Die Touristen-Flut zum Eibsee

von Redaktion

Beliebter Selfie-Ort: Die Aussichtsplattform auf der Zugspitze. © IMAGO

Der Ort lebt vom Tourismus, sagt Bürgermeister Märkl.

Die „bayerische Karibik“ zieht viele Instagram-Nutzer an – etwa die Brasilianerin Anghelini.

Viel los am Eibsee: Der Parkplatz vor der Zugspitzbahn quillt zu Spitzenzeiten über. © Fotos: Peter Kornatz, Thomas Sehr, Imago

Grainau – An einem verregneten Juninachmittag unter der Woche geht es im Zugspitzdorf Grainau gemütlich zu. Kühe grasen, Anwohner fahren ihre Markisen ein – und auf dem Parkplatz am Eibsee sind noch mehr als 400 Plätze frei. Von einer derart ruhigen Verkehrslage können die Grainauer in den kommenden Wochen, wenn die touristische Hochsaison beginnt, wahrscheinlich nur noch träumen. Denn die Gegend um den Eibsee ist so schön, dass sie an Sommerwochenenden von Tagesausflüglern regelrecht überflutet wird.

Dort, wo andere Urlaub machen, lebt Mauritius Kowalski. Seit mehr als 40 Jahren wohnt er in der kurvigen Straße, die zum Eibsee führt – eine idyllische Lage. Für den Physiotherapeuten ist sie aber manchmal auch lästig. Seine Praxis befindet sich in der Mittenwalder Straße in Garmisch-Partenkirchen. Bei wenig Verkehr braucht er für die Strecke mit dem Auto ungefähr 20 Minuten. Wenn aber im Sommer die Touristenmassen in der Region ankommen und sich eine kilometerlange Blechkolonne bildet, muss Kowalski mit einer zwei- bis dreimal so langen Fahrtzeit rechnen. „Bei schönem Wetter weiß ich, dass ich von Grainau bis zur Ampel in Garmisch im Stau stehen werde“, sagt er. „Das sind schlicht und einfach Zustände, die für die Bewohner nicht auszuhalten sind.“

Grainaus Bürgermeister Stephan Märkl (CSU) wohnt ebenfalls in der Eibseestraße. Er kann Kowalskis Ärger nachvollziehen, merkt jedoch an, dass der Tourismus an den meisten Tagen keine enorme Belastung sei, der Ort lebe auch davon. Grundsätzlich könnten die Grainauer mit der hohen Anzahl an Urlaubern gut umgehen. „Der Tourismus ist bei uns im Ort historisch gesund gewachsen. Wir haben genau so viele Gästebetten wie Einwohner, aber der Übernachtungsgast fällt bei uns nicht auf. Die Infrastruktur ist mitgewachsen.“ Lediglich an bestimmten Tagen während der bayerischen Sommerferien spitze sich die Lage in dem Dorf mit rund 3600 Einwohnern zu. Das liege dann aber nicht an den Übernachtungsgästen, sondern an den Tagesausflüglern.

Auch Kowalski sieht in den Tagestouristen das größere Problem: „Die Allermeisten, die in der Stau-Schlange zum Eibsee stehen, fahren nur hin, um ein Foto an einem der beliebten Plätze zu machen.“ Vorne in der Nähe des Parkplatzes würden sich die Massen drängen, während am hinteren Teil des Sees gar nichts los sei. Bürgermeister Märkl kann das Phänomen „Insta-Hotspot Eibsee“ bestätigen. Seit 2017 habe sich in den Sozialen Medien ein immer größerer Wirbel um den See entwickelt.

Auf Plattformen wie Instagram oder Tiktok sind tausende Beiträge zum Eibsee zu finden, in denen er als „der schönste See Deutschlands“ oder „die bayerische Karibik“ bezeichnet wird. Es gibt auch englische Kurzvideos, die den See anpreisen. „The most beautiful place in Germany is only 1,5 hours from Munich“ (Der schönste Ort Deutschlands ist nur eineinhalb Stunden von München entfernt), heißt es zum Beispiel. Durch einen derartigen Beitrag hat auch die Brasilianerin Mariluz Anghelini vom Eibsee erfahren. Bei ihrem Besuch Mitte Juni fuhr sie dann aber nicht nur für ein Foto hin, sondern umrundete einmal den See und staunte über „die verschiedenen Grün- und Blautöne“. „Mir hat der See sehr gut gefallen, ich würde gerne wiederkommen – nächstes Mal vielleicht im Winter“, sagt sie.

Soziale Medien spielen auch im wenige Kilometer entfernten Garmisch-Partenkirchen beim Tourismus eine immer größere Rolle. „Foto-Schlangen wie am Eibsee gibt es im Ort selbst nicht, aber die Partnachklamm ist schon ein Hotspot“, erklärt Walter Rutz, Geschäftsführer der Garmisch-Partenkirchen Tourismus GmbH. In der Klamm, die jährlich hunderttausende Besucher anlockt, stehen deshalb seit 2020 Drehkreuze, um den stetigen Strom an Wanderern besser zu kontrollieren.

Wie in Grainau gibt es auch in Garmisch-Partenkirchen ein hohes Verkehrsaufkommen. „Wir sind für viele ein Durchfahrtsort auf dem Weg nach Österreich oder Italien“, sagt Rutz. Die Staus ließen oft das Gefühl entstehen, der Ort platze aus allen Nähten, obwohl die Fußgängerzone halb leer sei.

Doch viele Touristen fahren nicht nur durch, sondern bleiben in der Region, um sich etwa die Zugspitze oder die Partnachklamm anzusehen. Allein von Mai bis Oktober 2024 gab es im Ort mehr als eine Million Gästeübernachtungen. An Hochfrequenztagen kommen noch tausende Tagesausflügler hinzu. Von Massentourismus wie in Barcelona könne man in Garmisch-Partenkirchen dennoch nicht sprechen, so Rutz. Deshalb ergreife man noch keine aktiven Maßnahmen, um die Touri-Ströme zu begrenzen. „Wir leben hier ja von Tourismus“, erklärt Rutz. „Ich verstehe auch jeden, der unsere schöne Region besuchen möchte.“

Anwohner Kowalski in Grainau kann ebenfalls nachvollziehen, warum Touristen aus aller Welt das Naturparadies vor seiner Haustür bestaunen wollen. Er möchte es auch niemandem verbieten, wünscht sich jedoch klarere Regeln, um das Verkehrsproblem zu lösen. Bürgermeister Märkl sagt, die Gemeinde Grainau habe schon viel probiert. Nachdem 2020 hunderte Menschen gegen den massiven Ausflugsverkehr protestierten, wurde ein privates Unternehmen engagiert, um die Zufahrtsstraße zu sperren, wenn der Parkplatz voll war. Das habe gut funktioniert, bis die Firma am Pfingstmontag 2023 die Zusammenarbeit beendete, so Märkl. „Die Mitarbeiter wurden von den Touristen, die umdrehen mussten, zu oft beschimpft.“

Im Sommer 2024 waren die Zustände in der Eibseestraße laut Märkl dann besonders chaotisch. Deshalb überlegte man, eine Schranke aufzustellen, um die Zufahrt zu beschränken. Doch daraus wurde nichts: „Die Straßenverkehrsordnung verbietet es, da geht gar nichts.“ Der Landkreis arbeite nun stattdessen an einem neuen Buskonzept. Kowalski hält davon nicht viel: „Mehr Shuttlebusse einzusetzen, bringt nichts – die stehen auch nur mit im Stau.“

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