Machen sich gemeinsam die Hände dreckig: Die studentischen Raketentüftler von WARR. © hor
„Irre“: Forschungsminister Markus Blume © Koenig – StMWK
Die Energie der Sterne: In der Tokamak-Versuchsanlage in Garching werden die Möglichkeiten der Kernfusion erforscht. Dafür müssen extrem hohe Temperaturen erreichtwerden. © MPI für Plasmaphysik / Jan Hosan
Garching – Dort, wo vielleicht gerade der nächste bayerische Nobelpreis entsteht, sieht es ein bisschen aus wie in einer Bastlerwerkstatt. Überall sind Kabel, Metallkästen mit Drehknöpfen, Messgeräte und Monitore zusammengesteckt. Viel Platz bietet der Raum darüber hinaus nicht mehr. Doch wer mit winzigsten Teilchen arbeitet, braucht dafür erst mal auch keine Lagerhallen.
Immanuel Bloch (52) blickt auf einen Bildschirm, auf dem Atome orange glimmend dargestellt sind. Der Wissenschaftliche Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching gilt seit Jahren als einer der Anwärter für den Physik-Nobelpreis. Er sei „skeptisch enthusiastisch“, dass es ihnen tatsächlich gelingt, hier eines Tages einen Durchbruch im Bereich der Quantencomputer zu schaffen, sagt Bloch.
Wie ein Quantencomputer funktioniert, ist für Laien nicht einfach zu verstehen. Es geht – grob gesagt – um die Verschränkung von Atomen, die verschiedene Zustände gleichzeitig annehmen können, wodurch enorme Berechnungsmöglichkeiten entstehen. In der Chemie, bei der Düngemittelherstellung oder in der Pharmazie gibt es Probleme, die für klassische Rechner extrem schwierig zu simulieren sind. Diese Technologie kann das nicht nur lösen, „man kann auch während der Rechnung alles wieder verändern“, sagt Bloch.
Garching sei, was die Quantentechnologie betreffe, gerade „der heißeste Ort in Deutschland, möglicherweise auch in Europa“, sagt Markus Blume (CSU). Doch Bayerns Forschungsminister hat noch weit mehr zu erzählen, während er über das Gelände läuft. Hier, wenige Kilometer nördlich von München, prallen Studenten der Technischen Universität, hochkarätige Wissenschaftler und Unternehmen aufeinander. Es ist das Herzstück des Hightech-Standorts Bayern, den Ministerpräsident Markus Söder so gerne in seinen Reden beschwört. „Irre, was es hier alles gibt“, sagt auch Blume. „In einigen Jahrzehnten heißt es möglicherweise nicht mehr Garching bei München, sondern München bei Garching.“ Ein Scherz. Oder? Ganz sicher ist man sich nicht.
Supercomputer
Nur einmal über die Straße bauen sie gerade an ihrem nächsten Supercomputer. Der „Blue Lion“ soll in etwa die 30-fache Rechenleistung des aktuellen Höchstleistungssystems am Leibniz-Rechenzentrum haben. Der Name – blauer Löwe – sei übrigens Blume eingefallen, sagt Dieter Kranzlmüller, der Vorsitzende des Direktoriums des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ). Ziel sei „dass Forschende schneller zu Ergebnissen kommen und klassische Berechnungen sowie Simulationen mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz kombinieren können“. Denn: Hier in Garching steht das zentrale Rechenzentrum der beiden Münchner Landesuniversitäten LMU und TU sowie der Akademie der Wissenschaften. „Jeder bayerische Wissenschaftler hat hier Speicherplatz zur Verfügung“, sagt Kranzlmüller. Zudem könne man mit den LRZ-Hochleistungsrechnern „über das hinausgehen, was sonst möglich ist“. Als etwa ein Wissenschaftler für eine Abschätzung der Folgen des Klimawandels enorme Datenmengen verarbeiten musste, bekam er für zwei Wochen einen Supercomputer zur Verfügung gestellt.
