Zu Besuch in der Redaktion: Generalkonsulin Talya Lador-Fresher mit Chefredakteur Georg Anastasiadis (r.) und Politik-Redakteur Marcus Mäckler. © Foto: Astrid Schmidhuber
Ein Mahnmal am Synagogen-Zaun in Berlin: Dort hängen Bilder von Geiseln, lebenden und ermordeten, die von den Hamas-Terroristen 2023 verschleppt wurden. © John Macdougall/AFP
München – Erst schickten sie 3900 Raketen über die Grenze, dann fielen die Hamas-Angreifer wie Barbaren in Israel ein. Sie töteten 1200 Menschen, 250 weitere verschleppten sie in den Gazastreifen. All das ausgerechnet am Sabbat. Der 7. Oktober, der sich heute zum zweiten Mal jährt, hat tiefe Wunden geschlagen, auch bei Talya Lador-Fresher. Im Interview spricht Israels Generalkonsulin für Süddeutschland über Israels Härte im Krieg – aber auch ihre eigene, private Suche nach ihren Wurzeln.
Frau Lador-Fresher, Sie waren kürzlich in Leipzig, um das Grab Ihrer Urgroßeltern zu suchen. Haben Sie es gefunden?
Meine Geschichte mit Leipzig ist eine lange Geschichte. Mein Vater kam von dort. Er war Holocaust-Überlebender, war im Ghetto, musste sich verstecken und nach dem Krieg hat es lange gedauert, bis er wieder beieinander war. Körperlich zumindest – das Trauma wurde er nie los. Aber die gute Zeit für meinen Vater war seine Kindheit in Leipzig und er hat viel davon erzählt. Leider habe ich ihn früh verloren. Ich war 18 und konnte ihm die richtigen Fragen nicht mehr stellen.
Deswegen recherchieren Sie Ihre Familiengeschichte jetzt selbst?
Genau. Ich war schon zum dritten Mal in Leipzig. Vor acht Jahren habe ich dort die Stolpersteine für meine Familie verlegt, was sehr bewegend war. Zuletzt war ich im Sächsischen Staatsarchiv, das nur für mich geöffnet wurde, und ich habe viele interessante Dokumente gefunden. Darin stand auch das genaue Sterbedatum meiner Urgroßmutter, das war 1912. Ein netter Mensch hat mir geholfen, ihr Grab auf dem alten jüdischen Friedhof zu finden. Sie hieß Esther Lederberger. Ihr Grabstein sieht aus, als wäre sie erst vorgestern gestorben.
Sie sind seit zwei Jahren als Generalkonsulin in Süddeutschland. Mit welchem Gefühl kamen Sie hierher?
Mit einem guten. Es war mein starker Wunsch, nach Deutschland zu kommen. Meine Eltern haben mich israelisch-deutsch erzogen, vieles in meiner DNA ist deutsch. Ich bin pünktlich, ordentlich und sehr klar.
Kurz nach Ihrer Ankunft kam der 7. Oktober. Jetzt, zwei Jahre später, könnte der Krieg enden. Wie groß ist Ihre Hoffnung in die neuen Verhandlungen?
Nach so vielen Enttäuschungen von palästinensischer Seite seit der Ablehnung des Teilungsplans von 1947 ist mein Optimismus leider nicht groß. Dennoch haben wir nicht den Luxus, pessimistisch zu sein.
Die Hamas will ein Mitspracherecht bei der Zukunft Gazas. Ist das vorstellbar?
Die Hamas ist eine Terrororganisation. Das sage nicht nur ich, so stuft unter anderem die EU die Hamas ein. Außerdem scheint es so, dass viele Menschen in Gaza sich ebenfalls von der Gewalt der Hamas befreien möchten. Der 7. Oktober hat uns gezeigt, dass sich niemand eine dschihadistische Terrororganisation, die ein Gebiet und seine Bevölkerung kontrolliert, leisten kann.
