Die tödliche Handschrift des Mossad

von Redaktion

Eine Überwachungskamera eines Marktes in Beirut hat den Moment festgehalten, als ein vom israelischen Geheimdienst präparierter Pager in der Hosentasche eines Mannes (blaue Kappe) explodiert. Er bleibt schwer verletzt liegen. © Wikipedia

München/TelAviv – Als der Löwe in der Nacht zum Freitag zu brüllen beginnt, zuckt die Welt zusammen. Israel greift den Iran an. Kampfflugzeuge bombardieren militärische und nukleare Einrichtungen, wichtige Führungskräfte des Mullah-Regimes werden beseitigt. Es ist der Beginn eines Krieges, dessen Verlauf noch so wenig absehbar ist wie dessen Ende. Teheran wirkte jedenfalls nicht vorbereitet auf die Offensive, die Israel martialisch „Uprising Lion“ genannt hat – sich erhebender Löwe. Und das, obwohl Israel den Angriff offenbar seit vielen Monaten, vielleicht Jahren, akribisch vorbereitet hat. Eine zentrale Rolle kam dabei dem Mossad zu, dem israelischen Auslandsgeheimdienst.

Genaue und offiziell bestätigte Informationen gibt es nicht. Aber Stück für Stück berichten Medien unter Berufung auf israelische Sicherheitskreise davon, wie der Mossad der Operation im Iran den Weg geebnet hat. Systematisch wurden offenbar Präzisionswaffen und Drohnen in den Iran eingeschleust und vor allem gegen die iranische Flugabwehr und Raketenabschussbasen in Stellung gebracht. Ein von mehreren Medien verbreitetes Video, das sich allerdings nicht verifizieren lässt, soll zeigen, wie israelische Agenten auf iranischem Boden zugange sind.

Der Mossad hat die Lizenz zum Töten

Nach Einschätzung des auf Geheimdienste spezialisierten israelischen Journalisten Barak Ravid waren „hunderte Mossad-Agenten sowohl im Iran als auch am Stammsitz (in Tel Aviv) beteiligt, einschließlich einer Spezialeinheit iranischer Akteure, die für den Mossad arbeiten“. Im Zentrum des Iran hätten Geheimdienstkommandos „Lenkwaffensysteme unter freiem Himmel in der Nähe iranischer Raketenwerfer für Boden-Luft-Raketen“ postiert. Außerdem habe der Mossad „heimlich Waffensysteme und in Autos versteckte ausgefeilte Technologien genutzt“. Auf diese Weise seien die iranische Luftabwehr und mutmaßliche Anlagen für Vergeltungsangriffe zerstört und der Weg für israelische Kampfflugzeuge und Raketen frei gemacht worden. Der Erfolg scheint durchschlagend. Die iranische Luftabwehr wirkt zahnlos, in weiten Teilen des Iran hat Israel derzeit die Lufthoheit und fliegt weiter massive Angriffe.

Dass der Mossad den Iran seit Jahren infiltriert, ist wenig überraschend. Das Mullah-Regime droht offen mit der Vernichtung Israels, ist der wohl gefährlichste Feind des jüdischen Staates an der Ostküste des Mittelmeers. Der Iran hat etwa neunmal so viele Einwohner wie Israel, über die militärische Stärke sagt das aber nichts aus. Israel verfügt über eine hochmoderne und insbesondere von den USA ausgerüstete Armee – und einen Auslandsgeheimdienst, der in der Welt berüchtigt ist.

Der Mossad hat vor allem eine Aufgabe: Die Existenz von Israel zu sichern. Seine Befugnisse sind umfassend: Spionage, Sabotage, Attentate. Schätzungen zufolge ist der Mossad nach der US-amerikanischen CIA der zweitgrößte Geheimdienst der Welt. Geleitet wird er seit Juni 2021 von David Barnea. Der 60-Jährige ist seit 1996 beim Mossad und war 2018 an einer Operation beteiligt, bei der sich Israel des geheimen Nukleararchivs des Iran bemächtigte. Das iranische Atomprogramm ist ein Kernpunkt des Konflikts. Der Iran behauptet, Uran nur zu zivilen Zwecken anzureichern. Israel sieht den Iran hingegen kurz davor, Atombomben bauen zu können – und will das nun militärisch verhindern. Kurioserweise waren es die USA, die den Grundstein für das iranische Atomprogramm legten. 1959 schenkte US-Präsident Eisenhower der Universität in Teheran einen Forschungsreaktor, 1967 kam noch ein Leichtwasserreaktor hinzu. Für eine Urananreicherung in Nuklearwaffen-Qualität waren die Präsente allerdings nicht gedacht. Und damals regierte noch der Schah.

Wie viele Mossad-Agenten wirklich im Iran aktiv sind, ist geheim. Traditionell nutzt der Geheimdienst ein großes Netzwerk an inländischen Helfern, die Informationen, Fahrzeuge oder Wohnungen besorgen. Auch weil es weltweit viele Menschen mit jüdischen Wurzeln gibt, ist der Mossad dabei sehr erfolgreich.

