Die Spätis kommen nach München

von Redaktion

Kult-Späti: Der Kiosk an der Reichenbachbrücke zieht seit mehr als 25 Jahren Nachtschwärmer an. © IMAGO/S.Gottschalk

Frisch im Späti-Geschäft: Avdal Alyas vom Cafékiosk in der Barer Straße freut sich übers gute Geschäft. © hud

Kein Schmarrn: Der Späti „Superschmarrn“ in der Schellingstraße hat nicht nur einen 24/7-Supermarkt, sondern auch eine Bar, einen Schanigarten und – natürlich – frischen Kaiserschmarrn. © Martin Hangen

München – Der Tag war heiß, und auch am Freitagabend hängt noch die warme Luft über der Stadt. Nechirvan Albezihi, von allen Nechi genannt, steht vor seinem Laden in der Maxvorstadt und begrüßt im Minutentakt seine Kunden: Handschlag, Schulterklopfer, Smalltalk.

Seit eineinhalb Jahren betreibt Nechi den Sina Shop in der Schellingstraße. Inzwischen kennt ihn die ganze Nachbarschaft – den Späti, der bis drei Uhr morgens offenbleibt. „Mindestens“, sagt er. Sein Laden ist knallvoll, deutscher Hip-Hop tönt aus den Boxen, unterm Neonlicht werden bis tief in die Nacht Bier, Hot Dogs, Zigaretten verkauft – während die Läden eigentlich in ganz Bayern um Punkt 20 Uhr schließen müssen.

Doch Kioske wie der Sina Shop schießen derzeit in ganz München aus dem Boden. In Berlin heißen sie Spätis, im Rheinland Büdchen, im Ruhrgebiet Trinkhallen – und in Bayern weiß man noch nicht so recht, wie man sie nennen soll. Denn hier ist das ein neues Phänomen: Einkaufen nach 20 Uhr? Undenkbar in Bayern, wo man sich zwar seit Ewigkeiten ums Ladenschlussgesetz zofft, am Ende aber doch nichts an den strengen Öffnungszeiten ändert. Erst am Donnerstag hat der Landtag eine äußerst komplizierte Novelle beschlossen, wonach manche Läden zwar künftig auch 24 Stunden geöffnet bleiben dürfen – allerdings betrifft das nur sogenannte E-Kioske ohne Personal, bei denen das Flaschenbier aus dem Automaten gespuckt und nicht über die Theke gereicht wird. Andere Händler dürfen an exakt vier Werktagen pro Jahr länger als 20 Uhr aufsperren.

Doch die Kioske wissen sich mit einem Trick zu helfen: Sobald sie zubereitete, verzehrfertige Speisen anbieten, dürfen sie offiziell eine „erlaubnisfreie Gaststätte“ betreiben – und bis auf eine Putzstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens die ganze Nacht geöffnet bleiben. Dafür reicht zum Beispiel schon eine Butterbreze im Sortiment, erklärt Beate Winterer vom Kreisverwaltungsreferat (KVR), nicht aber eine Tüte Chips.

Mittlerweile tummeln sich auf der Schellingstraße immer mehr Menschen in leichten Sommerkleidern, T-Shirts, Sonnenbrillen, Bierflasche in der Hand. Magdalena und Lena (beide 19) waren gerade noch bei einem anderen Kiosk in der Maxvorstadt, jetzt gibt es ein kühles Helles vor dem Sina Shop. „Wir ziehen von Späti zu Späti, vielleicht geht es später noch in einen Club“, sagt Magdalena. Die Studentinnen sind sonst eher in Bars unterwegs, heute aber freuen sie sich, günstig vorglühen zu können. „Zum Glück kommt die Späti-Kultur so langsam auch in München an“, meint Lena.

Direkt gegenüber stehen Luise, Anna und Sophia (alle 18) in einer Menschentraube vor einem weiteren Späti, dem Cafe Kiosk. „Wir kommen aus Regensburg. Da gibt es zwar auch immer mehr Spätis, aber das sind eigentlich nur Automaten“, sagt Luise. „Man schmeißt Geld rein, zieht sich ein Bier und geht wieder. Da hängt man nicht vor rum, so wie hier.“ Hier, in der Maxvorstadt, sei die Stimmung ausgelassen. Ein „guter Jugendtreff“, finden die Schülerinnen.

