Washington – Die Stimmung vor der Grundschule in Washington ist angespannt. Viele Eltern fürchten, dass die US-Einwanderungsbehörde ICE den ersten Schultag nach den Sommerferien für Razzien missbrauchen könnte. „Wir haben Angst, nach draußen zu gehen, wir sind nicht sicher“, sagt Blanca, eine Mutter, die aus El Salvador stammt. Doch das Viertel hält zusammen, Nachbarn und Freiwillige begleiten die Kinder, um sie vor Abschiebung zu schützen.
In dem Viertel der US-Hauptstadt leben viele Migranten aus Lateinamerika. Seit Präsident Donald Trump seine groß angelegte Kampagne gegen mutmaßlich illegale Einwanderer startete, bei der Menschen von der Straße weg festgenommen werden, herrscht auch hier Panik. Die Angst ist so groß, dass Blanca weder ihren Nachnamen nennen möchte, geschweige denn den der Schule ihrer Kinder.
Die Solidarität mit den Migranten ist groß. In der ganzen Stadt haben sich am Montag Begleiter, Fahrgemeinschaften und Patrouillen organisiert, für den Fall, dass die ICE die Schulen ins Visier nimmt. Helena Bonde hat sich in ihrem Rollstuhl vor der Grundschule positioniert, um Einwandererfamilien beizustehen. „Niemand wird versuchen, eine weiße behinderte Frau zu verhaften“, sagt die 36-Jährige. „Alle wollen dazu beitragen, dass sich die Familien hier ein wenig sicherer fühlen.“
Die Begleiter trommeln, tröten und jubeln den Kindern zu, es wird viel gelacht. Die Angst ist dennoch spürbar. Selene, eine Mutter mit mexikanischen Wurzeln, hat sogar überlegt, ihre Tochter gar nicht zur Schule zu schicken, weil selbst Lateinamerikaner, die legal in den Vereinigten Staaten leben, in den vergangenen Monaten festgenommen wurden.
„Es geht nicht um den Status. Es geht darum, wie man aussieht“, sagt sie. „Wenn man wie ein Latino aussieht, wird man zum Ziel – leider.“ Nachbarn ermutigten Selene schließlich, ihre Tochter doch zur Schule zu bringen. Andere Familien hätten ihre Kinder jedoch aus Furcht vor Abschiebung zu Hause behalten, erzählt Blanca.
Vergangene Woche versicherte der Chef der ICE, Todd Lyons, dass seine Beamten am ersten Schultag keine Schulen in Washington ins Visier nehmen würden. „Aber unser Ziel ist es, diese 300 000 Kinder und Minderjährigen ohne Papiere zu finden, die unter der letzten Regierung hierhergekommen sind“, sagte er dem Sender NBC News.
Offiziellen Schätzungen zufolge leben in Washington etwa 25 000 illegale Einwanderer bei einer Gesamtbevölkerung von rund 700 000 Einwohnern. Die öffentlichen Schulen der Stadt erheben keine Angaben zur Staatsangehörigkeit ihrer Schüler. Die Zeitung „Washington Post“ berichtete 2022 unter Berufung auf einen Lokalpolitiker, dass zwischen 3000 und 4000 Schulkinder in Washington keine Aufenthaltsgenehmigung hätten.
In Kalifornien, dem Bundesstaat mit dem größten Anteil von Migranten, führten die Razzien der ICE zu einem sprunghaften Anstieg der Fehlzeiten von Schülern, wie die Lehrergewerkschaft National Education Association feststellte. Jeffrey Freitas, Präsident der kalifornischen Lehrergewerkschaft, erinnert an ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA von 1982, wonach die Bundesstaaten auch Kinder ohne Papiere nicht daran hindern dürfen, öffentliche Schulen zu besuchen. Die Schulpflicht bestehe für alle.