Dr. Pia Lamberty © CeMAS
München – Dr. Pia Lamberty ist Mitgründerin und leitende psychologische Analystin der Organisation CeMAS, die auch zum Thema Verschwörungsideologien forscht. Ein Gespräch darüber, warum so viele Menschen Verschwörungstheorien anhängen.
Als Querdenker galten früher unkonventionelle Denker, kreative Freigeister. Seit Corona ist der Begriff ein Synonym für Verschwörungstheoretiker. Haben Corona-Leugner den Begriff gekapert?
Ich denke, es ging weniger um eine Instrumentalisierung. Der Begriff Querdenker passt einfach enorm gut zur Selbstwahrnehmung. Verschwörungsideologen sehen sich ja genau im Gegensatz zu den vermeintlichen Schlafschafen, die angeblich blind der Regierung hinterherlaufen und alles glauben, was man ihnen erzählt.
Warum glaubt jemand plötzlich nicht mehr belegbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern kruden Theorien?
Eine Studienreihe konnte gut zeigen, dass Menschen, die sich in so ein Milieu hinein radikalisieren, oft einen vermeintlichen Erweckungsmoment haben, mit dem Gefühl: Jetzt weiß ich, was wirklich gespielt wird. Das können triviale Dinge sein wie zum Beispiel eine Dokumentation über Lobbyismus. Es können auch große Krisen wie Corona sein. Psychologisch gesehen wird an solchen Wendepunkten ein Kontrollverlust erlebt. Ereignisse wie Jobverlust, Beziehungsende oder Krankheit können das weiter befeuern. Der Verschwörungsglaube verbindet lose Punkte zu Mustern – auch da, wo eigentlich gar keine Muster entstehen. Zweitens versuchen wir alle, die Welt zu verstehen. Generelle Problematiken werden personalisiert: Die da oben sind schuld. Drittens kann man sich über einen Verschwörungsglauben auch aufwerten. Man ist die Person, die die Wahrheit sieht. Studien haben gezeigt, dass der Wunsch nach Einzigartigkeit ein Grund ist, um an Verschwörungen zu glauben.
Bildung und Wohlstand sind bei Verschwörungstheoretikern häufig hoch.
Das ist ein wichtiger Punkt: Leute, die an Verschwörung glauben, sind nicht automatisch dumm. Das haben wir in der Corona-Pandemie gesehen, als viele Wissenschaftler und Ärzte abgedriftet sind. Wir haben es mit einer politischen Ideologie zu tun, die psychologisch angefeuert wird. Einen Kontrollverlust kann man auch erleben, wenn man objektiv gut dasteht. Menschen, die die Aufarbeitung von Problemen eher meiden, glauben eher an Verschwörung.
Welche Rolle spielt das weite Feld der Esoterik?
Es gibt große strukturelle Überlappungen. Esoterik ist ja qua Definition ein Geheimwissen, etwas, zu dem nur wenige Zugang haben. So ähnlich funktioniert der Verschwörungsglaube auch. Verschwörungsdenken wird in der Esoterik auch geschürt. Ein Beispiel ist die Kritik an der Homöopathie. Da heißt es dann: Es gibt einen großen Komplott, weil Pharmafirmen das große Geld machen wollen. Esoterik zieht solche Menschen an und füttert sie.
Wir leben in Zeiten gezielter Desinformation. Führt auch das zu Verschwörungstheorien?
Desinformation ist ja erst mal nur eine falsche Information, die absichtlich gestreut wurde. Die muss nicht verschwörungsideologisch sein – ist es aber oft. In Putins Propaganda stecken viele Verschwörungsnarrative. In einer Rede hat er von einem besetzten Deutschland gesprochen – ein Narrativ der Reichsbürger. Es ist auch kein Zufall, wenn sich Teile der AfD als parlamentarischer Arm der Querdenker-Bewegung bezeichnen. Verschwörungsdenken wird schon immer politisch eingesetzt. Im Mittelalter wurden Juden für die Pest verantwortlich gemacht. Der Nationalsozialismus hat es ganz stark für seine Propaganda genutzt. Verschwörungstheorien eignen sich gut für Radikalisierung. Sie brauchen nämlich kein geschlossenes Weltbild, man hat Gut-und Böse-Umverteilungen, mit denen man alles rechtfertigen kann.
Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
Es geht weniger um Wahrheiten, sondern um Vertrauen und Misstrauen. Irgendwann hat man einen substanziellen Anteil in der Gesellschaft, der in einer komplett anderen Realität lebt. Dann kam man sich nicht mehr verständigen. Das ist besorgniserregend. Weil die Themen von Verschwörungsideologen manchmal auch tatsächliche Missstände tangieren, fällt es der Gesellschaft sehr schwer, darauf zu reagieren. Sie ist mit Faktenchecken beschäftigt, während sich das Gegenüber radikalisiert.
Was ist zu tun?
Wir müssen Demokratie und Transparenz als Werte hochhalten und stärken. Aufklärung an Schulen über kognitive Verzerrungen wäre ein Weg. Wir neigen ja dazu, uns Informationen zu suchen, die unsere Meinung verstärken. Das kann zu Fehlannahmen führen und radikalisieren. Medienkompetenz an Schulen, aber auch für Erwachsene, wird immer wichtiger. Wir müssen besser lernen, richtig und falsch auseinanderzuhalten.