Für Anwohner ist das aber auch eine Herausforderung. So sehr man das belebte Viertel auch schätze, brauche es trotzdem eine „Balance im Miteinander“, sagt Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), Chefin des Bezirksausschusses Maxvorstadt, unserer Zeitung. „Dazu gehört Rücksichtnahme und Eigenverantwortung – massenhafte Ausgaben von Einwegbechern, das Überziehen von Freiflächen und nächtlicher Ausschank mit entsprechendem Lärm führen mittlerweile dazu, dass viele Anwohnende zu Recht genervt sind.“ Der Ausschuss ist deswegen im Austausch mit allen Beteiligten.

140 Meter entfernt vom Cafe Kiosk steht das Cafékiosk. Avdal Alyas ist ganz frisch ins Geschäft der Münchner Späti-Szene eingestiegen. Vor knapp zwei Monaten hat der 35-Jährige den Laden in der Barer Straße übernommen, ein kleiner Shop zwischen einem Reisebüro und einem koreanischen Restaurant. „Es läuft gut“, sagt Alyas und lächelt zufrieden. „Vor allem abends und am Wochenende.“ Es ist kurz nach acht, der Edeka auf der anderen Straßenseite hat gerade seine Rollläden runtergelassen. „Ab jetzt fängt das Geschäft an“, meint Alyas. Am meisten geht Bier weg, erzählt der Kioskbesitzer, vor allem Augustiner.

Damit Alyas’ Kiosk auch nach 20 Uhr geöffnet bleiben darf, muss er laut Vorschrift der Stadt München „eine Möglichkeit bieten, dass Gäste Getränke und Speisen auch an Ort und Stelle verzehren können“. Dafür reicht KVR-Sprecherin Winterer zufolge schon ein kleiner Stehtisch – beim Cafékiosk ist es eine schmale Holzbank auf dem Bürgersteig. In einer kleinen Vitrine bietet Alyas fertige Sandwiches in Plastikverpackungen an, es gibt Hot Dogs für 2,50 Euro und Espresso für 1,90 Euro. „München braucht mehr Spätis“, sagt der gebürtige Iraker. „Das macht die Leute glücklich: Sie wollen abends rausgehen, das schöne Wetter genießen. Sonst blieb nach acht immer nur die Tanke.“

Oder der Späti-Pionier an der Reichenbachbrücke. Der Kiosk dort hat Kultstatus. Seit über 25 Jahren tummeln sich dort Nachtschwärmer, die sich fast 24 Stunden, sieben Tage die Woche durch das Sortiment probieren können. Von über 300 Biersorten bis hin zu Pizza, Focaccia und Schnitzelsemmeln. Doch die steigende Konkurrenz macht sich auch dort bemerkbar. „Zum Beispiel sonntags haben wir früher nicht so lange Verkaufslücken gehabt wie heute“, sagt Besitzer Harald Guzahn-Thierer. „Dass es immer mehr Spätis gibt, kann ich als selbstständiger Einzelhändler nicht gutheißen“, gibt er zu. „Aber natürlich ist es auch das Normalste auf der Welt“, sagt der gebürtige Berliner.

Arbeiten bis spät in die Nacht, auch mal sonntags, ist für Firas Khalaf kein Problem. Er macht es sogar gerne. Khalaf ist Filialleiter des Bros Markt am Kolumbusplatz, der mehr Supermarkt als Kiosk ist.

In einem langen Regal steht dort die Handseife neben den Dosenbohnen, das Tafelsalz neben der Zahnpasta und den Kondomen. Zwischendrin die Nudelpackungen, wenn es am Wochenende mal mau im Küchenschrank aussieht. „Sonntags kommen tatsächlich mehr Menschen als freitags oder samstags“, sagt Khalaf.

Die Bros-Kioske sind fast schon wie eine Kette. Filialen sind in ganz München verteilt – am Romanplatz, Laimer Platz, Partnachplatz. „Du hast auf jeden Fall keine Geldprobleme, wenn du einen Späti hast“, verrät Khalaf. Er findet, die vielen neuen Läden sind „ein Gewinn für alle – für die Menschen, die Mitarbeiter und den Staat“.

Auch Bettina und Hendrik Schönenberg gehören zu den Späti-Fans. „Schon cool, dass bei uns in Untergiesing Spätis dazukommen“, sagt Hendrik Schönenberg. Weil sie die spontane Eis-Lust überkommen hat, machen sie kurz halt beim Bros Markt. Denn bei Heißhunger hilft manchmal nur der Späti.

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