Trauer um Bayerns ungekrönten König

von Redaktion

Bereitschaftspolizisten überführten nachts den Sarg von Schloss Nymphenburg in die Ludwigskirche. © pa

Trauerzug auf der Ludwigstraße: Menschenmassen verfolgten das Spektakel vom Straßenrand aus. Die Trauerfeier fand in der Ludwigskirche statt, beigesetzt wurde Kronprinz Rupprecht in der Theatinerkirche. © Picture Alliance

Als die Todesnachricht am Nachmittag des 2. August 1955 eintraf, stockte Landtagspräsident Hans Ehard die Stimme. Er unterbrach die Sitzung. „Wir empfinden den Hauch einer geschichtlichen Stunde“, würdigte er den Verstorbenen. „Mit dem Tode des Kronprinzen Rupprecht ist eine große Epoche der bayerischen Geschichte abgeschlossen.“ Die Fahnen des Landtags senkten sich auf halbmast. Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, ein Sozialdemokrat, ordnete selbiges auf allen staatlichen Gebäuden für den verstorbenen Chef des Hauses Wittelsbach an. In Leutstetten am Starnberger See, wo Rupprecht im örtlichen Schloss an Herzschwäche gestorben war, begann die Dorfkirche zu läuten – eine Stunde lang.

Das Drama um Bayerns letzten ungekrönten König hatte abrupt begonnen. Noch am Samstag, drei Tage vor seinem Tod, hatte sich Rupprecht in der Früh zum Requiem für seine just ein Jahr zuvor verstorbene Ehefrau Antonie das kurze Stück zur Dorfkirche fahren lassen. In Leutstetten wunderte man sich, denn sonst ging der rüstige Rupprecht trotz seiner 86 Jahre immer zu Fuß. Immerhin: Mit dem Dorfbürgermeister kam ein kurzes Gespräch zustande. Alles wie immer, hieß es im Dorf. Doch zu Hause versank Rupprecht rasch in einer Agonie, aus der er nicht mehr erwachte.

Zehntausende strömten zum Sarg

Am Montag gab das Hofmarschallamt eine Mitteilung heraus, nach der Rupprecht an einer akuten Herzschwäche leide. Abt Hugo Lang von St. Bonifaz und Andechs spendete die letzte Ölung. Die sieben Kinder eilten herbei – nur Lieblingstochter Sophie schaffte es nicht mehr mit dem Flugzeug aus Brüssel. Eine Bluttransfusion half nicht, auch eine zweite, bei der sein Enkel Max zur Ader gelassen wurde, verpuffte wirkungslos. Um 14.55 Uhr war Rupprecht tot. „Er war für uns wie ein Vater“, sagte der Bürgermeister.

Nach der Todesnachricht versank das Bayern des Jahres 1955 in grenzenlose Trauer – eine Woche lang bis zur Beisetzung in der Theatinerkirche im Rahmen eines offiziell angeordneten Staatsbegräbnisses. So ein Aufwand für einen Monarchisten war in der jungen Demokratie keine Selbstverständlichkeit. Im Bayern der 1950er-Jahre aber vielleicht schon. Das Königreich Bayern wurde geliebt und verklärt. Damals hatte die von Rupprechts Kabinettschef Franz Freiherr von Redwitz initiierte Bayerische Heimat- und Königspartei sogar einen Sitz im Münchner Stadtrat. Und selbst am Münchner amerikanischen Generalkonsulat senkte sich das Sternenbanner auf halbmast.

Zehntausende strömten zur Aufbahrung des Sargs in Schloss Nymphenburg und wollten den in der Uniform eines bayerischen Generalfeldmarschalls gekleideten Leichnam sehen. Im „Münchner Merkur“ erschien Sonderseite auf Sonderseite. Der Historiker Benno Hubensteiner, später durch ein populäres Bayern-Geschichtsbuch als „der Hubensteiner“ bekannt geworden, zog den großen Bogen. „Der letzte Fürst von Bayern“, war sein Artikel überschrieben. Für Hubensteiner war das alte Bayern ins Grab gesunken. Der Tod Rupprechts bedeute ein Abschiednehmen von jenen „stillwirkenden Kräfte(n) von Kirche, Volkstum und Dynastie, die unser Land durch die Jahrhunderte getragen haben“, schwelgte Hubensteiner. Und: „Es ist zugleich der endgültige Schlussstrich unter tausend Jahre eigener Geschichte.“

Was nun folgte, war ein Volksauflauf, der vielleicht noch mit der üppigen Trauer um Franz Josef Strauß 1988 vergleichbar ist. Und mit dem Unterschied, dass 1955 eines waschechten Monarchisten gedacht wurde, vor dem nun aber sogar der Sozialdemokrat Hoegner in Ehrfurcht erstarrte. Hoegner ließ die Königskrone aus der Residenz holen und auf den Katafalk legen.

