Mit dem Bergbus in die Alpen

von Redaktion

Spaß zu zweit ohne Stress: Renate (links) und Edith fahren bis Bayrischzell. Dort wird durchs Leitzachtal gewandert. © Schmidt

Unter blauem Himmel: Der Alpenbus hält auch in Bayrischzell, von dort kann man auf den Wendelstein (im Bild). © A. Schmidt

Daniela Ullmann sagt Servus: Die Talstation der Wendelsteinbahn ist ihr Busziel. Weiter geht es zu Fuß. © Achim Schmidt

Alix Nepveux fährt zum ersten Mal mit dem Bergbus. Die 28-Jährige will auf die Aiplspitz bei Fischbachau. © Achim Schmidt

München – Noch steht der grün-weiß-blaue Bus an der Friedenstraße. Der Mann am Lenkrad trägt ein weißes Hemd und eine verspiegelte Brille. Auch wenn die Sonne scheint und keine Wolke am Himmel zu sehen ist, zeigt das Thermometer gerade mal etwas mehr als zehn Grad an. Trotzdem steigen viele Menschen ein. Statt Anzug und Aktentaschen tragen sie Bergschuhe und Rucksäcke. Und mancher noch kurze Hose. Lediglich die zwei Nonnen im Ordensgewand fallen kleidungstechnisch aus der Reihe. Pünktlich um 8.40 Uhr schließen sich die Türen, der Bus lässt Ostbahnhof, Gleise und Beton hinter sich.

Raus aus der Stadt zieht es auch Alix Nepveux. Vor drei Jahren ist die Französin nach München gekommen. „Paris ist schön, aber die Berge fehlen“, sagt die 28-Jährige. Was sie in der Heimat vermisste, holt sie jetzt nach. Sie ist oft in den Alpen unterwegs. Den Bergbus nutzt sie heute zum ersten Mal. Weil sie kein Auto besitzt, war er die beste Alternative. Obendrein muss sie mit ihrem Deutschlandticket nichts bezahlen. Die junge Frau will die 1759 Meter hohe Aiplspitz bei Fischbachau im Kreis Miesbach erklimmen.

Über der Windschutzscheibe des Busses leuchtet in orangenen Buchstaben „Hinterthiersee“. Das liegt schon in Österreich, ein Stück nordwestlich von Kufstein. Auf dem Weg dorthin hält der Bergbus immer wieder. An Zielen, die mit dem öffentlichen Nahverkehr nur schwer erreichbar sind. Mit diesem Hintergedanken gründete der Deutsche Alpenverein (DAV) 2021 das Projekt „Münchner Bergbus“. Damals fuhren aufgrund der Reiseeinschränkungen während der Corona-Pandemie immer mehr Menschen in die Alpen. „Die Leute wollen sowieso in die Berge“, sagt Hannah Trowal, Sprecherin der Sektion München und Oberland. Deshalb ist sie überzeugt, dass der DAV den Andrang in die Berge nicht verschlimmert, sondern vielmehr für eine klimaschonende Anreise sorgt. Und wer mit dem Bus fährt, besetzt auch keine Parkplätze.

Ohne Stress wollen auch Renate und Edith den Tag verbringen. Die Seniorinnen aus dem Landkreis München halten sich mit ihrer „Wandergruppe 60+“ fit. „Es ist immer gut, in Bewegung zu bleiben“, sagt Edith. Erfahrung mit dem Bergbus hat die 84-Jährige bisher nicht gesammelt, Freundin Renate schon. „Ich finde es entspannter als im Zug“, sagt die 75-Jährige. Von dem Angebot hat sie aus der Zeitung erfahren. Für sie endet die Fahrt in Bayrischzell, wo sie durch das Leitzachtal wandern. „Hoffentlich schaffen wir es ohne Stau.“

Dem kommt freilich auch der Bergbus nicht aus. Auch heute ist die A8 gut gefüllt mit Pkw und Lastwagen. Aber in der großen Fahrgemeinschaft ist der Stau nicht ganz so nervig. Ein kleiner Tratsch hier, einer dort. Und dann löst sich der Stau auch schon wieder auf. Als der Bus die Autobahn verlässt, wird der Blick aus dem Fenster immer idyllischer. Am Schliersee schauen die Ausflügler sehnsüchtig nach draußen. Auch Daniela Ullmann genießt die Aussicht. In wenigen Stunden will die 43-Jährige von 1838 Metern Höhe ins Tal blicken. Sie steigt an der Talstation der Wendelsteinbahn aus. Auf den Gipfel geht es zu Fuß.

Nach und nach leert sich der Bus. War am Ostbahnhof noch mehr als die Hälfte der Plätze besetzt, sind nun die meisten frei. Das ist aber nicht immer so. Prinzipiell sei die Nachfrage „sehr gut, aber auch stark vom Wetter abhängig“, sagt eine Sprecherin des MVV. Seit vergangenem Jahr ist das Pilotprojekt des Alpenvereins in den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund integriert. Neben der Linie „396“, die nach Thiersee führt, gibt es noch eine zweite. Wer in Pasing in den Bergbus 996 steigt, kann die Wieskirche oder Schloss Neuschwanstein besuchen. Beide Linien werden samstags, sonntags und feiertags bedient (siehe auch Artikel unten). 2024 haben laut MVV mehr als 7000 Ausflügler die zwei Angebote genutzt. In dieser Saison, die bis Anfang November läuft, könnten es noch mehr werden.

Der 396er hat sein Ziel bald erreicht. Je näher er Thiersee kommt, desto leerer wird der Bus. Auch auf den Straßen ist jetzt weniger los. Der Fahrer lenkt das tonnenschwere Fahrzeug auf drei Achsen sicher um die immer engeren Kurven. Der Handyempfang wird schlechter. Wer statt auf den Bildschirm seines Smartphones aus dem Fenster schaut, sieht alte Bauernhöfe und Balkone, die mit prächtigen Geranien geschmückt sind. An den Hängen schneiden die Landwirte das Gras mit Spezial-Mähern, die auch im steilen Gelände stabil bleiben.

Bei diesen Anblicken fühlen sich die knapp zwei Stunden Fahrt deutlich kürzer an. In Hinterthiersee, wo es zwar viele Pensionen, aber keinen Supermarkt gibt, sitzt nur Alex mit seiner Frau und Tochter noch im Bus. Die Familie steigt aus und steuert erst mal die Wanderkarte an, die neben der Pfarrkirche steht. Die knapp sechs Kilometer lange Modal-Runde, die sie gehen wollen, ist dort nicht eingezeichnet. Macht nichts. „Werden wir schon finden“, sagt Alex.

Der Fahrer stellt seinen Bus auf einem Parkplatz ab und macht seine wohlverdiente Mittagspause. Gegen 16 Uhr setzt er sich zum letzten Mal an diesem Tag ans Steuer, schließt die Türen und fährt los. Mit dabei sind auch wieder Alex und seine Familie. Ihre Modal-Runde haben sie gefunden, sitzen wohlauf und tiefenentspannt im Bus. Von den Tiroler Bergen müssen sie sich für heute verabschieden. Die Türen schließen sich. Abfahrt zum Münchner Ostbahnhof.

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