Ist er sein letzter Trumpf? Präsident Emmanuel Macron (li.) mit dem neuen Premierminister Sébastien Lecornu. © Ludovic Marin/AFP
Paris – Krisen kann er: Der neue französische Premierminister Sébastien Lecornu hat den Ruf eines guten Konfliktmanagers. Und genau so einen braucht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron jetzt. Nur ganze 24 Stunden nach dem Sturz von François Bayrou hat er Lecornu benannt. Die erhoffte Ruhe hat das aber nicht gebracht. Landesweit brachen gestern trotzdem teils gewalttätige Proteste aus.
Macron sorgt sich vor einer ähnlich großen Protestwelle wie bei der Gelbwesten-Bewegung, die 2019 eine Spur der Zerstörung im Land hinterließ. Damals war es Lecornu, der im ganzen Land endlose Diskussionsrunden mit Macron organisierte, um die Wut der Enttäuschten und Benachteiligten zu dämpfen. Es lag also nahe, jemanden zum Regierungschef zu machen, der mit solchen Situationen Erfahrung hat. Lecornu war bereits beim vorherigen Regierungswechsel Favorit. Aber damals hatte sich in letzter Minute der Zentrumspolitiker François Bayrou dem Präsidenten aufgedrängt. Nun hat Lecornu den Posten doch noch bekommen.
Lecornu ähnelt Macron darin, dass er in jungen Jahren in hohe Staatsämter kam. Er ist aber zugleich zurückhaltend und loyal. Der 39-Jährige, der deutlich älter wirkt, hat seine politische Karriere mit 19 Jahren bei der konservativen Partei UMP begonnen, aus der die Republikaner hervorgegangen sind. Er hatte seitdem zahlreiche Posten inne und brach mehrfach Rekorde als jüngster Amtsinhaber. Lecornu war Bürgermeister der kleinen Stadt Vernon in der Normandie, Senator, hatte drei Ministerposten inne und ist seit acht Jahren Regierungsmitglied.
Er gilt als einer der treuesten Wegbegleiter Macrons und hat für ihn schon zahlreiche heikle Aufgaben erledigt. Zu seinen ersten Dossiers zählte die Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim nahe der deutschen Grenze. Anschließend profilierte er sich beim Eindämmen der Gelbwesten-Proteste. 2022 war Lecornu eine der Schlüsselfiguren in Macrons Wahlkampf für dessen zweite Amtszeit. Mit 35 wurde er Verteidigungsminister, der jüngste seit der Französischen Revolution. Wegen des Ukraine-Kriegs und Macrons Bemühen, die europäische Verteidigung auszubauen, gewann sein Ministerium an Bedeutung – und Lecornu an internationaler Statur.
Insbesondere zu seinem deutschen Amtskollegen Boris Pistorius (SPD) fand er schnell einen Draht. Beide bemühten sich, die Arbeit an den gemeinsamen Rüstungsprojekten wieder in Gang zu bringen, die sich wegen Streitereien zwischen den beteiligten Unternehmen verzögert hatten. Im Juli lud Pistorius Lecornu in seine Heimatstadt Osnabrück ein und besuchte mit ihm ein Werk von Rheinmetall, das an dem deutsch-französischen Kampfpanzer MGCS beteiligt ist.
Im eigenen Lager hat Lecornu viele Freunde. Aber er pflegt auch Kontakte zur rechtspopulistischen Opposition. Für seine gemeinsamen Mittagessen mit deren Fraktionschefin Marine Le Pen ist er von den Linken heftig kritisiert worden.
Von seinem Privatleben ist wenig bekannt. Er ist Reservist bei der Gendarmerie und unverheiratet. Mit 39 ist er nicht der jüngste Regierungschef der Geschichte: Gabriel Attal war im Januar 2024 mit 34 Premierminister geworden, Laurent Fabius im Jahr 1984 mit 37. Lecornus wichtigste Aufgabe besteht nun darin, einen Haushalt für das kommende Jahr durch das Parlament zu bringen. Dafür braucht er eine Mehrheit.
Die Nationalversammlung ist aber tief gespalten. Macrons Mitte-Lager, die Rechtsnationale und das linke Lager stehen sich als Blöcke gegenüber. Alle ohne eine Mehrheit. Die Linkspartei LFI, die Grünen und die Sozialisten reagierten ablehnend auf Lecornus Ernennung. Und die Rechtsnationalen forderten nicht zum ersten Mal Parlamentsneuwahlen. Der neue Premier wird vermutlich auf die Unterstützung der Sozialisten angewiesen sein, die sich dies etwas kosten lassen dürften.
Die Sozialisten teilten schon mal mit. „Emmanuel Macron beharrt auf einem Weg, an dem kein Sozialist teilnehmen wird.“ Sébastien Lecornu wird, das ist von Beginn seiner Amtszeit an klar, seinem Ruf als guter Krisenmanager erneut gerecht werden müssen.ANNE RENAUT UND ULRIKE KOLTERMANN