Operation Bundeswehr

von Redaktion

Die Truppe muss moderner werden: Boris Pistorius (SPD) gestern Nachmittag in Erding. © Peter Kneffel/dpa

Die Lage ist ernst: der Minister und die (gespielte) Kriegsverletzung. Pistorius besuchte gestern in München die Sanitätsakademie der Bundeswehr. © Tobias Hase/dpa

München/Freising – Er geht dahin, wo es richtig wehtut. Im Gebüsch, nicht weit von Boris Pistorius, liegt ein Soldat, offensichtlich schwer verletzt. Zwei Kameraden bergen und versorgen ihn, stabilisieren die Lage, stillen die Blutung, aufmerksam verfolgt vom Verteidigungsminister. Der sieht beinahe lässig aus mit seiner linken Hand in der Hosentasche, doch das täuscht. Entspannt ist hier gerade niemand.

An diesem Vormittag ist es nur eine Simulation, die der Gast in der Sanitätsakademie der Bundeswehr im Münchner Norden zu sehen bekommt. Die Waffen sind ebenso Attrappen wie das vermeintliche Opfer, aber der Ernst der Lage ist trotzdem allen bewusst. Seit drei Jahren kommen regelmäßig auch ukrainische Soldaten zur Ausbildung. „Da lernt man, was Krieg heißt“, weiß Hans-Ulrich Holtherm, Generalstabsarzt und Kommandeur der Akademie.

Ein Anstieg von 52 auf 152 Milliarden Euro

Der Bundestag mag sich in die Ferien verabschiedet haben, aber das hier sei ganz sicher „keine Sommerreise im klassischen Sinne“, stellt ein Bundeswehrsprecher klar, kurz bevor der Termin beginnt. Dafür sind die Zeiten zu ernst und der Handlungsdruck zu groß. Der Minister selbst weist wenig später darauf hin, man arbeite gerade mit maximalem Einsatz daran, „die Verlangsamung der letzten Jahrzehnte aufzulösen“. Personal, Material, Infrastruktur – die Bundeswehr hat auf vielen Feldern gelitten, gleichzeitig ist die Bedrohung so groß wie lange nicht mehr.

Pistorius (65) ist der Mann, der die Veränderungen anstoßen soll. Er kann unverkrampft über ein Projekt mit dem kolossalen Namen Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz referieren, mit dem Vergabeverfahren für die Ausstattung der Bundeswehr gestrafft werden sollen und über das bald das Kabinett entscheidet. Er verantwortet einen Wehretat, der in den nächsten Jahren auf ein gigantisches Maß anwachsen wird. Und er muss nicht nur das ganze Land von der Notwendigkeit einer stärkeren Bundeswehr – samt einer Rückkehr zur Wehrpflicht – überzeugen. Sondern vor allem seine eigene Partei, die SPD.

Auch das kann wehtun. Neulich auf ihrem Parteitag schrammten die Sozialdemokraten nur knapp an einem Eklat vorbei, der zulasten jenes Mannes gegangen wäre, der noch vor einem Jahr als potenzieller Kanzlerkandidat galt und bis heute der beliebteste Politiker des Landes ist. In vielen Hintergrundgesprächen konnte ein Antrag auf die radikale Ablehnung von Pistorius‘ Plänen noch entschärft werden. Der strebt zumindest eine verpflichtende Musterung für Männer ab 18 an, hat die Pläne aber spürbar abgeschwächt. Und dennoch schoben die Genossinnen und Genossen ihm noch einen Riegel vor.

Rund 180 000 Soldaten hat die Bundeswehr aktuell, in den nächsten Jahren soll sie auf 260 000 anwachsen. Das soll über mehr Freiwillige gelingen, aktuell sind es rund 10 000 jährlich. Nach dem sogenannten „schwedischen Modell“, das Pistorius befürwortet, sollen alle Männer und Frauen ab Jahrgang 2008 künftig mit 18 einen Fragebogen erhalten, der sich mit gesundheitlichen Themen befasst und dem Interesse, zur Bundeswehr zu gehen. Für Männer soll die Beantwortung Pflicht sein, für Frauen freiwillig. Geeignete Kandidaten würden dann zur Musterung eingeladen. Pistorius will den Dienst attraktiver machen, auch finanziell. Für die sechs Monate Grundwehrdienst könnte es monatlich rund 2000 Euro geben. All das klingt sehr konkret, auch wenn der Begriff Wehrpflicht unscharf ist.

