Bahnbrechend: Mit 300 km/h nach Rom

von Redaktion

Beide Verbindungen führen über München. © DB

Dorothea und Helmut Setzer und Lore Tenzler (re.) würden sich über schnelle Direktverbindungen mit dem Frecciarossa nach Mailand und Rom freuen. © Cordual Wildauer

Die Executive Class: Hier gibt es kostenlos Speisen und Getränke und maximal zehn Sitze pro Wagen. © Seat61

Die Standardklasse: Die Sitze sind genauso groß wie in der nächsthöheren Premiumklasse. © seat61

Der Frecciarossa 1000 ist der Stolz der italienischen Bahn. Geht alles nach Plan, sieht man ihn bald auch in München. © P. Alliance

München – Gerlinde Deckers-Fabian hat eine Fünf-Stunden-Reise hinter sich – und ist noch lange nicht am Ziel. Die Rentnerin (76) aus Essen wartet im Münchner Hauptbahnhof auf den Zug, der sie nach Padua bringen soll. Fahrzeit: weitere sechseinhalb Stunden. Deckers-Fabian sitzt auf einem Stuhl, um sie herum Koffer, Jacken, Rucksäcke. Mühselig. Das Umsteigen nimmt sie in Kauf, sagt aber: „Mehr Direktzüge nach Italien wären toll.“

Dieser Wunsch könnte zumindest für die Reisenden ab München in Erfüllung gehen. Ab Ende 2026 will die Deutsche Bahn in Kooperation mit der österreichischen ÖBB und der italienischen Trenitalia Direktzüge nach Mailand und Rom anbieten. Der italienische Hochgeschwindigkeitszug Frecciarossa 1000 – übersetzt heißt das „roter Pfeil“ – beflügelt die Fantasie der Bahnmanager, als sie das Projekt am Hauptbahnhof vorstellen. Michael Peterson, DB-Vorstand für den Personenverkehr, spricht von einer „Ikone des Hochgeschwindigkeitsverkehrs“ und träumt von vollen Zügen. Der internationale Zugverkehr boome, bei der Verbindung Stuttgart–Paris setzten sich 90 Prozent aller Reisenden in den Zug – nicht in Auto oder Flugzeug. Warum, fragt Peterson, solle das nicht auch für den Italienverkehr gelingen.

Der italienische Chef von Trenitalia, Gianpiero Strisciuglio, rattert im Schnellzugtempo technische Details herunter, der Dolmetscher kommt kaum hinterher. 200 Meter lang ist ein Frecciarossa, 300 km/h kann er fahren, in den acht Waggons ist Platz für 462 Fahrgäste, die in vier Klassen von „Standard“ bis „Executive“ sitzen werden. „Weitgehende Geräuschdämmung“, „minimale Vibrationen“ – man versteht: Italien ist auf seinen Frecciarossa mindestens so stolz wie Deutschland auf seinen ICE. Der darf in Italien übrigens nicht fahren, weil in Bella Italia Sprinkleranlagen in Hochgeschwindigkeitszügen Vorschrift sind.

Der Anfang wird eher zaghaft sein: Je ein Zug soll ab Ende 2026 von München nach Mailand und nach Rom starten. Und je ein Zug von dort nach München. Später könnten jeweils fünf Züge je Richtung fahren. Halte werden in Innsbruck, Bozen, Trento, Rovereto, Verona (hier zweigt der Zug ab, der nonstop nach Mailand weiterfährt) sowie Bologna und Florenz sein. Rosenheim und Tiroler Bahnhöfe wie Kufstein oder Wörgl werden ausgelassen. Es zählt jede Minute. Die Fahrzeit soll rund sechseinhalb Stunden nach Mailand und achteinhalb nach Rom betragen – gut eine Stunde weniger als heute und der Umstieg in Bologna fällt weg. Sollte der Brennerbasistunnel 2032 fertig sein, soll sich die Fahrzeit noch um je eine weitere Stunde verkürzen.

