Ein Auto für die ganze Familie: Das Modell 1500 brachte BMW auf die Gewinnerstraße. © BMW
Sonnenschein und Skier auf dem Dach: Ein BMW, so versprach es die Werbung, fährt auch sicher im Schnee. © BMW
München – „Freude am Fahren“, „Efficient Dynamics“. Viele Begriffe sind eng mit der Marke BMW verbunden. Dann gibt es noch: „Neue Klasse“. Klingt unspektakulär. Doch nichts ist in der BMW-Identität so tief verwurzelt wie die beiden schlichten Worte. So etwas wird nicht bei jeder Neuerung eingesetzt. Es muss etwas Bahnbrechendes sein. Wie damals 1961.
Es waren mehr als nur turbulente Zeiten für BMW, Ende der 1950er-Jahre. Zwischen den Achtzylinder-Luxuskarossen und zwei Isetta-Kleinwagen klaffte im Modellportfolio eine riesige Lücke. Sie hatte damals BMW bereits ein Stück weit über den Rand des Ruins hinausgebracht. Mercedes wollte übernehmen. Das hätte – wie bei Borgward in Bremen – das Ende der Marke bedeutet. Ein Aufstand von Kleinaktionären – viele davon BMW-Händler – verhinderte das Aus. Doch die Revolte brachte keine Rettung.
Die Wende brachte der Großindustrielle Herbert Quandt, dem – bedrängt vom legendären BMW Betriebsratsvorsitzenden Kurt Golda – ein Auto vorgeführt wurde, wie es in Deutschland keines gab: der BMW 700. Ein etwas größerer Motorradmotor als in der Isetta 600. Durchaus ähnliche Technik. Doch ein komplett anderes Design. Türen an der Seite und nicht mehr an der Front. Eine schnittige Karosserie mit Heckflossen und eine sportliche Erscheinung. Quandt wandte sich von Mercedes ab und investierte in München. Der 700 war der Notarzt-Wagen. BMW schaffte es zurück in die Gewinnzone. Doch an einem Kleinwagen konnte BMW nicht dauerhaft gesunden.
Nun kommt die Neue Klasse ins Spiel. Hinter verschlossenen Türen hatten BMW-Ingenieure noch etwas entwickelt. Ein Auto der Mittelklasse, das weit in die Zukunft wies und die Konkurrenz alt aussehen ließ: den 1500. Ein wassergekühlter Vierzylindermotor mit zunächst 1,5 Litern Hubraum und einer Leistung von 80 PS. Ein Auto mit vier Türen und ausreichend Platz für die ganze Familie. Dazu ein geradliniges Design. Wohltuend hob sich der 1500 von den biederen Heckflossen-Gefährten der Konkurrenten aus Stuttgart und Rüsselheim ab. Vielleicht Lancia aus Italien bot ähnlich elegantes. Aber zu welchem Preis?
Das Auto schlug ein. BMW war nicht mehr nur gerettet. Der Hersteller entwickelte sich zu einem urgesunden Unternehmen. Die Motoren wuchsen, zum 1600, zum 1800 und zum 2000. Wobei die Modellnamen zunächst für den wachsenden Hubraum standen. Zum Viertürer gesellte sich bald ein kleiner Bruder, der zunächst 1600-2 hieß. Die zwei für die Zahl der Türen. Daraus wurde eine ganze Familie, vom 1502 bis zum 2002 Turbo mit damals sagenhaften 170 PS. Die Ahnen des 3er.
Letztlich sind fast alle heutigen BMW-Modelle weiterentwickelte Nachfolger der 64 Jahre alten Neuen Klasse. Und Teil einer Erfolgsgeschichte, in der BMW zum internationalen Konzern wurde. Mit vier Produktionswerken in Deutschland, aber Fabriken auch in anderen Ländern Europas, in Afrika, Amerika und Asien.
Man muss sich die – in dieser Dimension unerwartete – Entwicklung seit der Vorstellung des 1500 auf der IAA 1961 vor Augen führen, um zu wissen, was „Neue Klasse“ für BMW bedeutet. Und für welchen Entwicklungssprung der Begriff steht: ein völlig neu gedachtes automobiles Konzept.
So auch die neue „Neue Klasse“: Batterieelektrisch, komplett alltagstauglich soll sie die Skepsis gegenüber Elektroantrieben zum Verstummen bringen. In vielen kleinen Details bietet sie – etwa bei den Instrumenten – Innovationen, die es so noch nie gab. In der „Neuen Klasse 2025“ steckt ein Vielfaches der Investitionssummen aus den 1960er-Jahren – aber ein ähnliches Risiko. Wieder setzt BMW alles auf eine Karte. Ob die Rechnung auch diesmal aufgeht, muss sich noch zeigen.MARTIN PREM