Geteilte Insel mit Mammutaufgabe

von Redaktion

„Lasst unsere Brüder und Schwestern in Ruhe“: Demo in Nikosia nach rechten Ausschreitungen gegen Migranten. © Getty

Rettungskräfte bringen immer wieder Bootsmigranten vor der Küste Zyperns in Sicherheit. © Getty

Migranten mussten im Jahr 2022 das Lager Pournara verlassen, nachdem es hier zu Ausschreitungen gekommen war. © Getty

Larnaka – Die Frau auf dem Lazarusplatz trägt ein ockerfarbenes Hosenkleid und Hidschab. Sie hat auf dem weiten Platz in der Hafenstadt Larnaka offensichtlich die Orientierung verloren und wendet sich an eine Passantin. „Immigration?“, fragt sie in gut verständlichem Englisch. Die Angesprochene deutet auf die Ágios-Lazaros-Kirche, deren stuckverzierter Turm an diesem Morgen besonders prachtvoll in den makellos blauen Himmel ragt. „Dort wird man ihnen helfen“, entgegnet sie.

Mit einem scheuen Lächeln bedankt sich die junge Hilfesuchende. Sie stammt aus Afghanistan, das wieder zum Land der Taliban geworden ist. So wie sie haben im vergangenen Jahr mehr als 400 Menschen aus Afghanistan Zuflucht in der Republik Zypern gefunden. Das Land im Mittelmeer, geteilt in einen türkisch besetzten Norden und einen griechisch geprägten Süden, ist seit 2004 Teil der EU. 2024 verzeichnete es knapp 6800 Asyl-Erstanträge, sechs Prozent aus Afghanistan, fünf aus dem Iran, die Mehrheit mit 62 Prozent aus Syrien – dessen Westküste keine 100 Kilometer entfernt liegt.

Inklusive laufender Verfahren stemmte die Republik Zypern rund 21 000 Asylverfahren – bei knapp 1,3 Millionen Einwohnen. Zum Vergleich: Das EU-Mitglied Ungarn hat fast zehnmal mehr Einwohner und ist, gemessen am BIP pro Kopf, nur etwas weniger wohlhabend. Gerade mal 29 Flüchtlinge konnten hier 2024 einen Erstantrag stellen.

Anders als Ungarn teilt sich die kleine Republik Zypern mit Ländern wie Italien, Spanien und Polen die große Aufgabe, Außengrenzen der EU zu sichern. „Auf Zypern wissen wir, was es heißt, im Krieg zu leben. Daher ist unsere Bereitschaft hoch, Menschen in Not zu helfen“, sagt Marios Ellinas, Geschäftsführer eine Hotelkette.

Als Kind hat er 1974 nach dem Angriff türkischer Invasoren einen kurzen wie verlustreichen Krieg erlebt. Seine Familie musste die einst wichtigste Handelsstadt Famagusta verlassen, wo sie seit Generationen gelebt hatte. Wie Ellinas erging es 160 000 griechischen Zyprioten, die vom Norden in den Süden umsiedeln mussten. Etwa 45 000 türkische Zyprioten verließen wiederum ihre Dörfer im Süden. Im international nicht anerkannten Nordzypern ist türkisches Militär nach wie vor stark präsent.

Doch der Konflikt hat sich entspannt. Zyprioten und Urlauber aus der EU können die Grenze an zehn Übergängen problemlos passieren. Einer der Übergänge liegt sogar in der Fußgängerzone von Nikosia, der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Ellinas besucht die alte Heimat häufig. Mit dem Auto fährt er eine halbe Stunde, passiert die Pufferzone, die auch nach 51 Jahren noch von Blauhelmen kontrolliert wird, und gelangt bald nach Famagusta.

Als Geschäftsmann weiß Ellinas nur allzu gut, dass die Insel auf Zuwanderung angewiesen ist. Deshalb beschloss die Regierung vor eineinhalb Jahren, dass Asylbewerber nach neun Monaten eine bezahlte Arbeit aufnehmen dürfen. Vor allem im Tourismus und in der Landwirtschaft werden Leute gesucht. Indes beklagen Unternehmer die lähmende Bürokratie. Bis eine Genehmigung eintrudelt, sei die Ernte längst eingefahren, klagt der Chef eines Agrarbetriebs. Auch wegen solcher Missstände floriert die Schwarzarbeit.

