Die Moschee in Ägyptens neuer Hauptstadt ist fertig. Was fehlt, sind die Gläubigen zum Gebet. © P. Alliance
Ägyptens neue Hauptstadt wird seit 2015 gebaut – derzeit wohnen dort aber nur wenige tausend Menschen. Das Foto entstand 2021. © Getty
Jakarta droht zu versinken: Indonesiens bisherige Hauptstadt kämpft mit Überflutungen, auch durch den Klimawandel. © pa
Geisterstadt in Myanmar: Naypyidaw ist seit 2005 Hauptstadt, doch kaum jemand will hier leben. © getty images
Planmetropole im Dschungel: Im vergangenen Jahr wollte Indonesien eigentlich offiziell seine neue Hauptstadt Nusantara eröffnen. Doch die Bauarbeiten verzögern sich, weil es an ausländischen Investitionen fehlt. © Getty Images
München – Die Deutschen wissen, wie das ist, wenn man seine Hauptstadt austauscht: Mit der Wiedervereinigung wurde Berlin auch für den Westen erneut Hauptstadt, Regierung und Parlament wechselten 1999 von Bonn nach Berlin. Ein Vierteljahrhundert später planen mehrere Länder neue Zentren – echte Megaprojekte, obwohl man schon über Millionen-Metropolen verfügt. Die Gründe: Verzweiflung bis Größenwahn. Wir stellen die größten Projekte vor.
■ Indonesien
Jakarta, die alte indonesische Hauptstadt, ist ein Moloch: 34 Millionen Einwohner, erdbebengefährdet, Verkehrschaos, Luftverschmutzung – und bedroht vom Klimawandel, der den Meeresspiegel ansteigen lässt. Schon jetzt gibt es dramatische Überschwemmungen, auf längere Sicht droht die Metropole buchstäblich zu versinken. Mehr als die Hälfte Jakartas liegt bereits unterhalb des Meeresspiegels. Bis 2050 könnte das gesamte Gebiet von Nord-Jakarta überflutet sein.
Deshalb entwickelte der indonesische Ex-Präsident Joko Widodo die Vision einer neuen Hauptstadt für den Inselstaat – und zwar ausgerechnet auf der Insel, die wegen ihrer Artenvielfalt und ihres riesigen Regenwaldes eine Arche Noah unserer Erde ist: Borneo. Denn die drittgrößte Insel der Welt ist auch der Teil Indonesiens, der am wenigsten von Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Fluten heimgesucht wird.
Die Reißbrett-Hauptstadt Nusantara wird in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, in Rekordzeit hochgezogen. Widodo wollte unbedingt noch selbst dort residieren, weshalb der Präsidentenpalast das erste fertige Gebäude war. Im Juli 2024 zog er feierlich in seinen Palast ein, der in Form des Nationalvogels, des Garuda-Adlers, gebaut ist. Bis 2045 sollen rund 1,9 Millionen Menschen in der neuen Hauptstadt wohnen. Tausende Beamte wurden bereits nach Nusantara versetzt.
Das Projekt soll auch die Wirtschaftskraft besser verteilen, die sich derzeit vor allem auf die Insel Java konzentriert. Von den 30 Milliarden Euro Baukosten will die Regierung nur 20 Prozent selbst aufbringen. Weil es aber an ausländischen Investitionen fehlt, verzögern sich die Bauarbeiten. Im Juni 2024 traten der Entwicklungschef und der Vize-Projektleiter zurück. Die für den 17. August 2024 (der indonesische Unabhängigkeitstag) geplante Einweihung der Stadt wurde bis auf Weiteres abgeblasen.
Umweltschützer sehen das Projekt skeptisch, auch wenn für die Stadt kein natürlicher Regenwald gerodet werden soll, sondern nur Industriewald, also Holzplantagen. Zudem soll Nusantara die „grünste Hauptstadt der Welt“ werden: 70 Prozent der 256 000 Hektar sind als Grünzonen geplant. Durch die Pflanzung lokaler Waldbaumarten, so das Versprechen der Regierung, soll ein artenreicher Sekundärwald entstehen. Auch das Orang-Utan-Rehabilitationszentrum in Samboja Lestari soll Teil der Grünzone werden.
Die Regierung versichert, dass die Schutzgebiete der letzten Orang-Utans und Malaienbären unberührt bleiben. Die größte Sorge macht Umweltschützern der zu erwartende illegale millionenfache Zuzug. „Die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln könnte zu weiteren Rodungen führen“, so der Chef der „Borneo Orangutan Survival Foundation“, Dr. Jamartin Sihite, gegenüber unserer Zeitung. Geplant ist bisher, die benötigten Lebensmittel von außerhalb Kalimantans zu importieren. Sihite befürchtet dennoch Rodungen für Landwirtschaft auf dem ohnehin schon durch Palmölplantagen belasteten Borneo.
