Da war die Bergwelt noch in Ordnung: Laura Dahlmeier (3. von rechts) und Marina Krauss (links daneben) bei der Ankunft in Pakistan. © Instagram/Grafik unten: dpa
Die Berge waren ihre große Passion: Die Ex-Biathletin Laura Dahlmeier in der Eiger Nordwand – das Foto, auf dem sie glücklich lächelt, postete sie im April auf Instagram. © Instagram
München/Garmisch-Partenkirchen – Die Berge waren immer Laura Dahlmeiers Sehnsuchtsort. Durch ihre sport- und naturbegeisterten Eltern kam Laura schon als Kind in der Werdenfelser Heimat viel mit der Natur in Berührung. Der Entschluss, schon mit 25 Jahren ihre Biathlon-Karriere zu beenden, kam vor sechs Jahren wenig überraschend. Danach widmete sich Dahlmeier voll und ganz ihrer Passion. Am Montag fiel sie ihrer Leidenschaft am Laila Peak zum Opfer. Die 31-Jährige wurde auf rund 5700 Metern Höhe von einem Steinschlag getroffen und überlebte den Vorfall nicht.
Wegen der anhaltend schlechten Wetterbedingungen konnten die Rettungskräfte am Mittwochmorgen nicht sofort aufbrechen. Mittags starteten zwei Teams, darunter der extra von der Latok-Gruppe eingeflogene Alpinist und Kletterer Thomas Huber, noch eine letzte Mission – vergeblich. „Auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Hubschrauber-Überflug und der Schilderungen der Seilpartnerin zur Schwere der Verletzungen ist vom sofortigen Tod auszugehen“, teilte das Management mit.
Dahlmeiers Leichnam wird auch in den kommenden Tagen nicht geborgen werden, das war „ihr ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille“. Sie wollte, dass in einem Fall wie diesem „niemand sein Leben riskieren darf, um sie zu bergen“. Ihr Wunsch war es, „ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen“.
Der Laila Peak übt eine so anziehende wie gefährliche Faszination aus. Mit seinem speerspitzähnlichen Gipfel gilt er als einer der schönsten Berge der Welt. Mit 6069 Meter Höhe ist er deutlich kleiner als die vielen prestigeträchtigen Achttausender, aber wer ihn besteigen will, der braucht viel technisches Kletter-Können. Ein Alpentourismus, wie ihn der Mount Everest erfährt, wäre dort gar nicht denkbar. Die Berge der Massen waren auch nie Dahlmeiers Ziel. Sie suchte das Abgeschiedene, das Besondere und den Zauber der Natur. „Es braucht keine Acht davorzustehen. Mich reizen einfach schöne, beeindruckende Berge“, erzählte Dahlmeier noch im Februar unserer Zeitung.
Als Außenstehender mag man die Bedingungen voller Schnee, Eis und Wind auf 5700 Meter noch so roh empfinden (und das sind sie vermutlich auch), für die Abenteurerin war es das Höchste. Laura Dahlmeier ist dort gestorben, wo ihr Herz schlug, wo sie am liebsten ihre Zeit verbrachte. Wer kann das schon von sich behaupten.
Mit Marina Krauss war Dahlmeier mit leichter Ausrüstung und ohne Expeditionslogistik im alpinen Stil unterwegs. Das Duo sicherte einander. Dahlmeier war wohl oberhalb von Krauss unterwegs, als sie der Steinschlag traf. Wie das Management mitteilte, habe Krauss über viele Stunden vergeblich versucht, Dahlmeier zu bergen. Weil sie auch keine Lebenszeichen erkennen konnte, entschied sie sich dann für den Abstieg ins Basislager.
Das Naturphänomen plötzlich bröckelnder Felsformationen ist mit die größte Gefahr für die Alpinisten. „Einen Steinschlag fürchtet man als Kletterer am meisten, weil er ein Risikofaktor ist, den wir nicht selbst in der Hand haben“, erklärt Stefan Glowacz unserer Zeitung. Der 60-Jährige überlebte in Grönland einst selbst nur mit Glück.
„Die Gefahr ist immer da, aber durch die Klimaerwärmung hat sie sich erhöht“, sagt der Abenteurer und erklärt: „Der Permafrost hat viele Felsformationen zusammengehalten. Jetzt erhitzen sich die Wände und spalten den Fels. Irgendwann bricht dann etwas ab.“
Auch ein schneller Hubschrauber-Einsatz war wegen der widrigen Bedingungen seit Montag nicht möglich. Theoretisch können Hubschrauber in dieser Höhe fliegen. „Aber bei 5600 Meter kommen wir an eine Grenze, in der das technisch noch möglich ist. Die Steuerung wird schwammig und unpräzise“, sagt Michael Schweiger, Stationsleiter der ARA Flugrettung in Reutte.
Zudem herrschen in Höhen oberhalb von 4000 Metern oft extreme Winde mit starken Verwirbelungen. Bei solchen Einsätzen trennt sich die „Spreu vom Weizen“, so Schweiger im Gespräch mit unserer Zeitung. „Es gibt nur wenig Piloten, die das können.“
Wie schnell man aus dem Leben gerissen wird, hat Dahlmeier früher im engen Umfeld erfahren. Ihr Freund und Touren-Partner Robert Grasegger kam am 6. Januar 2022 im Alter von 29 Jahren bei einem tragischen Lawinenunglück in Patagonien ums Leben. Man brauche das „nötige Quäntchen Glück, damit ich immer wieder heil nach Hause komme“, sagte die Doppel-Olympiasiegerin vor eineinhalb Jahren der „Gala“. Ob sie nun das Glück verlassen oder das Schicksal zugeschlagen hat – Dahlmeier würde wohl eher zweiteres denken.
Trotz Vorfällen wie diesem strebte sie weiter nach der so geliebten Freiheit. „Wenn ich einen 9-to-5-Job hätte und von Montag bis Freitag immer im gleichen Büro sitzen müsste, wäre das für mich die totale Anti-Freiheit“, sagte die Garmisch-Partenkirchenerin einst: „In den Bergen fühle ich mich einfach daheim.“
„Wir nehmen Abschied von einem großartigen Menschen“, erklärte ihr Management. Dahlmeier habe „mit ihrer herzlichen und geradlinigen Art unser Leben und das Leben vieler bereichert“ und „vorgelebt, dass es sich lohnt, für die eigenen Träume und Ziele einzustehen“.
Und das tat Dahlmeier seit ihrem Biathlon-Rücktritt 2019 wie keine Zweite. „Wenn ich sie auf Bildern gesehen habe, habe ich immer die Passion für die Berge erkannt. Sie strotzte vor Freude“, sagte Billi Bierling im Gespräch mit unserer Zeitung. Die 58-jährige Garmischerin, die selbst viele Achttausender bestiegen hat und für die Himalayan Database Gipfelerfolge dokumentiert, war immer wieder mit Dahlmeier in Kontakt. So auch im vergangenen Jahr, als Laura am 6812 Meter hohen Ama Dablam mehr als zufällig eine Bestzeit aufstellte. „Sie hat es erst im Telefonat mit mir erfahren. Rekorde waren nie ihr Antrieb“, so Bierling.
Die Welt hat einen besonderen Menschen verloren.