Die Rebellion der alten Kloster-Damen

von Redaktion

Das Schloss mit dem Kloster: Hier lebten die Nonnen, hierhin sind sie jetzt gegen den Willen der Kirche zurückgekehrt. © dpa

Die Treppenlifte wurden abmontiert: Regina geht jetzt eben zu Fuß, auch wenn es beschwerlich ist. © Patrick Guyton

Im Zwiegespräch mit dem Herrn: Nonne Regina sitzt in der Kapelle des Klosters von Schloss Goldenstein in Elsbethen, einer südlichen Umlandgemeinde der Stadt Salzburg. © P. Guyton

Sie mischen gerade die Oberen auf: die Ordensschwestern Regina (86), Rita (82) und Bernadette (88, v.li.). © Patrick Guyton

Schloss Goldenstein – Im Garten bückt sich Schwester Rita hinunter und jätet Unkraut. „In den zwei Jahren ist das alles überwuchert worden“, klagt die 82-jährige Nonne. „Vor allem der Erdholler geht nicht richtig raus. Aber es ist ja eine schöne Arbeit.“ Dann pflückt sie einen großen Strauß Pfefferminze: „Das gibt nachher einen Tee.“ Rita ist wieder zurück in ihrem Kloster im Schloss Goldenstein, in Österreich, sieben Kilometer südlich von Salzburg. Ebenso wie ihre Mitschwestern Regina (86) und Bernadette (88). Nachdem sie aus dem Altenheim, wo es ihnen überhaupt nicht gefallen hat, geflohen sind, manche sagen auch ausgebrochen. Eine Flucht mit anschließender Klosterbesetzung, die überregional für Aufsehen sorgte. Auch unsere Zeitung berichtete über das aufmüpfige Trio.

Vor gut zwei Wochen war das, am 4. September. „Nach dem Mittagessen“, wie Schwester Bernadette erzählt. Sie sitzt draußen auf der Veranda auf einer Holzbank, auf einem dunkelgrünen Tisch stehen Kirschkuchen und Gebäck. Die Unterstützer der Nonnen bringen so etwas ständig vorbei.

Im Dezember 2023 waren die drei vom zuständigen Ober, dem Propst Markus Grasl, in einer katholisch geführten Seniorenresidenz ein paar Kilometer südlich von Goldenstein einquartiert worden. „Es hieß immer, es geht um Kurzzeitpflege“, sagt Bernadette. „Aber die haben sich nicht mehr um uns gekümmert. Und wir wollten endlich wieder nach Hause, ins Kloster.“ Sie wolle ganz sicher nicht in dem Heim sterben. „Da hätte ich mich lieber auf eine Wiese gelegt.“

Helfer brachten sie zurück ins Kloster

Die Flucht war gut organisiert. Freundinnen und Freunde luden die drei in Autos ein – und weg waren sie. Am Kloster musste ein handwerklich begabter Mann erst das in der Zwischenzeit ausgetauschte Schloss öffnen, damit sie überhaupt wieder reinkonnten.

Drei alte, sehr alte Nonnen als Hausbesetzerinnen – explizit gegen den Willen der Zuständigen bei der katholischen Kirche. Als Erstes seien zwei Polizisten gekommen – „das waren ganz liebe“, erzählt Bernadette. Sie hätten sich erkundigt, ob die medizinische Versorgung gewährleistet und sonst alles Notwendige da sei.

Die ungehorsame Rückkehr der drei alten Damen treibt nicht nur den Ort Elsbethen um, in dem sich das markante Schloss Goldenstein mit seinem Kloster befindet. Die Rebellion interessiert in der ganzen Welt. Die britische BBC hat berichtet, der US-Sender CNN. Der US-Dokumentarfilmer Brad Bailey war da, ebenso die New York Times. Auf Instagram haben die Nonnen inzwischen zehntausende Follower. Die alten Damen können Öffentlichkeit. Am Samstag luden sie zu einem Rosenkranzbeten in ihre Kapelle ein.

Das für das Kloster der Augustiner-Chorfrauen zuständige Stift Reichersberg widerspricht den Vorwürfen der Nonnen und ihrer zahlreichen Unterstützer. 2023 sei die gesundheitliche Situation der Schwestern „so prekär gewesen, dass – auch auf dringendes medizinisches Anraten – eine Übersiedlung in ein Pflegeheim unumgänglich war“, teilt der Sprecher des Stiftes, Harald Schiffl, gegenüber dieser Zeitung mit. Schiffl mit Büro in Wien ist selbstständig und auf „Krisenkommunikation“ spezialisiert. Er wird eingeschaltet, wenn – salopp gesagt – die Hütte brennt.

