im Internet den Blog „crossborderrail.trainsforeurope.eu“. Per Crowdfunding sammelt er Geld für seine Reisen, mit dem Ziel, pragmatische Vorschläge zur Verbesserung des Bahnverkehrs zu sammeln. 125 204 Kilometer in 842 Zügen: So viel hat er schon zurückgelegt – ohne die Kilometer des London-Projekts.
Bisher ist die britische Hauptstadt nur von drei Städten direkt per Zug zu erreichen. Der Eurostar benötigt 2:15 Stunden vom Pariser Bahnhof Gare du Nord nach London St. Pancras, er fährt auch von Brüssel und Amsterdam aus direkt durch den Eurotunnel. Und das mit Erfolg: 2024 reisten fast elf Millionen Reisende durch den Tunnel. Jon Worth will erreichen, dass das künftig von weiteren Städten aus möglich ist. Von Bordeaux, Basel und Zürich aus wäre das realistisch, sagt Worth. Aber auch deutsche Bahnhöfe hätten ein großes Potenzial, vor allem Frankfurt und Köln. Von der Rhein-Metropole aus wäre London theoretisch per Zug in vier Stunden erreichbar. Selbst München hält Jon Worth für nicht unrealistisch. „München–Straßburg–London“ ist machbar, sagt er. Es gibt eine Hochgeschwindigkeitsstrecke um Paris herum – das würde die Fahrzeit auf etwa acht Stunden eingrenzen.
Das Potenzial sei riesig, sagt Worth. Wer nach London will, nimmt heute gewöhnlich das Flugzeug. 2024 gab es laut Flughafen München über 10 400 Direktflüge von und nach den beiden Flughäfen in der britischen Hauptstadt mit rund 1,5 Millionen Passagieren. Von Frankfurt sind es weitere 1,6 Millionen Passagiere und 15 000 Starts und Landungen. Rege ist der Flugverkehr auch zwischen Köln/Bonn und London: 4800 Flüge, 650 000 Passagiere. Der Eurotunnel hingegen ist nicht ausgelastet. Neben den Eurostar-Zügen, die bisher als einzige den Tunnel befahren, gebe es Platz für weitere Betreiber, sagt Jon Worth.
Um für sein Projekt zu werben, trifft er sich auf seiner Reise mit Fachleuten von der Deutschen Bahn, der Schweizer SBB oder der französischen SNCF, spricht mit Herstellern von Zügen wie etwa dem spanischen Talgo, und schaut sich vor Ort um. Es ist nämlich kompliziert: Nach den britischen Vorgaben muss jeder Reisende kontrolliert werden, bevor er in den Zug einsteigt. Daher sind die Abfahrtsgleise der Eurostar-Züge zu hermetisch abgeschirmten Sicherheitsterminals umgebaut worden. Das benötigt Platz, den es in deutschen Bahnhöfen oft nicht gibt. Worth hat auch die Drohne im Einsatz, um herauszufinden, ob es entlegene Abstellgleise gibt, wo vielleicht ein Terminal machbar wäre. In München hält er den Starnberger Flügelbahnhof für geeignet. Allerdings sind die Bahnsteige dort nur 200 Meter lang – zu kurz für einen London-Zug. Straßburg wäre günstiger, findet Worth, das dortige Gleis 1 für ein „Channel Tunnel Terminal“ geeignet.
Die Probleme sind zahlreich
Manche Bahnhöfe scheiden von vorneherein aus. Lyon etwa. Jon Worth hat die drei Bahnhöfe Part Dieu, Perrache and St. Exupéry besucht – „all don’t work“, es geht nicht. Zu eng, kein Terminal möglich. Es gibt weitere Probleme: Die Deutsche Bahn zum Beispiel besitzt derzeit keine Züge, die die Sicherheitsbestimmungen für den Eurotunnel erfüllen würden. Eurostar-Züge wiederum dürfen nicht auf deutschen Gleisen fahren. Trassengebühren sind ein weiteres Problem: Getlink, der Betreiber des Eurotunnels, sowie das Unternehmen HS1, das Schiene und Oberleitung verantwortet, verlangen Gebühren, die Worth für „immens hoch“ hält. Für Neueinsteiger müsse es Anfangsrabatte geben, findet er.
Dann muss Jon Worth weiter: Mit dem ICE Richtung Stuttgart. Doch der ICE fällt leider aus. Worth nimmt es nicht tragisch. Er kennt die Züge in Europa und nimmt die Deutsche Bahn in Schutz. Der ICE3 neo etwa sei ein Zug der Extra-Klasse. Und: wenn einer ausfällt, heißt es in Deutschland: „Der nächste Zug kommt in Kürze.“
DIRK WALTER