Heute ist Friedrich Merz 50 Tage im Amt. An diesem Tag erscheint Robin Alexanders neues Buch „Letzte Chance. Der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie“ (Siedler Verlag). Im Interview spricht Alexander (50), stellvertretender Chefredakteur der „Welt“, einer der besten Kenner der deutschen Politik, darüber, wie Merz sich schlägt und wie er den Siegeszug der AfD stoppen möchte.
50 Tage Merz: Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Friedrich Merz macht bislang primär Außenpolitik. Das ist ungewöhnlich, denn bisher haben Kanzler die Außenpolitik erst am Ende ihrer Amtszeiten für sich entdeckt. Man muss allerdings sagen: Es ist auch gerade viel los in der Welt. Merz muss unter anderem die Europäer zusammenhalten und Trump für die Unterstützung der Ukraine an Bord halten. Bei den Europäern ist er erfolgreich, bei Trump noch nicht. Das ist allerdings auch schwer.
Wird Merz den Siegeszug der AfD stoppen?
Friedrich Merz will diese Schlacht auf zwei Schauplätzen schlagen. Zum einen möchte er die Zahl der Migranten, die zu uns kommen, deutlich reduzieren. Zum anderen möchte er für Wirtschaftswachstum sorgen. Für beides hat er Ansätze, beides geht im Moment in die richtige Richtung. Doch ob er in beiden Bereichen erfolgreich sein wird, hängt auch davon ab, was im Rest der Welt passiert. Unser Wirtschaftswachstum könnte durch eine erratische Zollpolitik von Donald Trump zerstört werden. Und wie viele Menschen als Asylbewerber zu uns kommen, hängt auch davon ab, wie viele Kriege es gibt.
Könnte unter Merz sogar die Brandmauer fallen?
Friedrich Merz hat verstanden, dass die Zusammenarbeit mit der AfD vor allen Dingen der Union schadet. Das hat er gemerkt, als er im Wahlkampf ein Mal vom vorbestimmten Plan abgewichen ist und zwei Anträge der Unionsfraktion zur Migrationspolitik auch mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten haben. Ich glaube, die Lektion hat er gelernt. Solange die AfD sich nicht reformiert, steht die Brandmauer. Aber was passiert mit der Brandmauer, wenn die AfD sich reformiert?
Wie könnte die AfD sich reformieren?
Was passiert, wenn die AfD bestimmte Dinge ablegt, die sie für Parteien der Mitte als Koalitionspartner bislang unmöglich macht? Sollte die AfD ein vernünftiges Verhältnis zur Unabhängigkeit der Gerichte, zur NATO, zur EU und zur Ukraine entwickeln, stellt sich die Frage, ob man die Brandmauer noch braucht.
Was ändert sich in der Migrationspolitik?
Unter der Regierung Merz werden Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen. Auch wenn diese Zurückweisungen gerade von Gerichten infrage gestellt werden, ist das etwas wirklich Neues und ein großer Unterschied zur deutschen Regierungspolitik seit 2015. Es ist genau das, was Merkel partout nicht wollte. Es ist interessant: Die SPD erlaubt Merz jetzt das, was Merkel Seehofer nie erlaubt hat.
Der ehemalige BlackRock-Manager und Privatflugzeug-Besitzer sagte mal, er zähle sich zur „gehobenen Mittelschicht“. Fühlen sich die „kleinen Leute“ durch ihn vertreten?
Friedrich Merz hat die Wahl gewonnen. So schlimm kann das Fremdeln also nicht sein. Ich glaube, die meisten Leute wollen ordentlich regiert werden. Wo der Regierungschef seine Anzüge kauft und ob der Kanzler ein Auto fährt oder ein kleines Flugzeug fliegt, ist den Leuten nicht so wichtig.
Ihr Buch heißt „Letzte Chance“. Warum halten Sie Merz für die letzte Chance für die Demokratie?
Nicht Friedrich Merz als Person ist die letzte Chance für die Demokratie. Aber wir haben mit der Ampel gerade erlebt, wie sich eine Regierung der Mitte selbst in die Luft gesprengt hat. Sollte das noch mal passieren, steht in Frage, ob wir weitere Regierungen der Mitte erleben werden. Die Folge wäre eine andere Republik. Deshalb sollte diese Regierung der Mitte funktionieren.
Ist Merz sich dieser großen Verantwortung bewusst und hat er die charakterlichen Eigenschaften, um ihr gerecht zu werden?
Ja, er ist sich der Verantwortung bewusst. Ob er die charakterlichen Eigenschaften hat, um ihr gerecht zu werden, weiß ich nicht. Joschka Fischer hat die Ausübung von politischen Spitzenämtern „die Todeszone der Politik“ genannt, sie sei vergleichbar mit den letzten 100 Höhenmetern beim Besteigen eines Achttausenders. Wie hart das ist, weiß man nicht, bevor man es selbst gemacht hat. Man könnte sagen, dass es gegen Merz spricht, dass er keine Regierungserfahrung hat. Allerdings ist mit Olaf Scholz gerade jemand gescheitert, der wahnsinnig viel Regierungserfahrung hatte.