Günter Zahn entzündete 1972 das Olympische Feuer. © dpa
Olympiapark mit Turm und Schwimmhalle. © Hoppe/dpa
Intensiver Austausch: Ludwig Hartmann (l.) lehnt eine Bewerbung ab, Manfred Gößl fordert sie vehement. © Marcus Schlaf
München – Während unten an historischer Stätte Freizeit- und Leistungssportler ihre Bahnen ziehen, geht es auch auf der Tribüne der Olympia-Schwimmhalle bei Ludwig Hartmann und Manfred Gößl um die Sommerspiele und ihr Erbe. Der Grünen-Politiker Hartmann (47), Vizepräsident des Landtags, lehnt eine erneute Münchner Bewerbung ab, Gößl (59), Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, ist vehement dafür. Nach einer Stunde Streitgespräch sind die beiden ordentlich ins Schwitzen gekommen – und das liegt nicht nur am schwülwarmen Schwimmbadklima.
Was ist Ihre erste konkrete Olympia-Erinnerung? Bei Ihnen, Herr Gößl, die Spiele von München?
Gößl: Tatsächlich nicht. Ich bin 1966 geboren, kann mich aber an 1972 kaum erinnern. Meine sportliche Erweckung war die Fußball-WM 1974. Von Olympia in München habe ich nur ein einziges Bild im Kopf, einen Amerikaner mit Schnurrbart und Badehose: Mark Spitz.
Hartmann: Bei mir war es irgendwann in den Neunzigern. Ich war in England zum Radeln, es waren die Spiele in Barcelona oder Atlanta, und mir war immer der Medaillenspiegel ganz wichtig. Dieser Aufschwung von Deutschland nach der Wiedervereinigung hat mich schon beeindruckt. Aber er hat auch die Frage aufgeworfen: Warum ist das so? Was hat Sport in diesen Ländern für einen Stellenwert? Irgendwann ging es dann auch um Themen wie Doping, das wusste ich damals noch nicht. Mit dem Olympiapark verbinde ich aber auch ganz viele Erlebnisse. Mein erstes Tote-Hosen-Konzert zum Beispiel. Hier hat für mich viel Prägendes stattgefunden.
Wäre es da nicht reizvoll, neue Impulse zu setzen?
Hartmann: Man kann es auch anders sehen. Wir haben eine ganze Reihe von tollen Sportveranstaltungen, zuletzt die European Championships. Wir sind eine Spitzensportstadt. Die Frage ist: Ist es in der heutigen Zeit der richtige Gedanke, noch das Allergrößte auf das ganze viele Große obendrauf zu setzen? München hat ja durchaus Wachstumsschmerzen. Wohnungsmangel, fehlende Kinderbetreuung, überlasteter ÖPNV. Da haben wir Baustellen. Müssen wir das weiter anheizen? Oder wollen wir nicht einfach mal zufrieden sein mit dem, was wir haben?
So viel Neues wäre gar nicht nötig. Der Olympiapark zum Beispiel ist schon da.
Hartmann: Wir sitzen hier in einer wunderschönen, mit Millionen Euro sanierten Olympia-Schwimmhalle. Ausgerechnet diese Halle wird nicht hergenommen. Weil zwei Bahnen zu wenig da sind. Stattdessen baut man dann temporär am Flughafen ein Schwimmbad. Für ein paar Wochen. Wenn man Kinder hat oder regelmäßig Sport betreibt, weiß man: Wenn München etwas Bleibendes bräuchte, dann ein weiteres Schwimmbad.
Gößl: Hier geht es um eine Grundsatzfrage, nämlich um eine Haltungsfrage. Der Bürgerentscheid geht darum, ob wir es versuchen wollen oder es sein lassen. Ich bin in Deutschland viel unterwegs, und München wird für vieles bewundert, vom Fußball über die Wirtschaft bis zu Start-ups und der TU. München bildet die Spitze. Welchen Effekt hätte es, wenn die Münchnerinnen und Münchner aus freien Stücken sagen: Olympia wollen wir nicht haben. Das würde das Bild bestätigen, das viele gerade von Deutschland haben.
Unfähig, groß zu denken?