In Wahrheit soll nicht jeder zum Dienst verpflichtet, sondern über verpflichtende Elemente die Zahl der Freiwilligen erhöht werden, im Jahr 2029 den Plänen zufolge auf 30 000. Der Parteitag machte trotzdem noch eine gewaltige Einschränkung. Man wolle gar keine verpflichtenden Bestandteile, „bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“. Man kann das realitätsfern finden wie führende Vertreter der Union, aber so kann Pistorius das natürlich nicht sagen, auch wenn Klartext ja eigentlich seine Stärke ist. Er weiß, wie schwierig es ist, jungen Menschen einen freiwilligen Dienst schmackhaft zu machen, wenn die Rahmenbedingungen so mäßig sind wie derzeit.

Der Termin an der Sanitätsakademie kommt ihm da sehr gelegen. Die Einrichtung genieße einen exzellenten Ruf, schwärmt Pistorius. Eine gute medizinische Versorgung sei auch „elementar für jeden, den wir für die Streitkräfte gewinnen wollen“. Künftige Soldaten müssten „die Gewissheit haben, dass der Sanitätsdienst da ist“, auf qualitativ wie quantitativ höchstem Niveau. Er sei das „moralisch-gesundheitliche Rückgrat der Truppe“.

800 Millionen für die Sanitätsakademie

Olaf Scholz hat vor dreieinhalb Jahren das große Wort der „Zeitenwende“ gesprochen, es letztlich aber nie mit Leben erfüllt. In den kommenden Jahren wird Boris Pistorius nun eine umso entscheidendere Bedeutung zukommen. Der Mann, der als einziges Mitglied der Ampelregierung seinen Job weiter ausüben darf, bekommt Mittel in schwindelerregender Höhe zur Verfügung gestellt. Allein für dieses Jahr steigt der Wehretat von 52 auf über 62 Milliarden Euro, 2026 um weitere 20 auf 82,7. Danach werden die Sprünge noch größer. Um das neue Nato-Ziel von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen, wächst der Verteidigungshaushalt bis 2029 auf 152,8 Milliarden Euro.

Bedarf gibt es genug, von neuen Waffensystemen über mehr Personal bis zur maroden Infrastruktur. Bei seinen Reisen durch Deutschlands Kasernen sieht Pistorius immer wieder, wie die Substanz bröckelt. Auch in der Sanitätsakademie. Nicht nur die Kasernenkneipe „San-Si-Bar“, die aus technischen Gründen geschlossen ist, hat gelitten. Das riesige Gebäude 1 ist asbestbelastet und muss umfassend saniert werden, überall auf dem Gelände wird gebaut, geschraubt, neu verkleidet. 500 Millionen Euro steckt der Bund in den nächsten Jahren in die Sanitätsakademie, 800 Millionen werden es am Ende insgesamt sein.

Das Programm ist dicht an diesem Tag. Von der Akademie geht es für Pistorius nach nicht viel mehr als einer Stunde weiter nach Erding, wo ein neues Innovationszentrum entstehen soll (siehe Kasten). Zuvor sieht der Minister noch eine Grille. Die unbemannte Rettungsdrohne mit dem niedlichen Namen kann verletzte Soldaten vom Schlachtfeld transportieren, bis zu 50 Kilometer weit und mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h. Unterwegs liefert sie bereits medizinische Daten an die Ärzte.

Das ist ein bisschen schaurig, aber auch sehr faszinierend. Noch ist die Grille nur ein Prototyp, doch dabei wird es nicht bleiben. Bei der Bundeswehr denkt man gerade in sehr großem Maßstab.

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