Großer Erfolg: Mario Adorf als Bösewicht Santer in „Winnetou 1“. © imago
Große Freundschaft: Mit Helmut Dietl drehte er „Kir Royal“ und „Rossini“. © SIGI JANTZ
Wahlmünchner: Mario Adorf mit Veronica Ferres beim Deutschen Filmball 2002 im Bayerischen Hof. © Heinz Weissfuss
In guter Gesellschaft: Adorf mit (v. li.) Joachim Fuchsberger, Alice und Ellen Kessler bei einem Filmfest 1959 in Berlin. © dpa
Große Liebe: Seit 1985 ist Mario Adorf mit Monique Faye verheiratet. © Gnoni-Press
Großer Auftritt: Mario Adorf als Heinrich Haffenloher in „Kir Royal“. © Allstar Picture
Höflich, humorvoll und charmant: Mario Adorf ist ein Gentleman, der das Leben genießt. Heute wird er 95 Jahre alt. © dpa
München – „Nehme mal an, das ist der letzte Preis“. So trocken kommentiert Mario Adorf im Herbst vergangenen Jahres, dass er den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk bekommt. Er ist bei der Gala nur zugeschaltet, es geht ihm nicht so gut. Früher habe er nie krankheitsbedingt gefehlt, aber mit 94 Jahren könne das eben vorkommen, meint Adorf. Ganz ohne Drama, wie er eben so ist. Heute wird der große Schauspieler 95 – und wie immer geht er jeder großen Feierlichkeit aus dem Weg. Er hat nichts gegen Anerkennung, aber dann eben für seine Arbeit und nicht für die Tatsache, Mario Adorf zu sein.
„Solange es geht, spielt man eben noch. Ich habe allerdings eine gewisse Scheu, alte, kranke Personen zu spielen. Geschichten, die im Altersheim, im Krankenhaus spielen, sind mir unangenehm“, hat er vor zehn Jahren gesagt. Und er hat weiterhin Rollen angenommen und ist auf Lesereisen gegangen. Der Mann hat sich bemerkenswert gut gehalten, auch wenn er damit kokettiert, dass er nicht mehr so lange schwimmen kann, wie er es einmal konnte, und seine Muskeln verschwinden.
Wenn man das Glück hatte, ihn ein wenig kennenzulernen, weiß man, dass er es ernst meint, aber gleichzeitig darüber steht. Obwohl Adorf seit unfassbaren 70 Jahren im Geschäft ist und über Jahrzehnte einer der größten (und bestbezahlten) Stars dieses Landes war, ist er ein berückend bodenständiger, unaufgeregter Zeitgenosse, gewissermaßen die Antithese einer Diva. Jeder, der ihn getroffen hat, weiß, dass Mario Adorf der liebenswerteste, freundlichste und höflichste Mensch ist, den man sich vorstellen kann. Deswegen ist es eine ironische Volte des Schicksals, dass er seine Karriere als Bösewicht vom Dienst begründete.
Ein großer Könner ohne Star-Allüren
Adorf ist das außerordentlich seltene Exemplar eines großen Könners, der auch ein angenehmer Mensch ist. Er hat keine erkennbaren Allüren, Großmannssucht ist ihm völlig fremd, und das ist in dem Kosmos, in dem er sich seit Ewigkeiten bewegt, schon bemerkenswert. Er braucht das Licht und den Applaus, aber er weiß, dass es seiner Darbietung gilt, nicht ihm. Adorf arbeitet lieber, als sich feiern zu lassen. Das klingt sehr preußisch, doch er ist fest davon überzeugt, dass das sein italienisches Erbe ist. Die Italiener seien entgegen vieler Klischees in Wahrheit sehr diszipliniert, gerade beim Genießen.
Seinen italienischen Vater hat der kleine Mario, der am 8. September 1930 als uneheliches Kind in Zürich zur Welt kam, nie richtig kennengelernt. Er wächst mit seiner deutschen Mutter in der Eifel in einfachen Verhältnissen auf. Als er seinen Papa das erste Mal trifft, weil er als angehender Student in der Schweiz ein regelmäßiges Einkommen nachweisen muss, verständigt er sich mit dem auf Latein. Adorf kann da noch kein Italienisch, lernt es aber. Genau wie er später gewissenhaft Französisch und Englisch lernt, um international mitmischen zu können. Andere deutsche Stars der Nachkriegsgeneration machen das nicht. Aber Adorf ist auch nicht wie die anderen.
Sehr dunkel in einer Zeit blonder Leinwand- und Bühnenhelden landet er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Kammerspiele-Intendant Hans Schweikart ist nicht sicher, ob Adorf Talent hat, aber ihm gefällt die Kraft und Naivität des jungen Mannes, der beim Vorsprechen von der Bühne fällt, gleich nach den ersten drei Worten seines vorbereiteten Monologs.
Adorf selbst zweifelt auch, ob er Talent hat. Nach dem halbherzigen Versuch eines Studiums und Hilfsarbeiten auf dem Bau probiert er es und ergattert eine erste Rolle in einem Kinoerfolg. In „08/15“ stiehlt er in der Nebenrolle des Gefreiten Asch dem Star-Ensemble die Show. 1957 landet Adorf als geisteskranker Mörder in „Nachts, wenn der Teufel kam“ einen Sensationserfolg, der ihm erste Rollen im Ausland einbringt – Italien, Frankreich, auch in Hollywood. Aber trotz lukrativer Filmangebote bleibt er an den Münchner Kammerspielen, bis 1962 ist er festes Ensemblemitglied.
