Platz für die Reichsautobahn: Im Spätherbst 1933 fanden erste Rodungsarbeiten im Hofoldinger Forst statt.
Heuernte an der Autobahn: In den 1930er-Jahren war noch kaum Verkehr, die Autobahn auch eine Art Ausflugsziel.
Arbeiter gießen Fugen händisch mit Kannen aus, ehe weiter am Belag der Autobahn gearbeitet wird.
Eine Feldwegunterführung im Föchinger Graben bei Holzkirchen. Die Autobahn zerschnitt das Land vieler Bauern.
Der „Führer“ inspiziert: Adolf Hitler und Fritz Todt (re.) bei einer Autobahnexkursion.
Eine NS-Säule bei der Eröffnung des ersten Autobahn-Abschnitts bis Holzkirchen.
Ilse Linner mit ihrem Buch über die A 8 – im Hintergrund wie im großen Foto die Ramersdorfer Kirche.
Arbeiter marschieren 1934 mit ihren Schaufeln in Kolonnen zur Baustelle der Reichsautobahn bei Unterhaching. © P. Alliance
Mit einer großen Auto- und Motorradparade wurde das erste Teilstück eröffnet. Im Hintergrund die Ramersdorfer Kirche. © Alle Bilder aus Ilse Linners Buch: „Autobahn München–Salzburg“
Grünwald – Es gibt in Bayern wohl niemanden, der sich so gut mit der Salzburger Autobahn auskennt wie Ilse Linner. Die Chemikerin aus Grünwald (Kreis München) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Teil der A 8, der von München bis zur Mozart-Stadt führt. Sie hat in Archiven gewühlt, mit Zeitzeugen gesprochen, die sich an den Bau der „Reichsautobahn“ erinnern. 1935, vor 90 Jahren, wurde der erste Abschnitt nach Holzkirchen eröffnet. Noch heute verläuft die Trasse grundsätzlich wie damals – über den Irschenberg, vorbei an Bad Aibling, Rosenheim, am Südufer des Chiemsees und am Kloster Höglwörth bis nach Salzburg. Allerdings wurde (und wird) die stauanfällige Autobahn massiv ausgebaut. Im Westen Münchens verläuft die A 8 heute über Augsburg, Ulm, Stuttgart und Karlsruhe bis an die luxemburgische Grenze. Dieser Teil war allerdings nicht Gegenstand von Linners Nachforschungen. Die Ergebnisse hat sie im Eigenverlag als Buch veröffentlicht: „Autobahn München–Salzburg. Historie und Aktuelles 1934–2024“. Ein Gespräch über ein Prestigeprojekt der Nationalsozialisten – und die damals größte Baustelle Bayerns.
Frau Linner, wie fanden es die Oberbayern, dass ihnen eine Autobahn vor die Nase gebaut wird?
Leider gibt es kaum noch Zeitzeugen. Und viel Material ist nach dem Krieg verbrannt worden. Man wollte nichts mehr mit den Nationalsozialisten zu tun haben, die die Autobahn ja gebaut haben. Aber aus den Archiven der Ortschaften entlang der Autobahn geht schon hervor, dass die Bauern auf die rigorose Enteignung erst einmal mit Angst reagiert haben. Mein Land geht verloren! Teilweise sind ja wirklich Höfe der Autobahn zum Opfer gefallen, vor allem im Bereich Frasdorf und in Bernau am Chiemsee. Aber die Landwirte sind zu ihrer Zufriedenheit entschädigt worden. Für alte, gut tragende Obstbäume und die Ernteausfälle gab es Vergütungen.
Aber am Ende zerschnitt doch eine monströse Straße die Landschaft. Hat das niemanden gestört?
Na ja, doch. Ein Beispiel ist Frasdorf. Kein anderer Ort ist so nah an der Autobahn, die Häuser stehen heute noch direkt hinter Lärmschutzwänden – die es damals nicht gab. Durch die Autobahntrasse wurden Höfe von ihren Feldern und Forstgebieten oder Wäldern plötzlich abgetrennt und zur Kirche hätte man einen weiten Umweg nehmen müssen. Dagegen gab es schon Proteste. Deshalb wurden dort ungewöhnlich viele Durchlässe und Unterführungen gebaut. Den Kirchdurchgang zum Beispiel kann man heute noch sehen. In Frasdorf sind auch noch die letzten Original-Stützmauern sichtbar.
Am Irschenberg hat die A 8 sieben Prozent Steigung. Würde man die Trasse heute noch so bauen?
Auf keinen Fall. Die Nationalsozialisten haben damals in der Presse übrigens immer von nur sechs Prozent gesprochen. Die Steigung hat man in Kauf genommen. Hitler hatte seinen Berghof am Obersalzberg, heute ein Gemeindeteil von Berchtesgaden. Er wollte eine schnelle Verbindung dorthin. Und er war Naturliebhaber. Eigentlich war der Verlauf von München über Wasserburg nach Bad Reichenhall geplant, den über den Irschenberg wollte Hitler, weil der Blick von dort oben so beeindruckend ist. Sein Straßen-Generalinspektor Fritz Todt überflog die geplante Trasse mehrfach und gab schließlich grünes Licht.
