Claudia Röttger ist Journalistin und Apothekerin. Als Chefredakteurin verantwortete sie 22 Jahre lang den Senioren Ratgeber, das Schwestermagazin der Apotheken Umschau. © W&B/Nemenz
Regelmäßiger Kontakt zu den Kindern ist für die älter werdenden Eltern wichtig. © imago
München – Plötzlich sind die Rollen vertauscht: Die Mutter, die früher alles organisiert hat, vergisst immer öfter ihre Termine. Der Vater, einst der Heimwerkerkönig, braucht jetzt Hilfe beim Rasenmähen. Für viele erwachsene Kinder beginnt mit dem Älterwerden ihrer Eltern ein emotionaler Balanceakt zwischen Unterstützung und Loslassen, dem Bewusstsein, dass die Eltern vielleicht nicht mehr allzu lange da sind. Umso wichtiger, die verbleibende Zeit gut miteinander zu verbringen. Aber wie viel Hilfe ist nötig – und wann ist es vielleicht zu viel? Wie spricht man über Pflege, Geld oder Einsamkeit, ohne zu verletzen?
Claudia Röttger, Apothekerin und erfahrene Gesundheitsautorin, kennt diese Fragen aus ihrem beruflichen Alltag – und gibt in ihrem neuen Buch „An eurer Seite“ praktische, kluge und einfühlsame Antworten. Hier sind ihre 20 besten Tipps, um Mama und Papa auf ihrem Weg ins Alter liebevoll zu begleiten – und dabei selbst nicht auf der Strecke zu bleiben.
■ Früh reden statt zu spät reagieren
Warten Sie nicht auf den nächsten Sturz oder einen Schockmoment – sprechen Sie frühzeitig über das Älterwerden. „Die meisten Konflikte entstehen, weil wichtige Themen wie Pflege oder Finanzen zu lange tabu bleiben“, erklärt Claudia Röttger. Es gehe nicht darum, Angst zu machen, sondern um Sicherheit und Klarheit. Ein guter Einstieg: „Fragen Sie, was sich Ihre Eltern für die Zukunft wünschen. Offene Gespräche stärken das Vertrauen und helfen, gemeinsam realistische Lösungen zu finden.“
■ Zuhören ist manchmal die wichtigste Hilfe
Hilfe bedeutet nicht immer Handeln – oft reicht es schon, einfach da zu sein. Wer zuhört, statt vorschnell zu urteilen, erfährt mehr über Sorgen und Bedürfnisse. „Manchmal ist es wichtiger, einen guten Kaffee zu trinken, als hektisch Pflegedienste zu organisieren“, sagt Röttger. „Achten Sie auf Zwischentöne: Einsamkeit, Trauer oder Unsicherheiten äußern sich oft indirekt.“
■ Unterstützung, aber keine Überfürsorge
Älterwerden bedeutet nicht, hilflos zu sein. „Geben Sie Ihren Eltern die Chance, weiterhin selbstbestimmt zu leben – mit klarer Unterstützung. Hilfsbereitschaft ist gut, aber Überfürsorge nimmt Selbstvertrauen“, warnt Röttger. Eine Einkaufsliste schreiben oder online eine Bahnfahrt buchen? Das können viele Senioren mit ein wenig Hilfe selbst.
■ Veränderungen früh erkennen
Achten Sie auf subtile Veränderungen im Verhalten: Vergesslichkeit, Rückzug oder vernachlässigte Hygiene können erste Hinweise auf beginnende Einschränkungen sein. „Diese Anzeichen ernst zu nehmen, heißt nicht gleich, Alarm zu schlagen“, betont die Buchautorin. Vielmehr gehe es darum, behutsam nachzufragen und gegebenenfalls ärztlichen Rat einzuholen.
■ Grenzen respektieren – auch wenn es schwerfällt
Die Eltern haben ein Leben lang Entscheidungen getroffen – und sollten das auch weiter, solange es möglich ist. „Was für uns absurd erscheint, kann für ältere Menschen wichtig und richtig sein“, erklärt Röttger. Auch wenn es schwerfällt: Ein bisschen Unordnung oder alte Gewohnheiten sind kein Grund zur Bevormundung, so Röttger. Der richtige Moment für Unterstützung sei nicht der, an dem sich die Kinder unwohl fühlen, sondern der, an dem es wirklich nötig ist.
