Ein Physiker wird Museums-Chef

von Redaktion

Am Stahltriebwerk: Decker auf Museumstour.

Freundliche Übergabe: Wolfgang Heckl (li.) und Michael Decker.

Humanoider Freund: Roboter Armar kommt wie Decker auch vom KIT in Karlsruhe.

Neuer Arbeitsplatz und neues Zuhause – zumindest vorerst. Michael Decker lebt auf der Museumsinsel, bis er eine Wohnung in München gefunden hat. © Oliver Bodmer

München – Es ist erst sein erster Arbeitstag, und doch hat Michael Decker schon einen alten Bekannten getroffen. Armar hat zwar keinen Kopf, dafür aber eine Art Kamerahelm, einen grün leuchtenden Torso und zwei menschlich wirkende Arme, wenn auch von Kabeln und Drähten durchzogen. Der humanoide Roboter stammt wie Decker selbst vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), quasi ein Kollege aus früheren Zeiten. Der eine wurde dort entwickelt, der andere hat dort gelehrt. Jetzt steht Armar in der Robotik-Ausstellung – und Decker ist Chef des Deutschen Museums.

Seit gestern ist der 59-jährige Physiker Herr von mehr als 125000 Objekten auf 40 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Daran muss sich Decker erst noch gewöhnen. „Ich kenne mich hier noch gar nicht aus“, gibt er zu, während er durch die riesigen Hallen des Museums schlendert. „Meine erste Amtshandlung wird sein, das Gebäude richtig kennenzulernen.“ Zeit dafür hat er allemal, denn Decker hat noch gar keine eigene Wohnung in München. Jetzt wurde er kurzerhand in einem der Gästezimmer des Museums untergebracht. „Meine Kollegen aus Karlsruhe haben schon gescherzt, dass ich hier ‚Nachts im Museum‘ spielen kann.“ Er kramt nach seinem Generalschlüssel und lacht. „Mir wurde zumindest versprochen, dass ich damit überall reinkomme.“

Es ist das erste Mal, dass Decker das Museum nicht als Besucher betritt, sondern als Generaldirektor. Man sieht ihm das an, wenn er vor einzelnen Exponaten stehen bleibt, darüber staunt, wie tief Piloten eigentlich in Flugzeugen sitzen – und auch von Mitarbeitern pro forma darauf hingewiesen wird, bitte bloß nichts anzufassen. Als Jugendlicher war er das erste Mal mit seiner Familie hier. Wann genau, kann er zwar nicht mehr sagen. „Aber ich kann mich noch genau an die Show mit dem Faraday‘schen Käfig erinnern“, erzählt er. „Wie der Blitz eingeschlagen hat, wie es geknallt hat: Das hat mich fasziniert.“

Decker begeistert sich für Physik, seit er denken kann. Aufgewachsen ist er in Ludwigshafen am Rhein, Heimat der deutschen Chemieindustrie. „Mein Vater war Chemiker, mein Bruder ist Chemiker, meine Schwester ist Apothekerin“, sagt Decker. „Für mich war immer klar, dass ich etwas Naturwissenschaftliches machen werde.“

Als Decker sein neues Büro betritt, erwartet ihn eine ungewöhnliche Leere: Nur sein Koffer und ein Willkommensgeschenk vom neuen Team stehen da. Bis vor Kurzem war der Raum noch vollgestopft mit Büchern, Gemälden, Sammlerstücken, Grammophonen und einem Indiana-Jones-Flipper aus den 90er-Jahren. Deckers Vorgänger Wolfgang Heckl (siehe Text unten) hat ihn fast 21 Jahre gefüllt – so lang war niemand sonst Generaldirektor des Deutschen Museums.

Die Fußstapfen sind groß, Decker weiß das. Wolfgang Heckl war so etwas wie das Werbegesicht des Museums, gab regelmäßig Interviews, trat im Fernsehen auf und schrieb Bücher über Technik und Wissenschaft. „Ich werde versuchen, das fortzuführen“, sagt Decker, „aber vielleicht werde ich mir noch den ein oder anderen Tipp von Herrn Heckl abholen müssen.“

Fachlich ist Decker bestens dafür gerüstet, denn sein Fachgebiet ist im Prinzip genau das: die Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaft. In den vergangenen Jahren hat er das Institut für Technikfolgenabschätzung in Karlsruhe geleitet. Einfach gesagt: Er erforscht, wie Robotik und Künstliche Intelligenz unsere Gesellschaft verändern. „Wie weit darf Technik gehen? Inwiefern sind Ängste in der Gesellschaft berechtigt und wo müssen wir Grenzen ziehen?“ Das alles seien Fragen, sagt Decker, die auch künftig in den Ausstellungen eine größere Rolle spielen werden.

Der Jobwechsel bedeutet für ihn keinen Abschied von diesem Forschungsbereich. Im Gegenteil. Das Deutsche Museum sei der ideale Ort, um das Gebiet der Technikfolgenabschätzung greifbar zu machen. „Früher hatten die Menschen Angst vor der Lokomotive, weil man der Meinung war, wir sollten uns nicht schneller als mit 25 Kilometern pro Stunde bewegen“, erklärt Decker. „Und erinnern wir uns an den Autogurt, der ewig lange nicht von der Gesellschaft akzeptiert war – bis er Pflicht wurde.“ Neue Technologien hätten schon immer Kontroversen ausgelöst, und das Museum sei der ideale Ort, um daran zu erinnern. „Darauf will ich einen stärkeren Fokus setzen“, sagt Decker. „Es gibt, und das ist auch bei der KI der Fall, keine gute oder schlechte Technik. Es kommt darauf an, wie wir sie nutzen.“

Aber was genau reizt einen Physiker daran, Museumschef zu werden? Seine Antwort ist nüchtern: Immerhin bleibt er noch Professor, diesmal aber an der TUM (das gehört zum Museums-Job dazu). Womöglich geht es aber auch um die eine Sache, an denen wissenschaftliche Forschungsarbeiten scheitern, nicht aber Museums-Ausstellungen: Menschen erreichen. „Ich frage mich oft, wie man heutzutage vor allem Kinder und Jugendliche für Technik begeistern kann.“ Inzwischen sei die Aufmerksamkeitsspanne von jungen Leuten durch Plattformen wie TikTok deutlich geringer als früher. „Daran müssen wir uns anpassen. Eine Idee wäre, Schulklassen ganz gezielt an unsere Räumlichkeiten zu binden – etwa, indem sie regelmäßig, vielleicht einmal pro Monat, den Unterricht bei uns stattfinden lassen.“

Solche Ideen klingen fast schon romantisch. Decker spricht von Dialogen zwischen Forschern und Besuchern, von „Gesprächsangeboten“ und Ideenaustausch. Und dann warten da noch die knallharten Aufgaben. Etwa die General-Sanierung, die ihm Heckl vererbt hat. Seit 2011 läuft das Mega-Projekt, bei dem die Kosten zuletzt immer mehr außer Kontrolle geraten sind: 750 Millionen Euro war der letzte Stand. Ob das Geld wirklich reicht? „Man hat mir gesagt, es sollte reichen“, sagt Decker. Aber wirklich sicher scheint er da noch nicht. Vielleicht ist es dafür noch zu früh: Ihm geht es jetzt erst mal darum, sich in dem Gebäude zurechtzufinden.

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