Kurz darauf wird er als Mörder von Winnetous Schwester Nscho-tschi im ersten „Winnetou“ Deutschlands bestgehasster Mann – und endgültig ein Star, der sich seine Projekte aussuchen kann. Adorf lehnt viele Rollen ab, „manchmal neun von zehn“, wie er sich später erinnert. Mitunter nimmt er lieber kleinere Parts in interessanten Filmen an als die Hauptrolle in schlechten. 1965 wird ein Schicksalsjahr – er dreht mit dem quartalsirren Regieberserker Sam Peckinpah den Hollywood-Western „Sierra Charriba“, lehnt aber weitere Angebote der Traumfabrik dann ab. Adorf mag nicht „immer mexikanische Banditen“ spielen. Die Professionalität der Amerikaner beeindruckt ihn aber nachhaltig.
Als im deutschen Kino in den späten Sechzigerjahren wilde Jungfilmer beginnen, „Opas Nachkriegskino“ wegzufegen, arbeitet er eben mit denen. Er verzichtet auf seine üblichen hohen Gagen, wirkt dafür in einigen Meilensteinen des Neuen Deutschen Kinos mit. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Die Blechtrommel“, „Deutschland im Herbst“ oder „Lola“ für Regie-Amokläufer Rainer Werner Fassbinder, der Vorbereitung für Feigheit hält. Adorf streitet – natürlich – nicht, sondern probt heimlich nachts mit Partnerin Barbara Sukowa. Er hat es nicht so mit Konflikten. Wenn ihm etwas nicht zusagt, dann macht er es einfach nicht. Womöglich ist das das Geheimnis seines Erfolgs.
Als das Interesse am Neuen Deutschen Film in den Achtzigerjahren nachlässt, wechselt Adorf geschmeidig zum Fernsehen. Im Unterschied zu anderen Filmstars, die denselben Schritt gehen, wird das bei ihm nicht als Abstieg wahrgenommen. Adorf taucht nur in Edelproduktionen auf. „Der große Bellheim“, „Allein gegen die Mafia“, solche Sachen. Dazwischen wirkt er, damals noch sesshaft in Italien, immer mal wieder bei internationalen Produktionen mit – er wird gerne gebucht, auch wenn das seinen Preis hat. Adorf hat den Ruf einer sicheren Bank. Keine Exzesse, kein Gezicke, ein Profi, der seinen Beruf ernst nimmt und beherrscht.
„Isch scheiß dich zu mit meinem Jeld“
Und dann kommt 1986 die sechsteilige Serie „Kir Royal“, in der Adorf als rheinischer Großindustrieller mit „Isch scheiß dich zu mit meinem Jeld“ den wohl berühmtesten Monolog der deutschen TV-Geschichte vorträgt. Es sind in Wahrheit gar nicht so viele Szenen, die Adorf in der ersten Folge hat, aber er prägt mit seinem unvergesslichen Auftritt die Serie. Adorf kann den kompletten „Isch scheiß dich zu mit meinem Jeld“-Text noch Jahrzehnte später auf Knopfdruck fehlerfrei aufsagen, dieser Satz ist Popkultur. Überhaupt verfügt Adorf über ein beängstigend gutes Gedächtnis. Erzählt man ihm etwas von sich, hat er es beim nächsten Treffen – wann immer das stattfindet – parat. Präzise weiß Adorf, wann er was mit wem wo gedreht hat.
Auch wenn Adorf ein verbindlicher Zeitgenosse ist, der nicht gerne streitet, hat er eine sehr klare Haltung zu dem, was in der Welt vor sich geht. Er, der sein Leben lang zwischen Frankreich, der Heimat seiner Ehefrau Monique Faye, mit der er seit 1985 verheiratet ist, Italien und Deutschland gependelt ist, hat sehr wenig für engstirnigen Nationalismus und Menschenfeindlichkeit übrig. Angesichts der aktuellen Entwicklungen neigt er ein klein wenig zum Kulturpessimismus.
Gleichzeitig ist Mario Adorf ein unverbesserlicher Optimist und einer, der sehr im Hier und Jetzt verwurzelt ist. So gelingt es ihm, kommerzielle Notwendigkeiten, Branchenevents und das lustvolle Eintauchen in Gegenkulturprojekte wie den Fußballfan-Film „Gegengerade“ (2011) miteinander zu verbinden. Nur einer wie Adorf kann ebenso stilsicher im Smoking beim Filmball auftauchen und gleichermaßen elegant abtauchen, wenn die Premiere des erwähnten „Gegengerade“ in eine Massenschlägerei ausartet, die von der Polizei aufgelöst werden muss.
Heute wird Mario Adorf, fantastischer Schauspieler, begnadeter Geschichtenerzähler, leidenschaftlicher Sänger, Sprachtalent, Erfolgsautor, Gedächtniswunder und Seele von Mensch 95 Jahre alt. Arbeiten wird er weiter, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Man will ihn noch so oft wie möglich sehen.ZORAN GOJIC