Ab Dezember 2028 könnte die Strecke bis nach Berlin und nach Neapel erweitert werden – bei einer Fahrzeit von dann rund 13 Stunden für die gesamte Strecke. Umsteigefrei durch halb Europa – das ist die Vision. Exakte Abfahrtszeiten gibt es noch nicht – „morgens“ soll es nach Rom gehen, „frühnachmittags“ nach Mailand. Auch bei den Fahrpreisen schweigt sich Peterson aus.

Es gibt schon noch einige Unwägbarkeiten, die das Projekt vielleicht nicht ganz gefährden, wohl aber ins Stocken bringen könnten. Zum Beispiel ist von den neun Frecciarossa-Zügen, die für die Strecken vorgehalten werden, noch kein einziger zugelassen. Die Zugsteuerungssysteme in den drei Ländern sind grundverschieden, der Frecciarossa muss zum Beispiel durch die Hersteller Hitachi und Alstom erst mit der in Deutschland üblichen LZB (Linienförmige Zugbeeinflussung) ausgerüstet werden. Auch das Stromsystem, mal Gleich-, mal Wechselstrom und das auch noch in unterschiedlicher Spannung, ist ein Hindernis. Ist all das auf die Züge „aufgespielt“, muss der Frecciarossa in Italien noch einmal neu zugelassen werden, sagt Marco Kampp, bei der DB für „long-distance“-Verkehre zuständig. Bei der Präsentation erfährt man so was nur auf Nachfrage – oder wenn man das Kleingedruckte auf den offiziellen DB-Papieren liest: „Eine erfolgreiche und fristgerechte Fahrzeugzulassung durch Hersteller und Behörden ist Voraussetzung für einen Start der Verbindungen im Dezember 2026“, heißt es da.

Weiter kleine Hürde: Alle Züge werden im Bahnhof Brenner halten. Ein Betriebshalt für die künftigen EC 1180 bis 1188 – so die offiziellen Zugnummern. Am Brenner wechseln die Lokführer. Im deutschsprachigen Gebiet werden es Deutsche und Österreicher sein, in Italien eben Italiener. Offizielle Begründung: die Sprachbarriere. Und noch eine Unwägbarkeit lauert im Hintergrund: Die maroden Strecken könnten die Zeitpläne durcheinander wirbeln. Schon heute ist die zweigleisige Strecke hoch zum Brenner durch Güterzüge oft verstopft. Und da muss der Frecciarossa, der da auch nur 100 km/h erreicht, auch durch. Außerdem soll die Strecke München-Ost bis Rosenheim 2028 saniert und für Monate teilweise oder sogar ganz gesperrt werden. Dann kann auch der Frecciarossa nicht fahren. Alles andere ist eher Zukunftsmusik, auch der Ausbau des Brenner-Nordzulaufs, zu dem sich der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter demonstrativ („stehen absolut dazu“) unter kräftigem Applaus bekennt und der auch den italienischen Wunderzug weiter beschleunigen würde.

Doch an diesem Tag will niemand das Projekt schlechtreden. Die Fahrgastzahlen im Italienverkehr seien zuletzt um sieben Prozent jährlich gestiegen. Schon heute sind die Railjets, die auch nach Start des Frecciarossa weiter nach Verona und Venedig fahren sollen, sehr voll. Darum mache man all das ja, sagt der gut gelaunte DB-Vorstand Peterson.

Zurück zum Hauptbahnhof, zum mühseligen Alltag der heutigen Italien-Reisenden. Gerade, als der Zug in Richtung Venedig davonfährt, kommen Dorothea Setzer (79) mit ihrem Mann Helmut und Freundin Lore Tenzler am Bahngleis an. „Der Zug aus Karlsruhe hat sich verspätet“, erzählt die Rentnerin. Seit sieben Uhr früh sind die drei schon auf dem Weg Richtung Rovereto nahe des beliebten Gardasees. „Wir haben ja Zeit“, sagt Dorothea Setzer. Sie hat schon davon gehört, dass es bald einen Direktzug geben soll. „Darauf freue ich mich sehr – hoffentlich fährt der italienische Schnellzug zuverlässiger als die deutschen Züge.“

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