Helmut Kohl und sein Bunker-Double Waldemar Schreckenberger (oben im Bild). © pa
200 Tunnelmeter sind erhalten. Der Eingangsbereich der Dokumentationsstätte. © pa
Ein Einzelbett für den Kanzler. Schlicht und freudlos waren die Zimmer im Bunker eingerichtet. © Pitt von Bebenburg
Soldaten im schönen Ahrtal. Das Foto von 1966 zeigt eine Kontrolle unweit des Atombunkers der Bundesregierung. © Rose/Pa
Schwere Stahltüren wie diese gab es viele. Der größte Teil des Bunkers wurde aber rückgebaut. © Baumgarten/Picture Alliance
Museumsleiterin Heike Hollunder steht in einem Kontrollraum mit damals hochmodernem Equipment. © Pit von Bebenburg
Große Aschenbecher standen fast überall, auch hier in diesem Besprechungsraum. © Pitt von Bebenburg
Schutz gegen die Strahlung: schweres Atemschutzgerät im Regierungsbunker. Zum Einsatz kam es zum Glück nie. © pa
Ahrweiler – Eine Zelle von wenigen Quadratmetern, grün gestrichene Wände, ein Feldbett und eine graue Bundeswehrdecke, ein Nachttischchen mit beigefarbenem Wählscheibentelefon und einer schwarzen Leselampe, ein grauer Plastikmülleimer. Mehr nicht. Hier also hätte Helmut Kohl mehr als hundert Meter unter der Erde schlafen sollen, hätte es einen Atomkrieg gegeben.
Es hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten nie erfahren, wie es im Regierungsbunker aus der Zeit des Kalten Kriegs ausgesehen hat. Im teuersten öffentlichen Bauwerk in der Geschichte der Bundesrepublik, einer 17,3 Kilometer langen Bunkeranlage. Dann stoppte das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung den Rückbau der letzten 203 Meter – und der gemeinnützige Heimatverein Alt-Ahrweiler erklärte sich bereit, den einstigen Bunker als Gedenkstätte zu betreiben. Daher kann man ihn heute besichtigen.
Technisch aufwendig und zugleich unheimlich bieder hatte sich die Bundesregierung für den Katastrophenfall eingerichtet. Bis hin zum Verslein, das schwarz auf ein gelbes Schild geprägt wurde: „Halte selbst hier alles rein und jeder wird zufrieden sein.“ Ob Helmut Kohl überlebt hätte? Eher nicht. Der Bunker war zwar „eine komplette Stadt unter dem Berg“, wie Heike Hollunder, Leiterin der Dokumentationsstätte, sagt. Doch eingerichtet war er nicht für das dauerhafte Überleben, sondern nur als Befehlsstand für 30 Tage nach einem Erstschlag. Der Bunker lag bis zu 110 Meter unter der Erde. Die Nato-Vorgabe von 200 Metern „Überdeckung“ sei nie erreicht worden, sagt Hollunder. Man sei davon ausgegangen, dass der Bunker einer Hiroshima-Bombe standhalte. Mittlerweile seien die Atomwaffen aber um ein Vielfaches stärker.
Bis zu 3000 Menschen hätten in den Bunker im Ahrtal, 25 Kilometer von Bonn entfernt, flüchten können. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Regierung, hohe Militärs. Vorwiegend Männer. Ihre Familien hätten sie draußen zurücklassen müssen. Mit dem Ende des Kalten Krieges sah die Regierung keinen Bedarf mehr für den kostenintensiven Bunker. Ende der 1990er-Jahre wurde er stillgelegt.
Kunsthistorikerin Heike Hollunder (61) lebt seit 30 Jahren in Ahrweiler, war von Anfang an beim Museumsprojekt dabei, übernahm bald die Leitung. Die „Parallelwelt unter dem Berg“ habe sie fasziniert, sagt sie. In den ersten Jahren des Museums, das 2008 eröffnet wurde, sei der Bunker von Besuchern als Kuriosum aus ferner Vergangenheit betrachtet worden. Inzwischen machten sich viele ernste Gedanken. Das Thema sei aktueller denn je, „die friedliche Zeit ist vorbei“, sinniert die Museumsleiterin. „Es gibt unfassbar viele Besucher, die seit dem Ukraine-Krieg kommen und sich mit dieser Frage beschäftigen. Die Angst ist groß, weil die Gefahr so nahe gerückt ist.“ Vereinzelt gebe es sogar Anfragen, ob man im Fall des Falles hierher flüchten könne. Kann man nicht. Denn es ist nicht viel übrig von dem Bunker, der den Ernstfall nie erlebte. Und: „Es gibt keinen Schutz im Atomkrieg“, sagt Hollunder.