Seine Jugend war geprägt von Gewalt

Das bayerische Kabinett, eine Viererkoalition ohne Beteiligung der CSU, war am Samstag, 6. August, vollzählig beim Requiem in der Ludwigskirche. Dazu Vizekanzler Franz Blücher, Gebirgsschützen und Trachtengruppen, Knappen der Bergwerke in Peißenberg und Berchtesgaden, Studentenverbindungen „in vollem Wichs“ mit Säbel und Stutzen und Repräsentanten sämtlicher ehemaligen deutschen Bundesfürsten. „In einem Hain von Lorbeer, im Schein der doppelt gereihten Kerzen in Silberleuchtern, flankiert von der Ehrenwache der Bayerischen Bereitschaftspolizei ruht der Tote“, hieß es in der Zeitung. Nur Münchens Erzbischof Josef Wendel fehlte – er war auf Südamerikareise, für ihn sprang der Bamberger Bischof als Trauerredner ein. Bereitschaftspolizisten im alten Stahlhelm führten Fahnen der königlich bayerischen Armee mit, als der Leichnam durch ein Spalier dicht gedrängter Massen in einer Kutsche von der Ludwigs- zur Theatinerkirche überführt wurde.

Ein Staatsbegräbnis für einen ungekrönten König? Für den Landtagspräsidenten war der Verstorbene, wie Ehard in seiner Trauerrede sagte, ein „königlicher Demokrat“. Aber das war eine waschechte Geschichtsklitterung. Rupprecht war alles, nur kein Demokrat. Der Münchner Landeshistoriker Dieter J. Weiß hat vor Jahren eine üppige Biografie geschrieben, die zwar manchen Hofknicks, aber auch viel entlarvendes Material enthält – Rupprechts schwieriges Verhältnis zum Vater, Eheprobleme, seine Vereinsamung in der Wittelsbacher Familie.

Schon seine Jugend war von Gewalt geprägt. Sein Vater, Bayerns letzter König Ludwig III., züchtigte ihn persönlich. Gequält wurde der Prinz selbst beim Essen – „Rupprecht wurde teilweise förmlich gestopft“, schreibt Weiß, musste fünf Gänge in sich hineinwürgen. Alkohol, Affären, Selbstmordgedanken peinigten den jungen Rupprecht. Die erste, glückliche Ehe mit Marie Gabriele endete jäh 1912 mit dem Tod der Frau. Dann kam der Erste Weltkrieg und Rupprecht startete eine erfolgreiche Militärkarriere als Oberbefehlshaber der 6. Armee an der Westfront in Elsass-Lothringen. Rupprecht war bis zum Sommer 1915 Annexionist, der das Elsass gerne Bayern einverleibt hätte. Weiß hält ihm seine spätere Wandlung zum „Anhänger eines Verständigungsfriedens“ zugute, doch das ist umstritten.

Und nach dem Krieg? Wäre Bayern noch Monarchie gewesen, wäre Rupprecht 1921 nach dem Tod seines Vaters König geworden. Er verzichtete aber auch jetzt nicht auf den Thronanspruch, ließ sich gerne mit „allerdurchlautchigster König und Herr“ anreden oder schlicht als „Majestät“, dann aber, wie der Eichstätter Bischof es 1923 tat, „alleruntertänigst“. Die Hofhaltung wurde einfach beibehalten, Lakaien in blauen Livreen mit Schnallenschuhen servierten Delikatessen, während draußen das Bayernvolk Hungerwinter überstand. Rupprecht paktierte mit militaristischen Verbänden, die die Weimarer Republik zum Teufel wünschten. Er war aber kein Nazi – ganz im Gegenteil, er musste nach Italien fliehen. 1933 kam sogar seine Krönung als König ins Spiel, um eine Machtergreifung der Nazis in Bayern zu verhindern. Planspiele, denen nichts Konkretes folgte.

Von alldem war in jener Trauerwoche im August 1955 keine Rede. De mortuis nihil nisi bene – über die Toten soll man nichts Schlechtes reden. Böllerschüsse krachten, Fahnen senkten sich, Mitglieder der Wittelsbacher Familie schaufelten Erde in die Fürstengruft, ehe sie sich schloss. Um 11.30 Uhr an jenem 6. August 1955 war Bayerns ungekrönter König endgültig Geschichte.

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