Mai 2020 in München: Eine Frau verbreitet auf einer Kundgebung von Corona-Leugnern Verschwörungstheorien. © P. Alliance
München – „Noch heute denke ich: Es kann nicht wahr sein, es kann nicht wahr sein. Es war aber wahr.“ Jakobe T. (alle Namen geändert) erinnert sich zurück an den Februar 2020, den März, den April. Die Corona-Pandemie ist ausgebrochen, der erste Lockdown tritt in Kraft. Und ihr Mann sitzt vor dem Computer, schaut sich auf Youtube Videos an. Er behauptet, dass die Bilder mit den Särgen der Corona-Opfer, etwa aus dem italienischen Bergamo, gefälscht sind. Dass es die vielen Toten auf den deutschen Intensivstationen nicht gibt. Später sagt er, Bill Gates wolle den Menschen per Impfung Chips implantieren. Jakobe T., Anfang 60, erzählt: „Das war so verrückt zu Hause. Mir war sehr schnell klar, dass es kracht, und es hat richtig gekracht.“ Es folgte „der große Krieg“, wie T. es nennt. Denn sie selbst sah in der Pandemie eine reale Bedrohung.
In dem Raum in München sitzen an diesem Abend noch zwei weitere Frauen und ein Mann mit am Tisch. Jakobe T. hat diese Selbsthilfegruppe gegründet, weil es für Fälle wie den ihren noch keine gab: „Angehörige von Menschen aus den Bereichen Corona-Leugner, Corona-Verharmloser, Verschwörungsüberzeugte.“
Die Pandemie ist vorbei. Doch die Haltung zu dem Virus hat Paare sich erbittert streiten lassen und getrennt. Hat beste Freundschaften zerstört und Kinder dazu gebracht, mit ihren verschwörungsgläubigen Eltern zu brechen. Andere krude Denkmuster sind gefolgt, zum Beispiel die Unterstützung von Russlands Präsident Putin beim Ukraine-Krieg.
Thomas L., um die 50, erzählt, dass für seine Ex-Frau Esoterik „von Anfang an ein Thema war“, schon in den 2000er-Jahren. Es folgte Rudolf Steiner und dessen Anthroposophie. Ihm war das zu viel. Die Demos von „Fridays for Future“ brachten das Paar wieder zusammen, es schritt in dieselbe Richtung. „Eine schöne Zeit“, erinnert sich L. „Dann kam Corona.“ Und seine Frau wandelte sich. „Sie sagte, dass wir nicht mehr in einer Demokratie lebten.“ Sie schrieb eine E-Mail an Bekannte und Verwandte, in der sie das Infektionsschutzgesetz mit dem NS-Ermächtigungsgesetz gleichsetzte. Und sie fuhr nach Berlin zur Demo gegen die Corona-Maßnahmen. „Das war für mich ein Bruch“, erinnert sich L.
Es war jene Demo am 29. August 2020 mit knapp 40 000 Teilnehmern, aus der heraus 400 Menschen versuchten, das Reichstagsgebäude zu stürmen. Neben „Querdenkern“ waren rechtsradikale Gruppen, Holocaustleugner und Reichsbürger maßgeblich mit dabei. „Es war ein kolossaler Verrat an unseren früheren Idealen“, sagt Thomas L. „Meine Frau marschierte mit Rechtsradikalen und Leugnern der Klimakrise.“
Ähnlich erging es Barbara S. Auch für sie war es eine „rote Linie“, als ihr Partner, mit dem sie 20 Jahre lang zusammen war, sich zu einer der Demos aufmachte. S. ist knapp 70. Das Paar hat nie zusammengelebt, aber viel Zeit miteinander verbracht. „Wenn wir uns nicht gestritten haben, haben wir uns angeschwiegen. Das war unerträglich, man kann auch gemeinsam sehr einsam sein.“ Sie musste einkaufen, denn er weigerte sich, eine Maske zu tragen. „Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hatte er dann ein neues Thema.“ Er schimpfte über die Waffenlieferungen und meinte, dass sich Russland nur verteidige. Schließlich holte er seine Sachen aus ihrer Wohnung.
