Denise Treffler ist mit dem Turnier aufgewachsen. © Hawe
In Maske und Kostüm wurde heuer besonders viel Mühe gesteckt. Ritterturnier (2)
Für die Unterhaltung der Besucher stellt man sich auf dem Ritterturnier auch mal auf den Kopf.
Spannendes Spektakel: Die Kämpfe sehen gefährlich aus – doch die Stuntmen wissen, wie man fällt. © Roch/PA
Kaltenberg – Noch ist die Arena von Schloss Kaltenberg leer. Fast. Lediglich ein Galgen steht auf dem Sandboden, bereit für die Proben, die in dieser Phase täglich intensiver werden. Bis zur Premiere des diesjährigen Ritterturniers wird jeder der über 300 Mitwirkenden die Abläufe, die sorgsam choreografierten Szenen und die Schaukämpfe der zweistündigen Show im Schlaf beherrschen.
Fans des nach eigenen Angaben weltgrößten Mittelalterspektakels fiebern schon auf den Moment hin, wenn sich unterhalb der Königsloge das Holztor zur Arena öffnet und die Reiter der französischen Stuntgruppe Cavalcade aus einer Nebelwolke hereingeprescht kommen. Was hinter dem Holztor liegt, bleibt den Besuchern verborgen. Doch man kommt dem Geheimnis von Kaltenberg auf die Spur, jedenfalls ein bisschen. Denn hier wird deutlich, wie viel Kreativität und Liebe zum Detail selbst im kleinsten Aspekt der Show stecken.
Heuer stapeln sich im Backstage-Bereich Requisiten für eine Marktszene – vollgestopfte Säcke, Fässer, Körbe, kleine und große Wagen. In den Säcken steckt altes Verpackungsmaterial. „Wir hassen Wegwerfen“, sagt Denise Treffler. Sie gehört zum Requisiten- und Kostüm-Team. Möglichst alles werde aufgehoben und wiederverwendet, Recycling und Upcycling sind wichtige Maximen, erklärt die 43-Jährige.
Die Ausstattung für die Show stammt in aller Regel aus eigener Herstellung. Auch der eingangs erwähnte Galgen wurde in der Werkstatt auf dem Schlossgelände gebaut. Und zwar so, dass man ihn während der Show in der Arena mit wenigen Handgriffen zusammensetzen und wieder auseinandernehmen kann. In der Handlung kommt er als Drohkulisse zum Einsatz, mehr nicht.
Die Anforderungen an jedes einzelne Requisit sind hoch. Manches klingt nach der Quadratur des Kreises. Um während der Szenenwechsel schnell auf- und abgebaut werden zu können, dürfen die Ausstattungselemente nicht zu schwer sein. Aber auch nicht so leicht, dass sie umfallen oder wegfliegen können. Nirgendwo dürfen scharfe Kanten oder sonstige Verletzungsrisiken lauern. „Und wenn ein Pferd drauftritt, darf auch nichts passieren“, sagt Denise Treffler.
Eine besondere Herausforderung für das Team sind in diesem Jahr die Hinkelsteine für eine Art nachgebautes Stonehenge – dreieinhalb Meter hohe Kolosse, die der befreundete Bühnenmeister der Bayerischen Staatsoper für die Show hergestellt hat. „Allein kann man sie nicht tragen“, so Denise Treffler. „Zu zweit geht’s. Wir haben uns Tragegurte angefertigt.“
Über die Staubbomben, die heuer für die Handlung gebraucht werden, hat sie sich länger den Kopf zerbrochen. Und viele Tests im heimischen Garten gemacht, bis sie die Lösung hatte: ein Kern aus Reissäckchen, umhüllt von Gazestoff und einer dicken Schicht Theaterstaub, das alles fest in ein Jutesäckchen eingewickelt. So sind weiche, ausreichend schwere Wurfpäckchen entstanden, die Staubwolken abgeben, dass es nur so eine Freude ist.
Denise Treffler kommt aus einem Nachbardorf von Kaltenberg und ist mit dem Ritterturnier aufgewachsen. 2017 spielte sie in der Show die Rolle einer Prinzessin. Später rutschte sie ins Backstage-Team hinein. Hauptberuflich arbeitet Treffler – ursprünglich Diplom-Informatikerin – als Stuntfrau für Film und Fernsehen. Sie ist regelmäßig in der Serie „Die Bergretter“ zu sehen („da bin ich jede Frau, der was passiert“) und hat auch schon mit Stars wie Nicole Kidman gedreht. In Kaltenberg lebt sie ihre kreative Ader aus.
„Was ich hier so toll finde, sind die unterschiedlichen Herausforderungen“, erzählt die 43-Jährige auf dem Weg zu den Kostüm-Containern. Hier hängen die Ritterrüstungen und geben ihr Geheimnis nur preis, wenn man sie berührt – die Kettenhemden sind gestrickt, die Brustpanzer, Armstulpen und Helme bestehen aus Leder, dem eine täuschend echt wirkende Metalloptik verpasst wurde.
Die Schutzwesten der Stuntreiter bleiben unter der Montur unsichtbar. Anders ist es bei den Kostümen der Frauen. „Die müssen ja immer ein bisschen sexy sein“, sagt Denise Treffler und zeigt ein knappes Oberteil aus Leder und dünnem Stoff, das eine Stuntreiterin tragen wird – mit nichts drunter. „So schmeißt sie sich vom Pferd.“ So viel Wagemut nötigt selbst Denise Treffler als Kollegin Bewunderung ab.
Für die Kostüme haben Treffler und die professionelle Gewandmeisterin und Kostümbildnerin Anja Gast heuer besonders intensiv die Köpfe zusammengesteckt. Hauptfigur im Stück ist diesmal eine Zofe, die sich in eine Ritterin verwandelt. Das muss auch optisch deutlich werden – aber wie? Die beiden kamen auf ein Mantelkleid, unter dem das Reitkostüm versteckt ist. „Mit extra kleinen Schulterteilen, damit sie nicht auftragen“, erklärt Treffler. „Wir brauchen hier immer wieder kreative Problemlösungen.“
Rund um die Arena entsteht derweil auf dem 40 000 Quadratmeter großen Schlossgelände die mittelalterliche Welt, die Kaltenberg-Fans so lieben. Die 150 Marktstände und fünf Bühnen für das mehrstündige Musikprogramm mit Gruppen wie Corvus Corax, Koenix und Tanzwut sind zum großen Teil schon aufgebaut. Die Gaukler und Akrobaten sind bereit, das von Laiengruppen gestaltete Lagerleben kann beginnen. „Es ist toll, dass alle so mit Herz und Seele dabei sind“, sagt Markus Wiegand, Pressesprecher der Ritterturnier Kaltenberg Veranstaltungs-GmbH.
Ihn freut auch, dass heuer die Badstube wieder geöffnet sein wird. Im letzten Jahr gab es keinen Betreiber, jetzt wurde ein neuer gefunden. Moritz Aps hat eigens einen neuen Zuber gebaut, in dem acht Gäste gemeinsam in 38 Grad warmem Wasser sitzen und „Wikinger-Wellness“ genießen können.
„Auf Wunsch gibt es auch kalte Güsse“, verspricht der 41-Jährige, der als Video-Editor in Pfaffenhofen an der Ilm lebt und nebenbei Saunameister ist. Während des Bades werden Kaltenberger Biere und selbst gemachte Liköre mit so klangvollen Namen wie „Lampenöl“ und „Rotbart“ gereicht. Einzig die Terminbuchung für die Badstube fällt etwas aus dem mittelalterlichen Rahmen. Sie funktioniert online.