INTERVIEW

„Russland finanziert seinen Krieg massiv über Schulden“

von Redaktion

Wie Putin trotz Sanktionen seine Kasse füllt – und der Ölpreisdeckel deswegen angepasst werden muss

Im Fokus: Mithilfe einer Schattenflotte umgeht Russland EU-Sanktionen auf Öl. © Moilanen/dpa

München – Umfassende US-Sanktionen gegen Russland rücken immer näher. Doch sind sie wirklich der „Vorschlaghammer“, wie von den Republikanern angekündigt? Simon Gerards Iglesias, Experte vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erklärt, welche EU-Sanktionen Russland bereits umgeht und wie Moskau wirkungsvoll sanktioniert werden kann.

Im US-Kongress befürwortet eine breite Mehrheit eine Verschärfung der Sanktionen. Ist das die notwendige Einheit gegen Putin?

Die Republikaner sowie die Demokraten sind daran interessiert, Russland zu schwächen. Gleichzeitig sind die geplanten 100-prozentigen Zölle für Handelspartner von Russland ein typisches Trump-Instrument. Er wird damit wieder eine extreme Handlungsfreiheit bekommen und diese willkürlich einsetzen.

Es ist also kein scharfes Schwert gegen Putin?

Zwar würden die Sanktionen die direkten Handelspartner Russlands hart treffen. Trotzdem würde sich der Handel immer weiter verschieben, so wie wir es in den vergangenen Jahren beobachtet haben. Und am Ende müsste man noch die ganze Welt sanktionieren.

Floriert der Handel mit Moskau noch immer?

Es gibt eine Reihe von Ländern, die noch mit Russland handeln – nicht nur China, Indien, die Türkei und Brasilien, sondern auch europäische Staaten. Italien zum Beispiel importiert noch eine signifikante Menge an Roheisen und Platinum, auch die deutsche Automobilindustrie benötigt Platinum, und Russland verfügt über die zweitgrößten Reserven der Welt. Sogar die USA selbst importieren noch immer Produkte wie Uran, Dünger und Edelmetalle im Wert von monatlich etwa 500 Millionen Dollar.

Putins Kriegskassen sind also gut gefüllt. Dabei hat auch die EU kürzlich ihr 17. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Was läuft da schief?

Das fundamentale Problem ist die mangelnde globale Abdeckung, die zu Schlupflöchern führt. Indien war vor dem Krieg ein unbedeutender Partner für Russland – jetzt importiert es mehr als doppelt so viel wie Deutschland vor Ausbruch des Kriegs. Und dieses Öl gelangt etwa in Form von verarbeiteten Produkten aus Indien in die EU. Aber auch mit uralten, unversicherten Schiffen – der Schattenflotte – umgeht Russland geltende Öl-Sanktionen.

Gleichzeitig kommt auch russisches Öl und Gas direkt in der EU an. Und seit Kriegsbeginn hat die EU für 32,7 Milliarden Euro russisches Flüssiggas importiert. Wie kann das sein?

Ungarn hat damals eine Ausnahme für Pipeline-Öl im EU-Rat hereinverhandelt. Flüssiggas (LNG) steht nicht einmal auf der Sanktionsliste der EU. Erst 2027 soll endgültig kein Gas mehr aus Russland in die EU fließen.

Welche Sanktion ist nicht so zahnlos?

Eine wirksame Sanktion gegen Russland ist der Ölpreisdeckel, der den Preis für russisches Erdöl deutlich abgesenkt hat und an den sich alle Länder halten.

Wie funktioniert der Mechanismus dieses Deckels?

Mit dem Ölpreisdeckel wird westlichen Dienstleistern – also in der Versicherungswirtschaft, Banken, Reedereien – verboten, russisches Erdöl zu transportieren, zu versichern oder in irgendeiner Weise daran beteiligt zu sein, wenn der Verkaufspreis über 60 Dollar pro Barrel liegt. Weil die westlichen Dienstleister weltweit eine monopolistische Stellung haben, findet Russland dann kaum noch Abnehmer, die einen Transport organisieren.

Aber dieser Deckel muss angepasst werden?

Ja. Weil Staaten wie Indien und China aufgrund des herbeigeführten Rabatts auf russisches Öl einfach viel mehr eingekauft haben, ist der Ölpreisdeckel zu hoch angesetzt. Russland hat also gerade keinen Einnahmeausfall mehr. Die russische Ökonomie aber steckt momentan in Schwierigkeiten. Russland finanziert deswegen seinen Krieg massiv über Schulden und Zwangskredite aus dem Inland. Und wenn die Ölexporteinnahmen wieder zurückgehen, wird dies noch mehr Druck auf den Haushalt und die Finanzierung des Krieges ausüben.

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