Kranzlmüller führt durch Gänge und über Treppen von einer schweren Metalltür zur nächsten. „Zwiebelschalenprinzip“, sagt er. „Man braucht hier für jeden Raum einen Schlüssel.“ Denn in den unzähligen Datenbänken schlummern auch sensible Informationen. Dann steht Kranzlmüller schließlich in einem Stockwerk, das ungefähr zur Hälfte voll mit Serverschränken ist, die vor sich hin surren. Es ist der Super-Muc NG, die aktuelle Hochleistungsmaschine. Durch den Riesenrechner kann man durchlaufen und die Hitze spüren, die er erzeugt. Die NSA-Szenen für den Edward-Snowden-Spielfilm haben sie hier gedreht, erzählt Kranzlmüller, und auch mal einen „Tatort“. Ach ja, und der noch freie Stauraum in diesem Stockwerk wird bald gefüllt – er ist komplett für kommende KI-Kapazitäten reserviert.
Energie ist natürlich ein Riesenthema, sagt Kranzlmüller. 1500 bis 2000 Euro brauchen sie hier derzeit für Strom – in der Stunde. Heizkosten haben sie hingegen keine, die Computer erzeugen genug Wärme. In den vergleichsweise hohen Energiepreisen in Deutschland sieht Kranzlmüller selbst aber nicht nur ein Problem, sondern auch Ansporn. „Unser Wettbewerbsvorteil ist, dass wir kleinere Systeme bauen“ – heißt weniger Stromverbrauch, weniger Kühlbedarf, weniger CO₂-Ausstoß, mehr Effizienz – und letztlich mehr Rechenleistung.
Fusionsforschung
Unweit vom LRZ wird daran geforscht, wie Deutschlands Energieproblem eines Tages womöglich gelöst werden kann. Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik steht eine der beiden größten in Betrieb befindlichen deutschen Versuchsanlagen zur Entwicklung von Fusionsreaktoren – einer Technik, in die manche große Hoffnung setzen, was die Energiegewinnung der Zukunft angeht. Die Bundesregierung hat gerade angekündigt, bis 2029 insgesamt zwei Milliarden Euro in die Forschung zu stecken. Letztlich geht es darum, Prozesse nachzuahmen, die auch in der Sonne stattfinden. Dazu wird Plasma – ein elektrisch geladenes Wasserstoffgas – in den Reaktoranlagen untersucht. Es muss auf eine Zündtemperatur von über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden.
Und genau das tun sie hier. Die Reaktoranlage Tokamak gleicht von außen einem Ungetüm aus unzähligen Rohren, Kabeln und Schläuchen. Eine schmale Treppe führt mehrere Meter nach oben. „Nicht anlehnen“, steht an einem Holzgeländer auf der Plattform. An eine Wand hat jemand zwei feuerspeiende Drachen gemalt. Es geht hier darum, Lösungen abseits der Stange zu finden, um eine chancenreiche Technologie anzuschieben – dazu braucht es täglich Erfindergeist. „Ein Thermometer, das bis zu 200 Millionen Grad misst, können Sie nicht kaufen“, sagt Bereichsleiter Hartmut Zohm. Brauchen sie aber – also bauen sie es selbst.
Raketentechnik
Es ist schon frisch Anfang Oktober in der offenen Garage, in der die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt – kurz WARR – an ihen Projekten schraubt. Man sei eine Gruppe von „Studenten, die Lust haben, sich die Hände dreckig zu machen“, sagt Richard Emeder, „sich mal mit dem Hammer auf den Finger zu schlagen und zu merken – das tut wirklich weh“. Auf dem Tisch liegt eine selbst gebaute Rakete in Einzelteilen, mit der der junge Österreicher in Lederhosen noch in der kommenden Nacht gemeinsam mit anderen Studenten im Lkw Richtung Portugal aufbrechen will, um sie bei einem Wettbewerb starten zu lassen. Die Gruppe entwirft nicht nur Raketen, sondern hat auch bereits drei Satelliten ins All geschickt und führt unter anderem Experimente in der Schwerelosigkeit durch.
Was aus solchen vermeintlichen Spielereien werden kann, das kann Josef Fleischmann erzählen, Co-Gründer des Raketen-Start-ups Isar Aerospace, der als Student selbst in der WARR-Garage geschraubt hat. Als der Tüftler 2018 mit einem Studenten-Team einen Wettbewerb in den USA gewann, erhielt er noch auf dem Parkplatz ein Job-Angebot einer großen Tech-Firma. Er lehnte ab. „Ich wollte keine Elektroautos bauen“, sagt er im Rückblick. Heute hat sein eigenes Unternehmen mit Sitz in Ottobrunn 400 Mitarbeiter und eine Milliardenbewertung.