Gößl: Gesättigt, keine Ambitionen, im Klein-Klein verharrend. Für mich gehört Olympia hierhin. In den Olympiapark, der dann vielleicht Unesco-Weltkulturerbe sein wird. Ich habe neulich ein Interview gelesen, in dem Hans-Jochen Vogel erzählt hat, wie das damals mit der Olympia-Entscheidung war. Willi Daume sei im Oktober 1965 zu ihm gekommen und habe gesagt, das könnte etwas werden mit Olympia in München. Und was hat Hans-Jochen Vogel gesagt? „Gib mir drei, vier Tage Zeit zum Überlegen.“ Und danach: „Gut, wir wollen es versuchen.“ Genau darauf kommt es jetzt an: Wir sollten Deutschland und Europa zeigen, dass wir gerne Gastgeber des größten Sportfestes der Welt sein wollen.
Was würde ein Votum dagegen bedeuten?
Gößl: Ich weiß nur eines: Wenn Olympia nicht kommt, wäre das nicht gut für München und unsere Heimatregion. Für U-Bahn- und S-Bahn-Ausbau, Wohnbau für Athleten und sonstige Modernisierungen werden wir dann keine Zuschüsse vom Bund kriegen. Die wird die andere deutsche Stadt bekommen. Und wenn die Eröffnung woanders ist, wenn es also zu spät ist, werden die Münchner sagen: Warum haben sie das nicht bei uns gemacht?
Hartmann: Sie gehen davon aus, dass Deutschland die Chance hätte, die Spiele zu kriegen?
Gößl: Ja, da bin ich hundertprozentig überzeugt.
Hartmann: Da würde ich ein großes Nein sagen.
Gößl: Europa ist dran.
Hartmann: 2036 sind wir sicher nicht dabei.
Gößl: Nein, da wahrscheinlich nicht.
Hartmann: 2040 wahrscheinlich auch nicht. Wenn überhaupt, dann 2044. Wenn das stimmt, was Sie sagen, heißt das im Umkehrschluss, dass die Gelder aus Berlin erst dann kommen. Paris hat den Zuschlag 2017 bekommen, sieben Jahre vor den Spielen. Passiert dann in den nächsten zwölf Jahren bis zum möglichen Zuschlag gar nichts? Das ist doch der falsche Ansatz. Die Menschen in München leiden doch jetzt schon unter dem Wohnungsmangel, ÖPNV, fehlenden Kitaplätzen. Da müssen wir jetzt etwas machen. Und jetzt geben wir Geld aus für eine Bewerbung, mit der wir wahrscheinlich gar keine Chance haben.
Gößl: Was ist jetzt die Kritik?
Hartmann: Dass man nicht ehrlich ist. Man muss doch sagen, was die Herausforderungen hier sind. Planen wir noch ein München für die Menschen, die hier leben? Sie haben gerade gesagt, das Geld aus Berlin kommt nur dann, wenn Olympia kommt
Gößl: Ja, für die großen Projekte. Wo soll das sonst herkommen? Warum sollte der Bund den Ausbau von U-Bahn und S-Bahn in München fördern?
Hartmann: Die Stammstrecke wird auch gebaut. Hans-Jochen Vogel hat damals gesagt, der U-Bahn-Bau ging mit Olympia schneller, aber auch der war schon früher beschlossen und angefangen. Aber die entscheidende Frage ist für mich: Geben wir uns damit zufrieden, dass wir nur mit einem Projekt, das Milliarden kostet, das schaffen, was die Münchner eigentlich jetzt schon brauchen? Da habe ich einen anderen Anspruch.
Gößl: Dann machen Sie es. Die Grünen haben in der Stadt den nötigen Einfluss. Dann beschließen Sie alles, finanzieren Sie alles und fangen Sie mit dem Bauen an! Sie werden feststellen: Hoppala, uns fehlt das Geld hinten und vorne. Meine These: Wir werden Olympia dafür brauchen.
Hartmann: Wenn man davon ausgeht, all die großen Projekte kommen nur mit Olympia, wenn man das glaubt …
Gößl: Was heißt glaubt? Das ist ja nachweislich so. In Paris ist die Seine auch nur sauberer geworden wegen Olympia …
Hartmann: Aber das stimmt doch nicht! Warum hat man die Seine sauber machen müssen? Europäische Wasserrahmenrichtlinie.
Herr Hartmann, sprechen nicht zumindest die Olympia-Pläne zum Wohnungsbau gegen Ihre Vorbehalte?
