Die Baywa entdeckt die Provinz wieder

von Redaktion

Auf großer Reise durch die Baywa-Standorte: Baywa-Chef Frank Hiller (Mitte) besucht den Agrarhandel des Konzerns in Indersdorf. Rechts von ihm Betriebsleiter Johannes Dick, links Regionalleiter Florian Stöckl. © Andreas Höss

Indersdorf – Der neue Baywa-Chef Frank Hiller steht auf dem Vorplatz eines Baywa-Agrarhandels im Gewerbegebiet von Indersdorf im Landkreis Dachau. Hinter ihm ragen Getreidesilos in den bewölkten Himmel, am Boden liegen Körner. Ein Landwirt holt Legemehl für Hühner, in der Halle stapeln sich Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel, im kleinen Büro warten Gummistiefel und Mäusefallen auf Käufer. Langsam geht die Erntesaison los, täglich fahren dann Traktoren auf das Gelände, weshalb sich Hiller bei Regionalleiter Florian Stöckl erkundigt, wie das Geschäft läuft. Gut, antwortet Stöckl – auch weil man ein neues Silo für Bio-Getreide gebaut habe. „Toll, dass wir Rückendeckung für die Investitionen bekommen haben“, sagt er.

Der Baywa-Boss in einer Filiale in der Prärie: Bis vor Kurzem war das eine Seltenheit. Hillers Vorgänger Klaus Josef Lutz habe bei ihm jedenfalls nie vorbeigeschaut, bestätigt Stöckl. Lutz jettete um die Welt, kaufte Apfelplantagen in Neuseeland, Spezialitäten-Händler in Rotterdam, saß beim Bayern-Basketball und bei Charity-Events oder in der Münchner Zentrale, die wie ein Bankenturm aussieht. Nach seinem Abgang war die Baywa ein Weltkonzern, hatte aber Milliardenschulden und schlitterte vor einem Jahr haarscharf an der Pleite vorbei. Das brachte Hiller im März in den Konzern, der nun das Ruder herumreißen muss. Seither hat er über 40 Standorte besucht, allein an diesem Tag vier. Seine Mission: Die Baywa wieder konsequent auf das Kerngeschäft vor Ort ausrichten.

Baywa soll wieder bodenständig werden

Die Basis dafür ist laut Hiller, der schon bei MAN, dem Traktor-Motorenbauer Deutz und dem Stallhersteller Big Dutchman gearbeitet hat, da: loyale Kunden, die seit Jahrzehnten auf die Baywa bauen. Auf dem Höhepunkt der Krise im letzten Sommer zweifelten viele Landwirte an der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Die meisten rollten dennoch mit ihren Traktoren zur Baywa und luden dort ihre Ernte ab, die der Agrarriese in die ganze Welt verkauft. Doch gute Kundenbindung allein reicht nicht, um das von den Baywa-Sanierern gesteckte Ziel zur erreichen: 530 Millionen Euro Vorsteuergewinn im Jahr 2028. 2024 schrieb die Baywa noch einen horrenden Verlust von 1,6 Milliarden Euro, was auch mit hohen Zinszahlungen und Wertberichtigungen bei wichtigen Töchtern wie der Erneuerbare-Energien-Sparte Baywa r.e. zu tun hat. Durch deren Verkauf soll das Unternehmen weitgehend entschuldet werden, außerdem werden 1300 Vollzeit-Stellen gestrichen.

Übrig bleibt eine Baywa, die an das erinnert, was der Traditionskonzern vor zwei Jahrzehnten war: ein großes Agrarhaus, das mit Getreide, Landmaschinen, Baustoffen und Kraftstoff handelt. „Hier wollen wir leistungsfähig bleiben“, verspricht Hiller. Der Großteil der Stellenstreichungen finde deshalb in der Zentrale und nicht draußen statt. Von den weit mehr als 400 Standorten würden auch nur 26 geschlossen, darunter viele kleine und alte. Kronach im Frankenwald etwa, ein beengtes Fachwerkhaus mit Scheunentoren aus Holz mitten in der Stadt, das wegen Denkmalschutz kaum modernisiert werden kann. Oder der Agrarhandel im niederbayerischen Gankhofen, der laut Baywa in einem Flutgebiet steht.