Nicht jeder in Zypern heißt Migranten willkommen. Einen traurigen Tiefpunkt erlebte das eigentlich so weltoffene Land im Sommer vor zwei Jahren: Binnen weniger Tage machten Horden Rechtsradikaler bei Paphos und in Limassol Jagd auf Mitmenschen. In Chloraka waren syrische Flüchtlinge Opfer des Mobs, in Limassol war jeder in Gefahr, in dem die Gewalttäter glaubten, einen Ausländer zu erkennen. Es gab Schwerverletzte, die Polizei nahm 34 Personen fest.

Für die Insel war das ein Schock. Mehr als ein Dutzend Organisationen schlossen sich zu einem Bündnis gegen Fremdenhass und Gewalt zusammen. Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis sagte: „Ich schäme mich für das, was geschehen ist. Es darf nicht sein, dass der Staat Bürger und Ausländer nicht schützen kann.“ Das war auch ein Rüffel für die Polizei, die nicht entschieden genug eingeschritten war.

Die Insel war überlastet, die Aufnahmelager überfüllt. Die Flüchtlingszahlen mussten runter. In der EU suchte Präsident Christodoulidis deshalb – kurz nachdem Ende 2024 das Assad-Regime gestürzt worden war – nach Unterstützern für die Idee, Teile Syriens zu sicheren Herkunftsregionen zu erklären. Er scheiterte. Zypern erklärte daraufhin, Syrer könnten zwar weiterhin Asyl auf Zypern beantragen, aber ihre Anträge würden bis auf Weiteres nicht bearbeitet.

Unterdessen sanken die Flüchtlingszahlen in den ersten zwei Monaten dieses Jahres auch ohne diesen Aktionismus: 622 Menschen suchten Zuflucht, 2977 waren es im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Mehrere hundert Syrer haben Zypern inzwischen aus freien Stücken verlassen, um in ihr fragiles Land zurückzukehren.

Aber nicht jeder ging freiwillig. Menschenrechtler verzeichneten in dieser Zeit zwei unrechtmäßige Pushbacks in zyprischen Gewässern, bei denen 62 Menschen widerrechtlich nach Syrien zurückgebracht worden seien. Bereits 2024 war die Regierung wegen eines Pushbacks verurteilt worden. Man sieht: Selbst im hilfsbereiten Zypern bewegt sich die Asylpolitik zeitweise am Rande der Legalität.

Und dann ist da noch das Problem mit den Zuständigkeiten auf der geteilten Insel. In der Pufferzone, die Ellinas regelmäßig durchquert, waren im Mai 2024 Flüchtlinge aus Kongo, dem Iran, Syrien, Sudan, Somalia und Afghanistan gestrandet. Sie waren aus Nordzypern gekommen. Das Innenministerium hatte entschieden, die Menschen seien via Türkei auf die Insel gelangt und sollten sich deshalb auch dorthin wenden. Fast drei Monate harrten die Menschen in der Sommerhitze in Zelten aus. Die EU rüffelte Zypern dafür.

„Die Praxis der Umverteilung ist inzwischen völlig zum Erliegen gekommen“, kritisiert Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, „dabei wäre es künftig sicher hilfreich, wenn Staaten an den Außengrenzen der EU bei Überlastung zumindest jene Flüchtlinge umverteilen könnten, deren Asylanträge hohe Chancen auf Erfolg haben.“

Genau das sehen die neuesten Pläne der EU vor: Im Juni 2026 wird eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wirksam. Heißt: Bei Überforderung eines Mitgliedstaats soll die EU-Kommission festlegen, wie andere Länder helfen. Mitgliedstaaten könnten Zypern dann Migranten abnehmen (Umsiedlungen) oder für Zypern Rückführungen abgelehnter Asylbewerber durchführen. Ebenfalls möglich: finanzielle oder technische Hilfen. Doch Politikberater Engler zweifelt, dass das GEAS Zypern helfen wird. „Die Regeln des Reformpakets sind nicht bindend. Und immer mehr einflussreiche Staaten in der Union gehen gerade in Richtung Abschottung.“

Auf Zypern, wo die Menschen Mitte Juni die Raketen am Nachthimmel leuchten sahen, die der Iran auf Israel abgefeuert hat, wird die Regierung besonders von einer Furcht geplagt. Sie gründet in einem gängigen nordzyprischen Geschäftsmodell: Für die vielen privaten und halbstaatlichen Hochschulen des Nordteils erteilt die Türkei jungen Leuten aus aller Welt freizügig Studentenvisa. Nicht wenige der Gaststudenten stammen aus despotischen Ländern und verlassen den Norden, sobald sie jemanden finden, der sie gegen Bezahlung über die Grenze bringt – oder eben in die Pufferzone.

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