Hartmann: Die würden dann dagegen sprechen, wenn das Konzept echten Neubau vorsähe. Es sieht eine städtische Entwicklungsmaßnahme in Daglfing vor. Heißt das im Umkehrschluss, der Wohnraum, der dort entstehen kann, steht erst 2045 den Menschen zur Verfügung? Diese Flächen, die München bereits gehören und die man jetzt bereits entwickeln kann, auf die will ich doch nicht 19 Jahre warten bis Olympia, und nach 20 Jahren bekommen die Münchner diese Wohnungen. Das ist doch keine Antwort auf die Probleme unserer Zeit.
Gößl: Ich stelle fest: 90 Prozent der Wettkampfstätten liegen in einem Radius von weniger als 30 Kilometern (zeigt auf einen Plan des Olympiaparks). Das gibt es in keinem anderen Land der Welt. Sie müssten dann schon sagen, dass die Spiele überhaupt nicht mehr stattfinden dürfen. Das wäre konsequent.
Hartmann: Ich bin ja kein Gegner von Olympischen Spielen.
Gößl: Also wären Sie in Saudi-Arabien dafür und in München dagegen?
Hartmann: Ich mache Politik für München und für Bayern. Da komme ich zu dem Ergebnis, dass Olympia die Herausforderungen verschärft und nicht löst, dass die IOC-Spiele Milliarden kosten.
Das Argument gegen Olympia, das man vielleicht am häufigsten hört, ist der Vorbehalt gegen das IOC. Können Sie die Skepsis verstehen?
Gößl: Kann ich, aber ich komme von einem ganz anderen Ansatz. Erstens reden wir über die 30er-Jahre, vorher wird da wohl überhaupt nichts unterzeichnet. Man unterzeichnet ja erst nach dem Zuschlag. Wie das IOC dann aussieht, weiß ich nicht. Für mich persönlich ist die Fifa schlimmer. Das Zweite: Welche Stadt ist als Gastgeber besser geeignet als München? In Deutschland niemand, das steht fest. Wenn, dann könnte es nur eine europäische Stadt bieten, die auch schon Olympische Spiele ausgerichtet hat und diese Sportstätten noch in Betrieb hat. Die einen internationalen Flughafen hat. Die bereit ist, Wohnungen zu bauen für die Athleten, denn die damals gebauten sind ja nun nicht mehr frei. Das heißt: Wir werden von allen europäischen Städten am wenigsten investieren müssen, damit Olympische Spiele hier stattfinden. Und: Die Bürger, die 1972 die Spiele erlebt haben, die schwärmen alle. Ich habe noch keinen erlebt, der gesagt hat: So ein Schmarrn.
Hartmann: Ich habe immer das Gefühl, Olympia hat ein bisschen was – erlauben Sie mir den Ausdruck – von Brot und Spielen.
Gößl: Nicht nur ein bisschen. Das ist das Prinzip Brot und Spiele.
Hartmann: Dieser Bewerbungszirkus ist für Markus Söder gerade angenehm, für Dieter Reiter auch. Man redet nicht über das Versagen im Wohnungsbau im Hier und Jetzt, über fehlenden bezahlbaren Wohnraum. Man sagt, die Probleme würden alle gelöst, wenn Olympia kommt.
Gößl: Nein. Es würde die Lage nur verbessern.
Herr Hartmann, glauben Sie, dass sich die Münchner Ihren Argumenten mehrheitlich anschließen?
Hartmann: Ich glaube, dass die Argumente vor allem im inneren Bereich der Stadt München, wo es extrem voll ist, wo man unter fehlendem Wohnraum oder der U-Bahn leidet, auf Verständnis stoßen. Eine Stadt muss nicht immer weiter wachsen.
Und Sie, Herr Gößl?
Gößl: Ich hoffe es, aber mir ist ziemlich klar, dass das für die meisten Münchner eine sehr schwierige Entscheidung wird.
Mal angenommen, die Spiele kommen im Jahr 2044 nach München und Sie könnten das 100-Meter-Finale live sehen. Würden Sie hingehen?
Gößl: Ich weiß ja nicht, ob ich eine Karte kriege als normaler Rentner. Ludwig Hartmann kriegt bestimmt eine, als Landtagsvizepräsident.
Hartmann: Ob ich in 19 Jahren noch Politiker bin, ist die andere Frage. Aber Interesse hätte ich.
Gößl: Dann nehmen Sie mich mit. Sie kriegen bestimmt zwei Karten.
PROTOKOLL: ULI HEICHELE, MARC BEYER