Aber dem Netzwerk anzugehören, und wenn auch nur vermeintlich, ist gefährlich. Erst am Montagmorgen ließ die iranische Justiz wieder einen mutmaßlichen Spion hinrichten, wie die Nachrichtenagentur Misan berichtete. Laut Darstellung aus Teheran soll er für Israel spioniert haben. Verurteilt worden war der Mann wegen „Kriegsführung gegen Gott“ und „Korruption auf Erden“. Es ist die dritte Hinrichtung innerhalb weniger Monate nach Spionagevorwürfen.

Ob der Mann mit „Uprising Lion“ in Verbindung stand, ist unklar. Die Operation ist eine Demütigung für das Mullah-Regime, das zwar mit Raketen antwortet, aber noch keine klare strategische Linie gefunden zu haben scheint. „Das zeigt die operative Überlegenheit Israels gegenüber dem Iran in Bezug auf Geheimdienstarbeit“, sagt Danny Citrinowicz vom Forschungsinstitut für Nationale Sicherheit in Tel Aviv.

Explosive Pager gegen die Hisbollah

Michael Horowitz, israelischer Experte für Geopolitik, sagte, die Angriffe seien „das Ergebnis jahrelanger Sammlung von Geheimdienstinformationen und Unterwanderung der Islamischen Republik“. In europäischen Sicherheitskreisen spricht man von einem „ziemlich chirurgischen“ Eingriff und einem „beeindruckenden Maß an Präzision und Meisterschaft“.

Bereits im vergangenen September hatte der Mossad die Welt verblüfft, als er die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon mit hochexplosiven Pagern angriff. 39 Menschen wurden getötet und tausende verletzt, darunter viele Zivilisten, weswegen Israel scharf verurteilt wurde. Pager sind kleine Geräte zum Empfang von Kurznachrichten. Der Mossad hatte die Batterien mit Sprengstoff präpariert, die Pager wurden dann über diverse Kanäle an die Hisbollah verkauft, die sie an ihre Mitglieder verteilte. Pager werden gerne genutzt, weil sie im Gegensatz zu Handys nicht ortbar sind.

Nach der Pager-Aktion zeigte sich Alain Chouet, ehemalige Nummer drei des französischen Auslandsgeheimdienstes, überzeugt, „dass Israel ein halbes Dutzend Strukturen in der Hinterhand“ habe, die in der Lage seien, jederzeit im Iran aktiv zu werden. Demgegenüber sei die iranische Spionageabwehr vor allem auf inländische Bedrohungen konzentriert, betonte er jetzt. Daher sei auch die desaströse Unterwanderung durch Israel möglich, die durch Hinrichtungen verurteilter Spione nicht aufgewogen werden könne.

In seiner Geschichte hat der Mossad viele Erfolge vorzuweisen. Legendär ist die Entführung des NS-Verbrechers Adolf Eichmann aus Argentinien im Jahr 1960. Mossad-Agenten überwältigten ihn auf offener Straße in Buenos Aires und brachten ihn unbemerkt nach Israel, wo Eichmann verurteilt und 1962 hingerichtet wurde. 1996 beseitigte der Mossad den Hamas-Militärchef und Bombenbauer Jihia Ajasch mit einem Sprengsatz, 2010 wurde der Hamas-Militärführer Mahmud al-Mabhuh in Dubai in seinem Hotelzimmer erstickt und 2020 wurde ein iranischer Atomwissenschaftler in einem Vorort von Teheran erschossen. Zu den letzten beiden Attentaten hat sich Israel nie bekannt – aber auch das gehört zur Praxis des Mossad.

Ein besonderer Coup, der als große Schmach für den Iran gilt, war die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija im Juli 2024 bei einem Besuch in Teheran. Hierzu bekannte sich Israel zwei Monate später.

Auch Misserfolge gehören zur Bilanz

Der Mossad ist aber keineswegs eine reine Erfolgsgeschichte. In Jordanien zum Beispiel schlug 1997 ein Anschlag auf den Hamas-Führer Chaled Maschaal fehl. Zwei Mossad-Agenten mussten gegen den in Israel inhaftierten spirituellen Hamas-Führer Ahmed Jassin ausgetauscht werden. 2004 tötete Israel Jassin dann mit einem gezielten Luftangriff.

In der Schweiz wurden 1998 Mossad-Agenten beim Installieren von Abhöranlagen erwischt. Als Konsequenz trat der damalige Mossad-Chef Danny Jatom zurück.

Zu den Fehlschlägen des Mossad zählen auch die nur sehr kurzfristige Warnung beim Jom-Kippur-Krieg 1973, die fehlende Vorhersage des Kriegs zwischen Iran und Irak 1980 – und vor allem die fehlende Warnung vor der ersten Intifada (Volksaufstand) im Jahr 1987, die erst 1993 mit dem Vertrag von Oslo und der Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde endete.

Auch der Überraschungsüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit mehr als 1200 toten Israelis und rund 250 verschleppten Geiseln gilt als Schandfleck der israelischen Sicherheitskräfte. Allerdings trafen die Vorwürfe vor allem die Armee im Grenzgebiet zum Gazastreifen sowie den Inlandsgeheimdienst Schin Bet, dessen Chef Ronen Bar später das Versagen seiner Behörde auch einräumte. Neben Mossad und Schin Bet gibt es in Israel noch den Militärgeheimdienst Aman.

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