Netanjahus Koalitionspartner fordern die Annexion des Westjordanlands und Gazas. Würde ein Deal mit der Hamas die israelische Regierung sprengen?
Die zwei größten Oppositionsführer haben bereits klar gesagt, dass sie Netanjahu bei diesem Deal unterstützen werden. Dennoch steht die Möglichkeit im Raum, dass wir vorgezogene Neuwahlen abhalten.
Israel geht mit so großer Härte in Gaza vor, dass der Vorwurf im Raum steht, es sei vom Opfer zum Täter geworden. Wie gehen Sie damit um?
Der 7. Oktober war ein barbarisches Massaker, bei dem an einem Tag so viele Juden umgebracht wurden wie seit dem Holocaust nicht mehr. Die Frage ist sehr diplomatisch gestellt. Der Vorwurf ist ja, dass Israel einen Genozid begeht und die Menschen in Gaza verhungern lässt. Wir können offen über die Art und Weise debattieren, wie Israel diesen Krieg führt. Das Problem ist: Normalerweise findet ein Krieg oberirdisch statt und die Zivilisten verstecken sich unterirdisch, etwa in U-Bahn-Stationen, wie man es in der Ukraine beobachten kann. In Gaza ist das umgekehrt: Dort sind die Terroristen unten und die Zivilisten oben. So einen Krieg hat bisher niemand geführt.
Zuletzt warf eine UN-Kommission Israel in einem Bericht Genozid vor…
Ich weiß, dass die Uno in Deutschland als bedeutende Organisation gilt. In Israel ist das nicht immer so. Der UN-Menschenrechtsrat, von dem diese Vorwürfe kommen, hat seit seiner Gründung 2006 ganze 108 Resolutionen zu Israel verabschiedet, 108! Zum Sudan: 23, zu Russland: 10, zu Syrien: 41. Es ist eine Obsession, die die Uno mit Israel hat. Ja, die Situation in Gaza ist schlecht, die Leute leiden. Aber es gibt kein Aushungern. Die Gaza Humanitarian Foundation im Süden des Gebiets….
… deren Verteilzentren auch umstritten sind, weil dort Palästinenser getötet worden sein sollen…
… diese Organisation, deren System am Anfang Probleme hatte, weil die Hamas es mit Gewalt verhindern wollte, verteilt inzwischen mehr als eine Million Mahlzeiten am Tag. Das läuft sehr gut. Und natürlich gibt es keinen Genozid in Gaza. Ich würde sagen: Dieser Krieg läuft überhaupt nur deshalb so lange, weil wir versuchen, Menschenleben zu schonen.
Die Rede ist von 65 000 toten Palästinensern.
Es ist ganz einfach: Wir wollen nicht, dass Menschen, die keine Terroristen sind, sterben. Aber wahr ist auch, dass es in jedem Krieg leider zivile Opfer gibt. Auch viele israelische Soldaten und Zivilisten wurden getötet und verletzt. Das ist Teil des Leids auf unserer Seite.
Es gibt auch in Israel viel Kritik an der Regierung. Der Armeechef selbst hat die Offensive in Gaza-Stadt scharf kritisiert…
Noch dazu gibt es jeden Samstagabend in Tel Aviv und anderen Städten Demonstrationen gegen die Regierungspolitik. Das zeigt zunächst mal, wie stark die Demokratie bei uns in Israel ist, und natürlich auch, dass es eine Spaltung im Land gibt. Aber in einem sind sich alle einig: Die Geiseln müssen nach Hause kommen. Deshalb ist es mir immer wichtig, diese gelbe Schleife zu tragen (Lador-Fresher zeigt auf das Revers ihres Blazers). Wir vergessen sie nicht. Und bei noch etwas sind sich alle Israelis einig: Die Hamas darf keine zweite Chance bekommen, niemals.
Was genau ist das Ziel, was die Hamas betrifft?