Tausende Arbeiter waren im Einsatz, woher kamen die alle?
Im ersten Abschnitt bis zur Mangfallbrücke waren die meisten Arbeiter aus München. Dort war die Arbeitslosigkeit enorm hoch. Viele waren aber auch aus Sauerlach, Holzkirchen, Brunnthal. Die fuhren jeden Tag mit dem Radl – und das vor und nach der extrem anstrengenden Arbeit. Als die Baustelle weiter östlich rückte, war der Weg irgendwann zu weit: Die ersten Reichsautobahn-Arbeiterlager direkt an der Autobahn entstanden ab Weyarn. In Holzkirchen gab es die erste Kantine, dort hat man die Arbeiter mittags und abends mit Essen versorgt. In den südlicheren Abschnitten wurden mehr und mehr Arbeiter aus ganz Deutschland eingesetzt, sehr viele kamen aus dem Bayerischen Wald, aus Norddeutschland – oder aus dem Ausland. Da ging es richtig international zu.
Ausländer haben Hitler die Autobahn gebaut? Das ist ja zynisch.
Ja, am Talübergang Bergen zum Beispiel haben einige Franzosen mitgearbeitet. Als man den vor Jahren erneuert hat, fand man in einem Brückenpfeiler eine einbetonierte Bierflasche. Darin eine Nachricht auf Französisch. Ein Arbeiter dankt für den Arbeitsplatz und das Geld, das er seiner Familie schicken kann.
Dafür musste er aber auch schwer schuften.
Ja, die Arbeitsbedingungen waren knallhart. Hitler gab vor, dass die Autobahn bis 1937/38 fertig sein muss. Deshalb wurde an arbeitsintensiven Baustellen wie an der Innbrücke und entlang des Chiemsees oftmals in drei Schichten gearbeitet. Wenn man sich die Bilder von den Arbeitern anschaut, sieht man, wie ausgemergelt die am Tisch sitzen – daneben der Ingenieur mit Krawatte, ganz frisch. Die Hitze war im Sommer damals ja auch schon irre, da waren auch keine Getränke verfügbar. Für Trinkpausen hatten die gar keine Zeit. Und die Winter waren natürlich auch hart.
Kamen Arbeiter ums Leben?
Ich weiß nur von sehr wenigen tödlichen Unfällen, für eine so gewaltige Baustelle verlief das glimpflich. Aber das Risiko war schon da: Das furchterregendste Foto, das ich kenne, zeigt einen Arbeiter auf Pfeilern – ungesichert in Kirchturmhöhe.
Was war denn die größte Herausforderung für die Arbeiter?
Der Bereich um die Autobahntrasse bis zum Chiemsee und die Korrektion der Tiroler Ache. Eine kleine Teststrecke versank nach nur einem Tag im morastigen Boden. Der musste entwässert werden, eine wahnsinnige Arbeit für etwa 2000 Menschen. Das war die größte Baustelle Bayerns. Gerätschaften wie der Eimerbagger waren zu groß für den Transport, sie mussten vor Ort zusammengebaut werden.
2000 Arbeiter? Wo haben die gewohnt?
Das Land dort war dünn besiedelt, deshalb hat man die Landwirte aufgerufen, Zimmer anzubieten. Das haben auch einige gemacht und die Kammern mit Stockbetten vollgestellt. Die Bäuerin hat für die Arbeiter gekocht und Wäsche gemacht.
Sind manche geblieben, als die Autobahn fertig war?
Ja. Weil sie sich verliebt haben! Ich weiß von einem Herrn, der als Sohn eines Reichsautobahn-Arbeiters geboren wurde. Durch die Erzählungen seines Vaters fühlte er sich der Autobahn sehr verbunden und arbeitete später bei der Autobahn-Straßenmeisterei Siegsdorf.
Staus gab es damals vermutlich noch nicht so oft wie heute, oder?
Nein, überhaupt nicht. Damals gab es noch nicht viele Autos. Mir hat mal ein Zeitzeuge berichtet, dass sie als Kinder immer rechts und links der Autobahn auf den Sandhaufen von der Baustelle gespielt haben. Die Mutter fand das gefährlich, aber es war kaum Verkehr. Und ab und zu wurde die Autobahn dann für viele Stunden ganz gesperrt – nämlich, wenn Hitler mit seinen Staatsgästen nach Berchtesgaden wollte. Oft ist er noch eingekehrt, zum Beispiel im ehemaligen Autobahn-Rasthaus am Chiemsee.
Das Buch
Ilse Linner: „Autobahn München–Salzburg. Historie und Aktuelles 1934–2024“. ILV Ilse Linner Verlag. 320 Seiten, 39 Euro.