Die Bürokratie wächst vielen Firmen über den Kopf. Beim Protest dagegen ist Manfred Gößl vorn dabei, wenig regt den Chef der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern so auf wie die überbordende Regelungswut im Land. Wird‘s besser? Wirklich? Wir sprechen mit Gößl (58) darüber.
Lassen Sie uns über Bürokratie reden. Oder kommt Ihnen das Thema schon zu den Ohren raus?
Ja! Das ist seit Jahren das absolute Top-Ärgernis in der Wirtschaft, noch vor Steuern, Arbeitskosten, Fachkräftemangel.
Sie hatten 2024 eine Umfrage zusammen mit Ifo. Eine der heikelsten Aussagen: Die Firmen halten die vielen Bürokratie-Abbau-Ideen für leere Versprechen. Ist das noch so?
Leider schon. Die große Mehrheit der Firmeninhaber glaubt nicht mehr an den Rückbau der Bürokratie. Tenor: „Das hat man uns schon so lange versprochen, schon zu Merkel-Zeiten!“ Tatsächlich sind ja seit 2010 die Normen um ein Fünftel aufgewachsen. Wir ersticken daran! Ich will nicht wie Elon Musk alle Leute in der Verwaltung rausschmeißen, aber es braucht endlich den Mut, Regeln abzuschaffen.
Welche Ebene ist die treibende Bürokratie-Kraft?
Vor allem Berlin, aber in den letzten Jahren ganz massiv auch Brüssel. Die EU-Vorgaben zu Lieferkette, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Finanzsektorregulierung, Chemikalienregulierung usw. sind immens. Dazu kam in den letzten Jahren die deutsche Krankheit, auf jede EU-Regelung noch was draufzupacken. Aber – ich will ja auch mal was Gutes sagen – in der neuen Bundesregierung ist zumindest die Erkenntnis da, dass das nicht so weitergehen darf. Und auf EU-Ebene werden der „Green Deal“ und seine immensen Bürokratielasten gerade zurückgestutzt.
Was nervt die Firmen? Datenschutz? Berichtspflichten? Trägheit?
Unsere Zahlen ergeben: An erster Stelle stehen bei 80 Prozent der Firmen die Nachweis- und Dokumentationspflichten, etwa bei Arbeitsschutz, Hygieneregeln, Mindestlohn oder Minijob. Platz 2: die statistischen Berichtspflichten. Dann folgt der Datenschutz. Das alles trifft übrigens Soloselbstständige und kleine Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern ja noch viel härter. Sie müssen im Durchschnitt sieben Prozent der vorhandenen Arbeitszeit dafür einsetzen. Mehr als die Hälfte der Betriebe werden von trägen Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren belastet.
Beauftragte für Leitern, Laser, den Hydraulikschlauchbeauftragten – die Pflichten gibt‘s wirklich?
Ja. Zum Glück hat die neue Bundesregierung zumindest in den Koalitionsvertrag geschrieben: Die Betriebsbeauftragten schaffen wir ab.
Wie viel kostet uns die übertriebene Bürokratie?
Die gängige Zahl vieler Studien sagt: 60 Milliarden Euro pro Jahr bundesweit allein durch Arbeitszeitverlust. Wir haben mit Ifo nun eine genauere Zahl ermittelt, die Folgen, etwa durch zähe Verwaltungsverfahren, einrechnet. Würden wir eine geringere Bürokratielast wie etwa in Schweden anwenden, wären es bundesweit – Achtung, festhalten! – 146 Milliarden mehr Wirtschaftsleistung. In Bayern sind das ungefähr 25 Milliarden Euro. Pro Jahr!