Kirche: Kloster nicht behindertengerecht

„Die Notwendigkeit einer Übersiedlung“, sei mit den drei Schwestern „selbstverständlich besprochen worden“, sagt der Stifts-Sprecher. Im Pflegeheim hätten sie „umfassende medizinische Betreuung“ und könnten „mit anderen Ordensfrauen in einer geistlichen Gemeinschaft leben“. Das Kloster hingegen sei „weder alters- noch behindertengerecht“. Einst hatten sie von der Kirche schriftlich die Versicherung erhalten, bis zu ihrem Tod im Kloster leben zu dürfen. Allerdings mit dem Zusatz: „Solange dies gesundheitlich und geistlich vertretbar ist.“

Nun sind sie also ausgebüxt, zurück in ihre alte Heimstätte. Und die drei finden nicht, dass sie so schlecht beieinander sind. Auch die vielen Besucher haben gar nicht diesen Eindruck, ebenso wenig wie die Leute vom Unterstützerkreis, die die Nonnen teils schon sehr lange kennen.

Eine von ihnen ist Christina Wirtenberger. Als Kind hat sie selbst die einst von den Nonnen geführte Mädchen-Mittelschule für 10- bis 14-Jährige im Schloss Goldenstein besucht. Sie stamme aus einem sehr schwierigen Elternhaus, erzählt Wirtenberger, „und die Schule und das Internat waren meine Rettung und mein Segen“. Schwester Regina war selbst Schulleiterin und Bernadette Lehrerin. Die Kinder, so sagen sie, waren ihnen immer das Liebste – und sind es jetzt nach der Rückkehr wieder.

Es sind teils harte Vorwürfe, die die Nonnen erheben und die nicht alle überprüft werden können. Sie seien als „schwer dement“ dargestellt worden, berichtet Bernadette. Ein von ihnen hinzugezogener Arzt habe aber festgestellt: „Wir sind völlig klar, von Demenz keine Spur.“ Der Propst hat ihnen gedroht. Mit dem Kirchenrecht, sogar mit Exkommunizierung, also dem Rauswurf aus der Kirche. Das bestreitet Krisen-Mann Schiffl nicht. Die Schwestern hätten „mit ihren Gelübden auch Gehorsam“ ihrer Oberin/ihrem Oberen gegenüber versprochen, meint er. Dies sei „bindend“.

Das Konto mit den Pensionen ist gesperrt

Bernadette sagt dazu: „Ich bin gehorsam gegenüber Gott, Jesus Christus und der Kirche.“ Auf keinen Fall möchte sie, dass jemand wegen ihr und den anderen den Katholiken den Rücken kehrt. Für Gottesdienste in der eigenen, großen Kapelle, die Schwester Regina gern zeigt, haben sie einen Geistlichen gewinnen können – „ein 91-jähriger Priester, er ist sehr würdig und tief fromm“.

Nach Ansicht von Christina Wirtenberger und den anderen benötigen die Nonnen nur wenig Unterstützung. Einer müssten zweimal am Tag die Beine verbunden werden. Die andere komme mit Tabletten gut mit ihrem Altersdiabetes zurecht. Das war es aber auch, meint die Helferin. Zwei aus dem Trio benutzen Rollatoren, sie können kochen oder Essen beim Roten Kreuz bestellen. Beschwerlich ist freilich der Auf- und Abstieg in die Zimmer des Schlosses im dritten Stock. Denn während ihrer Abwesenheit wurden die drei Treppenlifte abmontiert. „Die haben die vielleicht verkauft“, mutmaßt Regina. Die Lifte seien „in die Jahre gekommen“, sagt der Sprecher.

An diesem Tag haben Regina, Rita und Bernadette schon einen anstrengenden Vormittag hinter sich, und der Nachmittag wird nicht anders. Journalisten sind da, Helfer, die organisieren, Menschen aus Elsbethen kommen immer wieder, auch viele frühere Schülerinnen. Eine Frau sagt: „Der ganze Ort steht hinter ihnen. Wir freuen uns so sehr, dass sie wieder da sind.“ Stifts-Sprecher Schiffl hingegen findet es „befremdlich, wie sehr die Schwestern vorgeführt werden“.

Wie wird es weitergehen mit den Nonnen im Widerstand? „Mit ihren Pensionen, die sie als frühere Lehrerinnen erhalten, würden sie gut über die Runden kommen“, glaubt Wirtenberger. Falls in einem gewissen Maß mehr Pflege nötig würde, wäre das zu organisieren und zu bezahlen. Doch bislang ist die Sache mit dem Geld noch nicht geregelt. Das Kloster hat ein Gemeinschaftskonto, auf dem laut der Helferin 400 000 Euro liegen. Als Schwester Bernadette aber 150 Euro abheben wollte, um Stoff zum Nähen von Ordenskleidung zu kaufen, stellte sie fest: Das Konto ist gesperrt. Bisher ist darauf alles Geld geflossen, auch die Pensionen.

Es ist 19 Uhr. Ein Helfer sagt: „Gerade hat sich ein Vatikan-Korrespondent angekündigt. Der kommt nächste Woche aus Rom.“ Schwester Regina meint nur: „Es ist spät, wir müssen jetzt endlich beten.“

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