Für den Rest wird dagegen wieder Geld in die Hand genommen – zumindest ein bisschen. Laut Hiller werden etwa alle Abschreibungen reinvestiert, pro Jahr ist das immerhin ein zweistelliger Millionenbetrag. In Indersdorf wurde zum Beispiel das Bio-Silo gebaut, in Vilsbiburg ein Silo vergrößert und mit Waldkirchen und Bamberg gibt es sogar zwei ganz neue Baywa-Standorte. Ausbauwünsche haben außerdem fast alle Filialen. So wird der Baywa-Chef auf seiner Tour im Büro des Heizöl- und Kraftstoffhandels in Allershausen erfahren, dass man sich dort eine Tankinfrastruktur für den Biodiesel HVO 100 gut vorstellen kann. Und noch längst nicht jeder Baywa-Landmaschinenhandel ist so modern wie der in Feldkirchen, wo sich Hiller am gleichen Tag die Werkstatt ansieht. Die Hebebühne packt dort 30 Tonnen, der Hochdruckreiniger wird von Regenwasser gespeist und statt mit Diesel mit Strom aus der eigenen PV-Anlage betrieben. Und in der Halle finden sogar riesige Mähdrescher Platz.

Hiller will Standorte professionalisieren

„Es gibt auch rustikalere Standorte“, räumt Hiller ein und lässt damit etwas den Modernisierungsstau durchblicken. „In den vergangenen 15 Jahren ging es bei der Baywa viel um Internationalisierung, das Kerngeschäft wurde dagegen vernachlässigt.“ Deshalb gebe es viele „low hanging fruits“, so Hiller, einfache, aber fruchtbare Maßnahmen, um das Geschäft effizienter zu machen. Mehr Digitalisierung und Handel im Internet etwa, mehr Spezialisierung und Kooperation samt dem Aufbau zentraler Lager, damit nicht jeder Standort eine große Fläche braucht und alles vorhalten muss. Oder eine stärker von der Zentrale aus gesteuerte Preispolitik: Bisher konnten findige Landwirte und Baufirmen eine Filiale gegen die andere ausspielen, um bessere Preise zu erzielen. In Zukunft soll das nicht mehr so einfach gehen. Auch Zusatzgeschäfte mit Dienstleistungen sollen ausgebaut werden, etwa Bodenproben bei Landwirten, um den Dünger exakter auf die Felder abstimmen zu können.

Einige Dinge wurden bereits umgesetzt. Im Agrarhandel wurde zum Beispiel rund ein Drittel des Sortiments gestrichen. Dabei handelt es sich laut Hiller vor allem um Ladenhüter, die so lange im Regal lagen, bis man sie wegwerfen musste. „Das hat sich seit Jahren keiner mehr genau angesehen“, sagt er. Seit 1. Juli ist im Baustoffhandel zudem die Logistik vom Vertrieb getrennt. Baufirmen bestellen nun nach wie vor bei ihrem bekannten Baywa-Händler vor Ort. Ist die Baustelle aber weit weg oder der Posten woanders besser verfügbar, liefert ein anderer Standort aus. Wann sich das lohnt, ermittelt nun eine zentrale Software, die im Hintergrund arbeitet. Das spart Fahrtwege und Zeit und damit auch viel Geld.

„Bei der Baywa darf nicht mehr jeder Standort sein eigenes Ding machen“, sagt Hiller. Auf seiner Ochsentour fragt er deshalb immer wieder nach, was von den Neuerungen bereits umgesetzt wurde, was gut funktioniert und wo der Schuh noch drückt. Sie ist aber gleichzeitig eine Charmeoffensive bei den Mitarbeitern, die wegen Jahren des Desinteresses, der großen Unsicherheit im Konzern und wegen Gemeinheiten wie der jüngst verkündeten Kürzung des Weihnachtsgeldes auch bitter nötig ist. In Indersdorf nimmt sich Hiller deshalb Zeit, begutachtet das neue Bio-Silo, schaut ins Labor, in dem die Getreidelieferungen geprüft werden und wirft einen Blick auf das Sortiment im Laden. Auch Regionalleiter Stöckl bekommt das mit, lobt, dass man wieder genug Kapital bekommt, um Düngemittel und Saatgut zu kaufen

Ebenso wichtig ist für den Baywa-Mann Stöckl aber eine andere Sache: Wertschätzung. „Wir hier draußen werden endlich wieder von der Konzernzentrale gesehen“, sagt er. Und das ist immerhin ein Anfang.

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