Über dem Regierungsbunker wachsen Wald und Wein. Vom Eingang der Gedenkstätte blickt man hinauf auf einen Steilhang, Schmetterlinge tanzen in der Sonne. Es ist eine idyllische, touristisch beliebte Gegend entlang der Ahr. Der Tunnel war kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs für den Schienenverkehr gebaut, aber nie genutzt worden. In der Nazi-Zeit dienten Teile als Areal für die Champignonzucht. Ab 1944 schufteten hier zeitweilig hunderte Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald unter unmenschlichen Bedingungen, um unterirdisch mobile Abschussrampen für die Militärrakete V2 zu bauen.
Mit dem Nato-Beitritt verpflichtete sich die Bundesrepublik 1955, einen Ausweichsitz für die Regierung zu schaffen. Die Wahl fiel auf den Tunnel an der Ahr. Am 19. Januar 1962 gab Bundeskanzler Konrad Adenauer den Ausbau in Auftrag. Die Sache sollte strikt geheim bleiben, die Anlagen wurden als Gebäude des Technischen Hilfswerks ausgegeben, das in Marienthal einen Sitz hatte.
Als die Illustrierte „Quick“ 1962 unter dem Titel „Hier baut Bonn seinen Befehlsbunker“ über das Bauwerk berichtete, habe der Staat mit „einer der größten Polizeiaktionen“ reagiert, berichtet Hollunder. Dabei hätten andere Medien, auch in der DDR, schon vorher viel detaillierter über das Projekt geschrieben. Ohnehin habe die Geheimhaltung „vor Ort nicht so geklappt“. Kein Wunder. 140 Beschäftigte der „Dienststelle Marienthal“ hielten den Bunker betriebsbereit, weitere 40 arbeiteten in der Bunkerverwaltung in Marienthal. Ihren Familien durften sie nicht sagen, was genau sie dort taten. So entstanden Gerüchte und Halbwahrheiten.
Weil 2007 an nur zwei Wochenenden tausende Besucher kamen, entschloss sich der Heimatverein, den Regierungsbunker dauerhaft zu öffnen. Ein Jahr später eröffnete die Dokumentationsstätte und zog im ersten Jahr 80 000 Besucher an – obwohl es noch keine Toiletten oder Gastronomie gab. Insgesamt haben mehr als 1,1 Millionen Menschen die Gedenkstätte besucht.
Der Bau lässt in verschwörungsideologischen Kreisen bis heute Gerüchte kursieren. Die aus den USA stammende demokratiefeindliche „QAnon“-Erzählung handelt davon, dass hochrangige Persönlichkeiten angeblich unterirdisch Kinder misshandelten, sexuell ausbeuteten und ihnen Blut abzapften. Da bot sich der einst geheime Tunnel im Ahrtal als Projektionsfläche an.
Der Bund investierte 4,72 Milliarden D-Mark, mehr als 2,4 Milliarden Euro, in den Bau. Die Ausgaben für das Geheimprojekt wurden im Haushalt versteckt. Der Regierungsbunker verfügte über 936 Schlafräume, 897 Büros und Technikräume, einen Friseursalon, ein Hör- und Fernsehstudio und vier Krankenstationen. Nur dem Bundeskanzler und wenigen anderen stand ein Einzelzimmer zu.
Alle zwei Jahre übte die Nato hier den Ernstfall, von 1966 bis 1989. Die Bundeskanzler wurden von Vertrauten vertreten, die sich während dieser Tage „Bundeskanzler Üb.“ nannten – Bundeskanzler zur Übung. Oft waren es die Innenminister, Kanzler Kohl ließ sich von seinem Amtschef und engen Vertrauten Waldemar Schreckenberger doubeln. Die Übungsfunktionäre durften auch zu Feiern laden: „Der Bundeskanzler Üb. gibt sich die Ehre, zu einem Abendessen einzuladen“, steht auf einem erhaltenen Schreiben in der Ausstellung. Die Spätlese aus dem Marienthaler Klostergarten stand bereit. Edler Rotwein mitten im Atomkrieg.
Luxuriös war der Bunker aber nicht. Keine Trainingsgeräte, keinerlei Unterhaltung – dafür gewaltige Aschenbecher. Geraucht werden durfte sogar in Teilen der Krankenstation. „Es ist eine sehr deutsche Anlage“, beschreibt Hollunder die freudlose grau-braune Ausstattung. Einige trübe Kunstdrucke von Schloss Neuschwanstein oder Alpenlandschaften können den Eindruck nicht mindern. In Dänemark hat Hollunder einen Regierungsbunker mit vielen Farben gesehen, in Italien prangte ein großes Gemälde im unterirdischen Saal. Nichts dergleichen ist im ehemaligen deutschen Regierungsbunker zu finden.
Besichtigungen
Wer die Dokumentationsstätte besuchen will: alle Infos unter www.regbu.de. Es ist ratsam, die Tickets vorab online zu buchen.