Zurzeit besteht die Gruppe aus elf Mitgliedern. Bei manchen ist eine Entscheidung gefallen. Andere befinden sich in einem Schwebezustand. „Ich weiß nicht, ob es uns gelingt, unsere Ehe aufrechtzuerhalten“, sagt Emma B., eine Naturwissenschaftlerin. „Infiziert mit der Verschwörungsgeschichte“, sagt sie es, wurde ihr Mann von einem befreundeten Paar. „Es ist skurril: Erst hat man viel Gemeinsames, und dann gibt es immer mehr Sachen, über die man nicht spricht.“ Weil es sofort explodiert. „Wir leben zusammen, aber eher wie in einer Wohngemeinschaft“, beschreibt B. die Lage. „Mein Mann hat direkt Angst vor mir.“ Denn sie ist dreifach geimpft, „und Geimpfte scheiden das Virus ja aus“. Das ist auch so eine Mär: Geimpfte würden das Virus übertragen. „Ich habe Mitleid mit ihm, denn er hat diese Angst ja wirklich.“ Ein Mal haben sie sich so laut angebrüllt, dass die Nachbarn klingelten.
Heftige, lautstarke Streits? Alle nicken. Es gibt Übereinstimmungen. Die Partner, die dem Verschwörungsglauben anhängen, sind keine stupiden, einfältigen Menschen. Sie werden meist als sensibel beschrieben, als nachdenklich, auch als Widerspruchsgeister. Alle sind im Internet in eine Scheinwelt eingetaucht. Enge Freunde oder Freundinnen radikalisieren die Partner weiter.
Alle haben sie den Stars der Verschwörungsszene gehuldigt. Jakobe T. zählt sie auf, die in der Pandemie zu Polarisierung und Hetze beigetragen haben: Ken Jebsen, ehemaliger RBB-Journalist und später „Querdenker“; Bodo Schiffmann, Arzt und eine ganz große Nummer bei den Corona-Leugnern; Sucharit Bhakdi, Infektionsepidemiologe, der alle Corona-Zahlen als übertrieben bewertete und Masken sowie Impfungen für sinnlos hielt.
Thomas L., dessen Ex-Frau auf der Demo in Berlin war, ist selbst zu einer Demo gegangen – gegen Russlands Überfall auf die Ukraine. Seine Frau sagte: „Was willst du da? Dort wird doch nur Hass geschürt.“ Da habe er gemerkt, „wie wahnsinnig sie sich entfernt hat“. Sie hatten denselben Gedanken: Das wird nichts mehr. Die Scheidung wurde eingereicht, der Aufenthalt der Kinder gütlich geregelt. Sie haben nun, mit etwas Distanz, ein besseres Verhältnis zueinander.
Gruppengründerin Jakobe T. und ihr Mann verharrten im „großen Krieg“. Sie zog aus, kehrte im Sommer 2020 zurück. Die Inzidenz war niedrig, „wir haben sehr schöne Sachen gemacht“. Doch es kam der Herbst, die Zahlen stiegen wieder. „Wir haben uns gestritten und vertragen, die ganze Zeit ging das so.“ Zur Impfung begleitete er sie. „Seiner Ansicht nach war die Impfung sehr gefährlich, ich hätte sterben können.“ Er wollte sie retten, falls etwas passiert. Im November 2021 sagten sie aber beide: „Wir können nicht mehr.“ Er zog aus, „richtig aus“, wie T. betont.
Genau da kam der Gedanke: „Will ich diesen Menschen, diesen Mann wirklich verlieren?“ Nein. Sie dachte über sich nach, hinterfragte sich. Dass auch sie hart geworden war, radikal. Dass sie am Morgen gleich aufs Handy schaute und ihm die Zahl der neuen Toten und die Inzidenz zurief. Dass sie immer und heftig widersprach. Das sagte sie ihm. „Er war sehr überrascht.“
Kurz darauf meinte er „so im Vorbeigehen“, dass er sich wohl geirrt habe – bei Bhakdi, bei Schiffmann, bei Jebsen. Ein Rückzieher, wenn auch etwas kleinlaut. „Rechtzeitig zu Weihnachten 2021 ist er wieder eingezogen, richtig romantisch!“ Jakobe T. lacht.
Dass sie im Februar 2022 dennoch die Selbsthilfegruppe gründete und leitet, findet er gut.