Schulterklopfen und demonstrative Einigkeit: Kanzler Friedrich Merz mit Außenminister Johann Wadephul (Mi.), Verteidigungsminister Boris Pistorius (li.) und Innenminister Alexander Dobrindt (2. v. li.) kurz vor seiner Regierungserklärung. © AFP
München/Berlin – Es war ein Bierzelt-Satz, bei dem die ganze Welt schlucken musste. An einem sonnigen Wochenende im Frühling 2017 besuchte die Kanzlerin die Truderinger Festwoche, trank ein kühles Helles, sang sogar die Bayern-Hymne mit. Ein schöner Polit-Termin, gerade nach dem G7-Gipfel in Sizilien, wo sich Angela Merkel noch vor wenigen Stunden so sehr über Donald Trump geärgert hatte. Und dann ließ sie ein bisschen Dampf ab. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, schimpfte sie. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“
Acht Jahre später sitzt Friedrich Merz bis spät in die Nacht in seiner Wohnung und tüftelt an Worten, die zuversichtlicher klingen sollen als das, was seine Parteirivalin damals so salopp dahergesagt hatte. „Deutschland steht nicht allein da“, sagt der Kanzler am nächsten Tag. Es ist seine zweite Regierungserklärung nach 50 Tagen Kanzlerschaft. „Wir sind Teil und Akteur in einem dichten Netz von Partnerschaften und Allianzen.“ Sein Terminkalender bestätigt das. Gerade eben noch hatte sich die G7 in Kananaskis, Kanada, getroffen; gestern Nachmittag ging es für Merz zum Nato-Gipfel in Den Haag weiter; am Donnerstag dann EU-Gespräche in Brüssel.
Nebenbei findet der Außen-Kanzler Zeit, um vor die Abgeordneten im Bundestag zu treten. Und um über Weltpolitik zu sprechen. „Aus diesen Bündnissen heraus können wir mitgestalten, wie sich die Welt in den nächsten Jahren entwickelt“, sagt Merz in seiner immer noch ungewohnt staatsmännischen Rolle, die nichts mehr mit seiner scharfen Art als Oppositionsführer gemein hat. „Stärke und Verlässlichkeit sind die neuen Zielvorgaben.“
Vor allem aber sind es Eigenschaften, die der eigentliche Anführer des Westens gerade nicht bieten kann. Donald Trump, der Unberechenbare. Der Präsident, der seine Militärbündnis-Partner nicht informiert, bevor er iranische Atomanlagen angreift – und sie selbst über den Umfang ihrer Beistandspflicht rätseln lässt. Er hinterlässt eine Lücke, die Merz zu füllen versucht. „Deutschland ist zurück auf der internationalen Bühne“, verkündet er stolz. Als Eigenleistung? „Wir haben unseren internationalen Partnern gezeigt: Sie können sich auf uns verlassen.“
Den Nato-Gipfel hat Merz bereits vorab als „historisch“ bezeichnet, denn endlich kommt Deutschland dem nach, was die USA seit Jahren verlangen: Aufrüstung. Der Kanzler ist mit dem Versprechen nach Den Haag gereist, den deutschen Verteidigungshaushalt bis 2029 fast zu verdoppeln – und damit noch sechs Jahre früher das 3,5-Prozent-Ziel zu erreichen, als es die Nato-Mitglieder nun beschlossen haben. „Wir tun das nicht, um den USA und ihrem Präsidenten einen Gefallen zu tun“, beteuert Merz. „Sondern weil wir befürchten, dass Russland seinen Krieg über die Ukraine hinaus fortsetzen wird.“
Merz hat seine Strategie im Umgang mit den USA gefunden: Stärke gegenüber Trump demonstrieren – aber nicht so viel, dass es ihn verärgern könnte. Gleichzeitig sucht er den Schulterschluss mit europäischen Partnern. Kurz vor dem Gipfel verfasste der Kanzler gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Gastbeitrag für die „Financial Times“, in dem sie versichern, zusammen die Freiheit und Sicherheit Europas zu verteidigen. Russland werde in Frankreich und Deutschland auf „unbeirrbaren Widerstand“ stoßen, heißt es darin.
„Wir müssen gemeinsam so stark sein, dass es niemand wagen kann, uns anzugreifen“, sagt Merz in seiner Regierungserklärung. Und: „Wir werden die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas machen.“ Viel zu lange habe Deutschland die Warnungen der baltischen Staaten vor „Russlands imperialistischer Politik“ nicht hören wollen. „Wir haben diesen Irrtum erkannt“, meint Merz. „Die Sicherheit von Litauen ist auch die Sicherheit von Deutschland.“ Im Ausland kommt so etwas gut an. „Merz vermittelt den Eindruck eines soliden und kompetenten Politikers“, kommentiert etwa der litauische Rundfunk LRT.
Während Donald Trump kurz vor seiner Abreise nach Den Haag mit Vulgärausdrücken über Israel und den Iran schimpft („They don‘t know what the f*** they‘re doing!“), kann Merz mit Besonnenheit und Diplomatie glänzen. Volle Solidarität mit Israel und den USA („Iran darf keine Nuklearwaffen besitzen“) – aber auch mahnende Worte („Konflikt darf nicht die gesamte Region in einen Krieg stürzen“).
Gleichzeitig widmet er Außenminister Johann Wadephul ein paar Worte, um ihm unter Beifall der Koalition für seine Arbeit der vergangenen Wochen zu danken. Das ist insofern interessant, als dass die Außenpolitik der beiden zuletzt auseinandergedriftet war. Während Wadephul den US-Angriff auf iranische Atomanlagen „bedauerlich“ nannte, sagte Merz, es gebe „keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am letzten Wochenende getan hat.“ Nun gibt es demonstrative Harmonie – um Zweifel an Differenzen schnell wegzubügeln.
Als der Kanzler um 15.05 Uhr am BER Richtung Den Haag aufbricht, hat er einen Rat des Koalitionspartners im Gepäck. „In diesen Zeiten führt kein Weg an Diplomatie vorbei“, sagt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nach der Regierungserklärung. Ein kleiner Hinweis aus dem Lager der Mützenichs und Stegners – jener Sozialdemokraten, die weiter auf Gespräche mit Russland drängen. Und womöglich ein Zeichen, dass der Außen-Kanzler innenpolitisch längst nicht so unangefochten ist, wie er sich auf der Weltbühne präsentiert.