■ Keine Scheu vor dem Thema Pflege
Pflege ist kein Makel, sondern Realität – für Millionen Familien. Wer rechtzeitig darüber spricht, kann Wünsche und Möglichkeiten besser planen. „Ein offenes Gespräch über Pflegeformen gibt Sicherheit und verhindert Überforderung“, sagt Claudia Röttger. Informieren Sie sich über ambulante Hilfen, Tagespflege oder Wohnformen. Wichtig: „Auch Sie als Kind dürfen Ihre eigenen Grenzen formulieren.“
■ Finanzielle Themen nicht aufschieben
Es ist unangenehm, aber wichtig, frühzeitig über Konten, Vollmachten, Versicherungen und Erbschaften zu sprechen. „Finanzielle Klarheit schützt vor Missverständnissen und entlastet im Ernstfall“, betont Röttger. Ein gemeinsamer Banktermin oder ein Beratungsgespräch kann helfen. Sorgen Sie dafür, dass wichtige Dokumente leicht auffindbar und aktuell sind.
■ Gesundheitsvorsorge gemeinsam denken
Viele ältere Menschen versäumen Arzttermine oder nehmen Medikamente falsch ein. „Als Kinder können wir dabei unterstützen, ohne zu kontrollieren“, empfiehlt Expertin Röttger. Erinnerungen per Kalender oder eine gemeinsame Fahrt zur hausärztlichen Praxis oder zur Apotheke – oft hilft schon ein kleiner Impuls. Bieten Sie Hilfe an, aber akzeptieren Sie auch ein Nein.
■ Medikamente im Blick behalten
Viele Senioren nehmen mehrere Medikamente – oft fehlt aber der Überblick. Helfen Sie mit, eine übersichtliche Medikamentenliste zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. „Ein einfacher Medikationsplan kann Leben retten – und den Alltag enorm erleichtern“, sagt Röttger. Tablettenboxen mit Tagesfächern oder Apps mit Erinnerungsfunktionen können nützlich sein. Ein gemeinsamer Termin in der Hausarztpraxis oder Apotheke schafft zusätzlich Klarheit.
■ Die Wohnung altersgerecht gestalten
Lose Teppiche, fehlende Haltegriffe, rutschige Bäder – oft sind es Kleinigkeiten, die für ältere Menschen zur Gefahr werden. Machen Sie gemeinsam mit Ihren Eltern einen Sicherheits-Check in der Wohnung. „Viele Stürze lassen sich mit ein paar einfachen Maßnahmen vermeiden“, betont Röttger. Empfehlenswert sind Haltegriffe im Bad, Nachtlichter im Flur, rutschfeste Matten und eine gute Beleuchtung. Auch eine Klingel mit Blitzlicht oder ein Rauchmelder mit Sprachausgabe kann sinnvoll sein.
■ Mehr Nähe durch Online-Kommunikation
Smartphone, Tablet & Co. sind Senioren mitunter suspekt. Aber sie helfen, Alltag und Kommunikation zu erleichtern – wenn man sie richtig einführt. „Geduld und Humor sind der Schlüssel beim Digitaltraining mit den Eltern“, rät Röttger. Schritt für Schritt erklären, nicht überfordern. WhatsApp-Gruppen, Videocalls, Erinnerungs-Apps können den Alltag bereichern und Nähe schaffen.
■ Digitale Helfer im Alltag nutzen
Smarte Technik kann Alltag und Sicherheit verbessern – wenn sie einfach bedienbar ist. Stellen Sie gemeinsam einen Hausnotruf ein, installieren Sie eine Videotürklingel oder zeigen Sie, wie Sprachassistenten funktionieren. „Digitale Hilfsmittel sind kein Hexenwerk – sie brauchen nur eine gute Einführung“, meint Röttger. Wichtig: Nur ein Gerät gleichzeitig erklären, und bitte ohne Fachchinesisch. Geduld ist wichtiger als Technikverliebtheit.
■ Rituale pflegen, denn diese geben Halt
Wöchentliche Telefonate, gemeinsames Kochen oder Spaziergänge – kleine Rituale bringen Struktur und emotionale Nähe. „Rituale sind wie Anker im Alltag, gerade im Alter“, sagt Röttger. Diese Zeiten bewusst einplanen, denn sie geben nicht nur den Eltern, sondern auch den Kindern Halt.