■ Ägypten
Man braucht eine gehörige Portion Fantasie für dieses Projekt. Etwa 50 Kilometer östlich der 20-Millionen-Metropole Kairo liegt eine der größten Baustellen Afrikas: Ägyptens Präsident Abdel Fatah Al-Sisi baut sich hier eine neue Hauptstadt. Sie hat noch kaum Bewohner und keinen Namen. Sie firmiert nur unter dem Arbeitstitel „New Administrative Capital“. Wer sich von Kairo aus auf den Weg macht, fährt über breite Straßen mit wenig Verkehr. Links und rechts ziehen sich ewige Baustellen durch die Wüste: Wohnblocks und Hochhäuser. Der Iconic Tower ist schon fertig, mit fast 400 Metern und 77 Stockwerken das höchste Gebäude Afrikas. Auch etliche Moscheen stehen, dazu – für muslimische Länder keineswegs selbstverständlich – eine Kirche. Gigantisch ist die Grand Mosque, die mehr als 100000 Menschen Platz böte. Wenn denn schon Menschen hier wären! Bislang leben nur ein paar tausend in der künftigen Hauptstadt, tausende Wohnungen stehen noch leer.
Dabei ist es eine Hauptmotivation des 2016 gestarteten Mega-Projektes, den Siedlungsdruck auf Kairo zu reduzieren. Die Bevölkerung Ägyptens explodiert. Einige Ministerien sind bereits umgezogen – weg vom wachsenden Unmut der Bewohner Kairos, die nicht nur unter der Wohnungsnot leiden, sondern auch unter Inflationsraten jenseits der 25 Prozent. Mehr als ein Drittel der Menschen lebt unterhalb der nationalen Armutsgrenze.
Natürlich entzündet sich deshalb, und wegen der hohen Staatsverschuldung, Kritik an Al-Sisis Prestigeprojekt – wobei die in einer Militärdiktatur kaum laut geäußert werden darf. Die Kosten gehen in den hohen zweistelligen Milliardenbereich. Doch es sind auch ausländische Investoren beteiligt, insbesondere aus den Golfstaaten und China. Die Preise für Apartments in der neuen Hauptstadt sind für normale Bürger nicht erschwinglich.
Die Ziele bleiben sehr ambitioniert: 2036 will Ägypten hier die Olympischen Spiele ausrichten, weshalb schon ein Stadion gebaut wird. Auch die Fußball-WM hätte man gerne. Die Handball-WM der Männer fand bereits 2021 statt – wegen Corona jedoch ohne Zuschauer.
■ Myanmar
Die Wenigsten dürften je etwas von Naypyidaw gehört haben, geschweige denn dort gewesen sein. Kein Wunder: Die Hauptstadt Myanmars ist eine der absurdesten Städte der Welt. Kaum jemand lebt dort, es gibt 20-spurige Autobahnen, auf denen kein Auto fährt, einen riesigen Flughafen, an dem keine Passagiere landen, und den größten Zoo Südostasiens, den kaum jemand besucht.
Naypyidaw ist die neue Hauptstadt des südostasiatischen Landes, das bis Ende der 80er-Jahre noch Burma hieß und zwischen Thailand und Bangladesch liegt. Die Militärregierung hat die Hauptstadt 2005 vom südlichen Yangon (ehemals Rangun) ins Zentrum des Landes verlegt und 2012 fertiggebaut. Doch der Ort ist eine riesige Geisterstadt: Naypyidaw ist fast achtmal so groß wie Berlin – doch hier leben nicht mal eine Million Menschen (Berlin: vier Millionen). Berichten zufolge sollen dort nur Menschen leben, die sich um die Stadt kümmern, etwa Stadtreiniger und Gärtner.
Die Gründe liegen auf der Hand: Die Stadtplanung wirkt eher dystopisch als einladend. Naypyidaw ist in verschiedene Zonen für Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Hotels und Militär aufgeteilt – die Farbe der Dächer markiert, in welcher Zone man sich befindet. Das Parlamentsgebäude sieht aus wie eine Festung und ist von einem Wassergraben umgeben. Bis heute weiß niemand ganz genau, warum Naypyidaw überhaupt gebaut wurde. Experten vermuten, die Militärjunta habe eine möglichst abgeschottete Hauptstadt gewollt, um verfeindete Länder wie die USA auf Abstand halten zu können. Zudem ist die leere Planstadt viel leichter unter Kontrolle zu halten als Yangon: Wo es keine Menschen gibt, können auch keine Proteste gegen die Militärs stattfinden, die sich 2021 an die Macht geputscht und seitdem tausende Burmesen getötet haben.