Tegernsee/Kreuth – Beim Blick aus dem Fenster sieht Johannes Hagn, wie sich Auto um Auto am Rathaus vorbeischlängelt. Da weiß der Bürgermeister der Stadt Tegernsee, dass Parkplätze auch an diesem Sommertag Mangelware sein werden. Dem Ausflugsverkehr ergibt man sich im schönen Tegernseer Tal. Dafür haben die Kommunen aber an einem anderen Brennpunkt durchgegriffen. Hier, wo Wohnraum sakrisch teuer und immer knapp ist, werden alle, die nur am Wochenende in ihrer Wohnung nächtigen, zur Kasse gebeten.
Tegernsee hatte die Zweitwohnungsteuer 2018 als erste der fünf Talkommunen von zwölf auf 20 Prozent der Nettokaltmiete angehoben. Kreuth, Gmund, Bad Wiessee und Rottach-Egern zogen nach. Johannes Hagn (CSU) erinnert sich an die Horror-Studie, die das Institut der Deutschen Wirtschaft zuvor für den Kreis Miesbach erstellt hatte: „Grad an kleinen Wohnungen hat es massiv gefehlt: Es gab 79 Prozent zu wenig Ein-, 31 Prozent zu wenig Zwei- und 44 Prozent zu wenig Drei-Zimmer-Wohnungen. Gleichzeitig stieg die Zahl an Zweitwohnsitzen bei uns in Tegernsee kontinuierlich: 2008 waren es 373, 2017 sogar 464.“
In die Breite kann die 3700-Einwohner-Stadt nicht wachsen. Von 2010 bis 2016 ist die Zahl der Wohngebäude um 50 angestiegen, vor allem durch Einfamilienhäuser. Aber die Zahl der Wohnungen in Mehrparteienhäusern sank. Schlechte Karten für Normalverdiener und Fachkräfte, die Gastronomie, Hotels und andere Betriebe in der Urlaubsregion dringend brauchen. „Für die Steuererhöhung hat sich der Stadtrat auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes berufen: Ein Lenkungszweck darf verfolgt werden, was bei uns das Zurückdrängen von Zweitwohnsitzen ist, um Wohnraum für die lokale, arbeitende Bevölkerung zu schaffen“, erklärt Hagn. Passé ist das Problem nicht. „2024 waren 461 Zweitwohnsitze gemeldet, wir konnten einen Anstieg verhindern.“
Der Kampf gegen die „Syltisierung“ geht in Tegernsee weiter. Der Begriff beschreibt das Schicksal der Nordsee-Insel, die die meisten Einheimischen wegen Overtourism verlassen haben. Mit einer Zweitwohnungsteuer von 20 Prozent rufen die Talgemeinden übrigens einen Spitzensatz auf – wie Starnberg, Garmisch-Partenkirchen, Lindau und Berlin. Für Bürgermeister Johannes Hagn ist noch Luft nach oben: „Kommendes Jahr könnte wohl eine Erhöhung auf 25 bis 27,5 Prozent beschlossen werden.“
1,1 Millionen Euro pro Jahr verdient Tegernsee aktuell durch die Steuer. Das Geld darf nicht einfach eingesackelt werden, es wird in Wohnraum investiert. Für rund 10 Millionen Euro hat die Stadt über die Steuer schon Immobilien gekauft. „Rund 18 Euro kostet der Quadratmeter einer Mietwohnung hier aktuell“, sagt Hagn. „Die Stadt kann neun Euro pro Quadratmeter anbieten.“
Ein paar Kilometer weiter sträubt sich auch Kreuth gegen Rollläden, die den Großteil des Jahres geschlossen sind, während andere händeringend Wohnungen suchen. Das Bergsteiger-Dorf mit 20 Ortsteilen, wovon die meisten vom Tourismus leben, hat 2019 neben der Erhöhung der Zweitwohnungsteuer sogar eine „Anti-Zweitwohnungs-Satzung“ erlassen. Das Baugesetzbuch ermöglicht dieses Schlupfloch für Gemeinden mit Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen. Laut Kreuths Bürgermeister Josef Bierschneider (CSU) lasse die Satzung die Umwandlung in Zweitwohnungen oder gar deren Neubau ohne Genehmigung nicht mehr zu.
Seit 2019 ist die Zahl der Nebenwohnsitznehmer von 400 auf 353 geschrumpft. „Die allermeisten Anträge lehnen wir ab – und das hat sich rumgesprochen“, sagt Bierschneider. Wird ein Grundstück im Tal verkauft – etwa, weil jemand eine Erbschaftsteuer bei den hohen Preisen nicht berappen kann –, schlägt oft ein Investor zu. „Jetzt warnen die Bauträger aber Kunden offenbar schon davor, dass man neue Wohnungen in Kreuth als Zweitwohnsitz nicht mehr verkauft bekommt.“ CORNELIA SCHRAMM