■ Formulare, Anträge & Co. gemeinsam angehen
Pflegegrad beantragen, Rentenbescheide verstehen, Vollmachten ausfüllen – für ältere Menschen ein Dschungel. Setzen Sie sich mit Ihren Eltern zusammen und füllen Sie wichtige Unterlagen gemeinsam aus. „Unterstützung bei Papierkram ist oft genauso wertvoll wie körperliche Hilfe“, sagt Röttger. Nutzen Sie Checklisten aus dem Internet oder holen Sie sich Rat bei Pflegestützpunkten. Wichtig: Die Eltern nicht kleinmachen, sondern als Partner begleiten.
■ Essen organisieren – mit Herz und Plan
Gesunde Ernährung wird im Alter wichtiger, ist aber oft mühsam. Prüfen Sie gemeinsam: Gibt es genug frische Lebensmittel zu Hause? Klappt das Kochen noch? „Einmal pro Woche gemeinsam vorkochen und einfrieren – das ist praktisch und bringt Freude“, schlägt Claudia Röttger vor. Alternativ kann man Essen auf Rädern testen – oder mit Nachbarn einen Kochdienst organisieren. Auch ein kleiner Lieferservice für Grundnahrungsmittel entlastet.
■ Soziale Kontakte pflegen – auch gegen den Willen
Viele ältere Menschen ziehen sich zurück – aus Bequemlichkeit oder aus Scham. Die Kinder können helfen, Kontakte zu reaktivieren: Ein Anruf bei alten Freunden, ein Besuch im Verein oder ein gemeinsames Kaffeetrinken mit den Nachbarn kann Wunder wirken. „Isolation macht krank – deshalb ist jedes Gespräch, jeder Besuch ein kleiner Gesundheitsbeitrag“, sagt Röttger. Seien Sie kreativ: Vielleicht klappt es auch mit einem Oma-Opa-Café oder einem Lesekreis?
■ Bewegungsangebote statt Sofa-Trägheit
Bewegung ist das beste Mittel gegen viele Altersprobleme – aber sie muss den Eltern auch Spaß machen. Schlagen Sie gezielt Angebote vor: Seniorengymnastik, Tanzen, Nordic Walking oder einfach ein täglicher Spaziergang. „Es geht nicht um Leistung, sondern um regelmäßige Aktivität im eigenen Tempo“, sagt Röttger. Manche Fitnessstudios bieten Kurse für Ältere an, auch Volkshochschulen haben passende Angebote. Begleiten Sie die Eltern beim ersten Mal – das nimmt Hemmungen.
■ Gemeinsam lachen – ja, auch das hilft
Humor ist ein unterschätztes Pflegewerkzeug. Schauen Sie gemeinsam alte Lieblingsfilme, erinnern Sie sich an absurde Urlaube oder blättern Sie durch Fotoalben. „Lachen löst Spannungen und schafft Nähe – gerade wenn Worte fehlen“, erklärt Röttger. Auch Spieleabende oder kleine Streiche aus der Vergangenheit wecken Lebensfreude. Wer lacht, lebt leichter – das gilt übrigens in jedem Alter.
■ Familienzeit fest einplanen
Verlässliche Termine mit Kindern oder Enkeln geben älteren Menschen Struktur und Vorfreude. Legen Sie wöchentliche Besuchstage, gemeinsame Ausflüge oder Telefonzeiten fest. „Was regelmäßig stattfindet, wird zur wertvollen Routine – für beide Seiten“, betont Röttger. Auch kleine Rituale wie Sonntagscroissants oder Dienstagsrätsel stärken die Bindung. Es geht nicht um Quantität – sondern um Qualität und Verlässlichkeit.
■ Bei aller Hilfe auch an sich selbst denken
Wer hilft, braucht selbst oft sehr viel Kraft. Achten Sie deshalb auf Ihre eigenen Grenzen und holen Sie sich frühzeitig Unterstützung – von Geschwistern, Freunden oder externen Diensten. „Nur wer gut für sich sorgt, kann dauerhaft für andere da sein“, mahnt Röttger. Gönnen Sie sich Auszeiten und reden Sie offen über Ihre Belastung. Denn: Liebevolle Begleitung gelingt am besten mit einem klaren Kopf und einem vollen Akku.