Bayerns Jugendherbergen bröckeln

von Redaktion

Stockbetten, aber keine Steckdosen: Rico Hofmann in einem der veralteten Zimmer. © Max Wochinger

Traumhafte Lage: Die Jugendherberge am Walchensee ist ein Idyll, das ein wenig in die Jahre gekommen ist. © Max Wochinger

Zweieinhalb Millionen Euro veranschlagt Rico Hofmann, um seine Jugendherberge zu modernisieren. © Max Wochinger

Walchensee – Die Aussicht ist einmalig, zum See sind es nur wenige Meter: Die Jugendherberge am Walchensee im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen ist ein Juwel im Oberland. Jedes Jahr übernachten hier bis zu 12 000 Gäste. Doch hinter der altehrwürdigen Fassade bröckelt es – und zwar schon länger: Die Fenster müssten ausgetauscht werden, es fehlen Steckdosen und Lichter, 35 Gäste müssen sich zwei Toiletten und Duschen teilen. Die Ausstattung der Herberge ist auf dem Stand der 1990er-Jahre, doch für Baumaßnahmen fehlt das Geld. Das Kleinod am Walchensee ist kein Einzelfall. Die Jugendherbergen in Bayern hatten erst vor wenigen Wochen einen Hilferuf abgesetzt. Sie fordern mehr Hilfe von der Staatsregierung. Oder es könnte mancherorts bald zappenduster werden.

1935 wurde das Haus vom Jugendherbergswerk gebaut. 101 Betten stehen darin, viele in Sechs- und Acht-Bett-Zimmern. Es gibt einen großen Speise- und Gemeinschaftssaal sowie einen Aufenthaltsraum mit Tischtennisplatte. „Wir haben das ganze Jahr geöffnet“, sagt Leiter Rico Hofmann. „Es kommen vor allem Schulklassen und Gruppen zu uns und viele Familien aus München.“ Übernachten darf hier nur, wer Mitglied im Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) ist, einem gemeinnützigen Verein mit Sitz in Detmold.

Sechs Mitarbeiter kümmern sich um die Gäste am Walchensee; die Hauptsaison geht von Mai bis Ende Oktober. „Im Sommer haben wir so viele Anfragen, dass wir das Haus doppelt belegen könnten“, sagt Hofmann. Dennoch sorgt er sich. Die Gäste könnten in Zukunft weniger werden, denn die Herberge ist in die Jahre gekommen – und für viele Gäste zunehmend unattraktiv. Das geht schon mit der Barrierefreiheit los. Die gibt es hier nicht. „Wir haben keine Aufzüge. Das ist ein Problem, weil wir für alle Mitglieder offen sein wollen“, sagt Hofmann. Es fehlen auch ebenerdige Zugänge.

Der Modernisierungsbedarf ist groß: bei der veralteten Ölheizung und beim ungedämmten Dach. Und bei den Fenstern. „Das sind die Originalfenster von 1935“, erklärt Hofmann. Sie sind einfach verglast und Ressourcen-fressend. „Wir haben Heizkosten von 20 000 Euro im Jahr“, beklagt der Herbergsleiter.

Das nächste Problem ist die Elektrik, denn an den Betten gibt es keine Lampen und keine Steckdosen. Hofmann führt in ein Sieben-Bett-Zimmer im zweiten Stock. „Am Eingang gibt es hier zwei Steckdosen – für sieben Gäste. Das war‘s. Aber besonders unsere jungen Gäste brauchen Steckdosen, damit sie ihre Smartphones laden können.“ Oder das Thema Toiletten. „Wir haben 19 Zimmer, aber nur drei Zimmer haben ein WC“, sagt Hofmann. Die Gäste in den anderen Zimmern müssen sich Gemeinschaftstoiletten auf den Fluren teilen. Zudem dauere es manchmal einige Minuten, bis Warmwasser aus den Hähnen komme. „Das liegt an der alten Technik hier. Die letzten Modernisierungsmaßnahmen in Teilen des Hauses waren in den 90ern.“

Das Haus am Walchensee ist eines von 47 des Jugendherbergswerks in Bayern, in ganz Deutschland sind es rund 400. „Zwei Drittel der Häuser in Bayern sind in einem guten bis sehr guten Zustand“, sagt Marko Junghänel vom Landesverband Bayern. Beim Rest gebe es Sanierungsbedarf. „Es ist nicht so, dass die Herbergen morgen zusammenstürzen. Aber es braucht dringend Modernisierungen, damit wir unser Angebot besonders auf dem Land aufrechterhalten können.“

Aber es fehlt an Geld. Die Kosten für den laufenden Betrieb sollen die einzelnen Häuser selbst erwirtschaften, sagt Junghänel. Doch für die Modernisierung bräuchten sie Hilfe. Die komme zwar durch die Beiträge der 2,3 Millionen Mitglieder in Deutschland, doch alleine könne das Jugendherbergswerk die Mammutaufgabe nicht stemmen. Bisher bekommt der Verein Unterstützung vom Kinder- und Jugendprogramm der bayerischen Staatsregierung. 1,45 Millionen Euro seien das pro Jahr, sagt Junghänel. „Aber das sind umgerechnet nur gut 30 000 Euro pro Herberge.“ Viel zu wenig für die nötigen Umbaumaßnahmen, sagt der Sprecher des Landesverbands Bayern. Rund 100 Millionen Euro würden die Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen aller Jugendherbergen in Bayern kosten. Ohne staatliche Investitionshilfen drohe „ein Schrumpfen des Netzes“ an Jugendherbergen, vor allem im ländlichen Raum, warnt auch Winfried Nesensohn, DJH-Vorstand in Bayern (siehe Interview).

Rico Hofmann hat für sein Haus am Fuße des Herzogstands schon eine Rechnung aufgemacht. Zweieinhalb Millionen Euro brauche es, großzügig gerechnet. „Die Ansprüche unserer Mitglieder sind einfach gestiegen. Sie wollen keine Gemeinschaftstoiletten mehr, sondern mehr Komfort.“ Zumal der Aufenthalt seinen Preis hat: 169 Euro kostet eine Übernachtung mit Frühstück für eine vierköpfige Familie. „Das ist vielen zu teuer, vor allem für den Komfort, den wir zu bieten haben“, sagt Hofmann. Auch Schüler würden nicht mehr im Sechs- oder Acht-Bett-Zimmer schlafen wollen, sondern in Vierer-Zimmern.

Heuer habe er schon eine Trendwende beobachten können, sagt Hofmann. „Wir haben weniger Anfragen bekommen. Vermutlich, weil wir eine bestimmte Preisschwelle erreicht haben.“ Hofmann vermutet, dass einige Gäste in Ferienwohnungen, Airbnb’s oder Hotels abwandern könnten, weil sie dort den Komfort bekommen, den sie erwarten. „Wenn uns auch die Schulgruppen wegbrechen, wäre das ein großes Problem.“ Zumal es auch um die Gemeinschaft gehe: „Hier kommen Kinder und Jugendliche zusammen, und Eltern spielen gemeinsam Karten. Es wäre schade, wenn es das nicht mehr gäbe.“

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