Das Ziel ist Entwaffnung. Schauen Sie mal in den Libanon. Wir sehen, wie die Hisbollah, die eine stärkere Terrororganisation als die Hamas war, durch unsere Operationen geschwächt wurde. Jetzt will die neue libanesische Regierung die Terroristen entwaffnen. Das ist ein langer Weg, aber es gibt den politischen Willen.
Ist die Hamas nicht längst am Boden? Zuletzt erklärten 600 ehemalige israelische Armee- und Geheimdienstangehörige öffentlich, die Organisation sei keine Gefahr mehr…
Lassen Sie mich einen Moment lang Netanjahu sein. An seiner Stelle würde ich sagen: Diese Leute haben jahrelang behauptet, die Hamas sei abgeschreckt. Am 7. Oktober waren wir blind, weil die Armee und die Geheimdienste zu lange gedacht hatten, ein Angriff sei nicht im Interesse der Hamas.
Ist der Preis für den harten Kurs nicht, dass Juden in aller Welt an Sicherheit verlieren, weil sie in einem feindlichen Klima leben?
Juden leben schon jetzt in einem aufgeheizten Klima, die antisemitischen Vorfälle sind durch die Decke gegangen. Es geht dabei nicht nur um rechte und islamistische Gewalt, sondern auch um links-kulturellen Antisemitismus. Sie haben ja erlebt, wie die Münchner Philharmoniker von einem Festival in Belgien ausgeladen wurden, nur weil der Dirigent Israeli ist. Auch wir in Bayern haben das Gefühl, dass manche Kulturinstitutionen sich schwerer tun, mit uns zusammenzuarbeiten. Oft werden Sicherheitsbedenken vorgeschoben, aber es bleibt das ungute Gefühl, dass mehr dahintersteckt. Ich glaube übrigens nicht, dass der Antisemitismus in Europa in dem Moment abnehmen würde, in dem wir einen Waffenstillstand hätten. Es hilft nur eins: Die guten Leute in der breiten Mitte der Gesellschaft müssen ihre Stimme erheben.
Fühlen sich Juden und Israelis heute in München sicherer als in Berlin?
Ich glaube schon, die Situation hier ist besser als in Berlin. Das liegt sicher an der klaren Haltung der Staatsregierung und an der Stärke der Polizei. Kürzlich haben alle demokratischen Parteien im Landtag beschlossen, einen Freundeskreis Israel zu gründen. Das ist eine starke Botschaft, die zeigt, wo Bayern steht.
Und der Kanzler? Er schränkt Waffenlieferungen ein und ringt zugleich bei der Eröffnung der Synagoge in der Reichenbachstraße mit den Tränen. Wie blickt man in Israel auf ihn?
Jahrelang haben wir Friedrich Merz, den Menschen und den Politiker, als Freund Israels geschätzt. Ich würde sagen, das ist er immer noch. Trotzdem ist die Waffenentscheidung problematisch und schädlich.
Sie sind auch Mutter, haben Familie. Was machen die Bilder aus Gaza mit Ihnen persönlich?
Natürlich verstehe ich das Mitgefühl, das die Bilder einer Mutter, die mit ihren Kindern flieht, bei den Menschen auslösen. Trotzdem kann ich den Kontext nicht ausblenden. Ich weiß, was vorher war, und dieses Vorher lässt mich nicht los.
Nehmen wir an, jetzt gelänge eine Verhandlungslösung. Wo sähen Sie Israelis und Palästinenser in zwei Jahren? In Gesprächen über eine Zwei-Staaten-Lösung?
Seit 100 Jahren reden wir über die Zwei-Staaten-Lösung, immer wieder haben die Palästinenser sie abgelehnt. Als 1947 der UN-Teilungsplan verabschiedet wurde, haben die Juden auf den Straßen getanzt, während uns die Araber den Krieg erklärt haben. Auch wenn der Trump-Plan umgesetzt wird, braucht es Zeit. Und wir brauchen Zeit, damit die Wunden heilen.