Wenn der Hund zum Partner wird

von Redaktion

Auch der Staat verdient am Hundeboom mit. © AFP/Destatis

Mailo mit Jasmin Jöhnk und Benedikt Brauneder. © sam

Fünf Freundinnen: Michaela Jordan mit Sissi. Links neben ihr sitzt Mona Lohmann mit Chaya und Zazou. © Samantha Ernst

München – Sissi bellt drei kleinere Hunde an, die sich der Bank nähern, auf der ihr Frauchen sitzt. „Sie muss mich immer verteidigen“, sagt Michaela Jordan und lacht. Promenadenmischung Sissi hat das Leben der 59-Jährigen verändert.

Gefunden hat sie die Hündin an der Autobahn. Ausgesetzt. „Ich bin sehr hundeaffin“, sagt Jordan, die in einer Werbeagentur arbeitet. Also nahm sie die Hündin mit. Jetzt macht sie keine Flugreisen mehr, trägt statt High Heels Turnschuhe zum gemeinsamen Spaziergang. „Ich habe meinen Partner durch Sissi verloren“, sagt sie. Über die Trennung sei sie aber nicht traurig. Sissi ist eine neue Gefährtin. „Ich vertraue ihr blind.“ Wo Sissi nicht mit dürfe, gehe auch sie nicht hin, sagt Jordan. Und: „Am Verhalten gegenüber einem Tier erkennt man den Charakter eines Menschen!“ Auch ihre Freunde seien Hundemenschen.

Mona Lohmann zum Beispiel, mit der Jordan heute im Englischen Garten ist. Sie haben sich über ihre Hunde kennengelernt, als die noch Welpen waren. Lohmann hat zwei Söhne – „und zwei Töchter“, wie sie über ihre Hündinnen sagt. Chaya (12) war zuerst da. Lohmann hatte sie für einen ihrer Söhne angeschafft. Dann kam Zazou (10) dazu. Längst sind die irischen Setter Familienmitglieder. „Sie merkt, wenn’s mir nicht gut geht“, sagt die 57-Jährige über Chaya. Sie sei ihre loyalste Freundin. „Sie schläft auch bei mir im Bett.“ Zur Arbeit in der Hausverwaltung kann Lohmann beide Hündinnen mitnehmen.

Die Großstadt reißt Lücken ins Leben

45 807 Hunde waren Ende 2024 bei der Münchner Stadtkämmerei gemeldet. In der Corona-Pandemie schossen die Zahlen hoch. Sieben Münchner haben mehr als fünf Hunde, die meisten einen oder zwei. Dazu kommen all die anderen Haustiere wie Katzen, Kaninchen, Kleinsäuger oder Vögel, für die es keine Meldepflicht gibt. Dem steht eine sinkende Geburtenzahl gegenüber – das dritte Jahr in Folge. Nur 15 221 Kinder mit Wohnort München waren es laut Standesamt.

Mehr Haustiere, weniger Kinder. Ob es da einen Zusammenhang gibt, Haustiere die neuen Lebenspartner oder gar ein Kinderersatz sind? Marc Bubeck, Tierarzt und Juniorprofessor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität, kann zumindest einen Trend bestätigen: „Klassische Familienformen nehmen ab.“

Grund dafür seien wachsende Großstädte. Das bringe wirtschaftliche, kulturelle und soziale Veränderungen mit sich. Oft werde versucht, Lücken mit einem Tier zu füllen. „Gesehen hat man das während Corona.“ Weil Menschen das Bedürfnis hätten, sich um etwas zu kümmern, werde das Tier immer mehr zum Familienmitglied.

Isabel Boergen ist Hundetrainerin. Auch sie erkennt einen sich ändernden Umgang mit den Vierbeinern. Es gebe immer mehr Menschen, die es mit der Beziehung etwas zu eng nähmen. Boergen spricht von Helikopter-Hundeeltern, Familien, in denen der Hund ständig im Mittelpunkt steht. „Ich höre immer öfter Wörter wie Fellkind oder Hundeeltern.“ Oder sogar „Hundegroßeltern“. Das seien für die meisten Halter zwar nur Worte, aber: „Ich habe schon Ultraschallbilder gesehen, in die der Hund hineinmontiert wurde.“

Dr. Sarah Mönkeberg ist Soziologinan der Universität Kassel und war beteiligt an einem Projekt, das erforscht hat, wie Menschen mit Tieren zusammenleben. Laut Mönkeberg gibt es unterschiedliche Muster in Mensch-Tier-Beziehungen. Eines beschreibt sie als Sorge. Manche Menschen holen gezielt alte oder kranke Tiere zu sich, um sie aufzupäppeln. Nicht selten würde das Tier, sobald es wieder gesund ist, weitervermittelt. Das zweite Muster: Gemeinschaft. „Die Besitzer richten ihr ganzes Leben nach dem Tier aus: Wohnung, Arbeit und Verhalten.“ Hier ist das Tier Familienmitglied. Ein drittes Muster sei die Aktivität. Hier wird das Tier zum Partner. Gemeinsame Aktivitäten verstärken die Beziehung. Als ein Beispiel nennt die Soziologin „Kaninhop“, bei dem Kaninchen im Beisein ihres Halters Hindernisse überspringen.

Was auch nicht mehr ungewöhnlich ist: Instagram-Accounts für den Hund. Dort könnten sich die Halter mit Hund zeigen, erklärt Bubeck. Das Tier als Statussymbol. Manchmal kommen Hund und Herrchen gleich im Partner-Look daher. Es gibt Accounts, auf denen Hunde über eine Million Follower haben.

Auch Husky-Mischling Mailo hat Aufmerksamkeit erregt. Nicht auf Instagram, dafür auf der Dating-Plattform Tinder. „Das Bild hat gezogen“, erzählt Jasmin Jöhnk, die mit ihrem Freund Benedikt Brauneder und Mailo unterwegs ist. „Ich hatte mir Mailo mit meiner Ex-Freundin geholt, als er noch ganz klein war“, sagt der Immobilienmakler. Aber das Interesse der Freundin an Mailo schwand. Trennung. „Mailo ist für mich wie ein Kind“, sagt Brauneder, der noch kinderlos ist. „In meiner Jugend durfte ich keinen Hund haben.“ Doch jetzt habe er Zeit für die Verantwortung. „Wenn er einen ableckt, ist das wie ein Bussi.“

Für die Branche ist der Boom lukrativ. Der Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) meldete für 2024 einen Umsatz von sieben Milliarden Euro. 2022 waren es noch 6,5 Milliarden. Laut dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) lebt in 44 Prozent aller deutschen Haushalte mindestens ein Haustier – vor allem Hunde, Katzen und Kleinsäuger.

Bereits jeder dritte Single hat ein Haustier

Gerade in Zeiten von Homeoffice geben Haustiere dem Alltag Struktur. 31 Prozent der Singles haben laut dem ZZF inzwischen ein Haustier. Tiere nähmen „eine wichtige Rolle als Sozialpartner für alleinlebende Personen ein“. Und es sind keineswegs nur Senioren. 35 Prozent der Halter sind jünger als 40. Das Unternehmermagazin „Markt und Mittelstand“ sieht eine klare Entwicklung hin zum Familienmitglied. Und bei den Haltern eine „hohe emotionale Zahlungsbereitschaft“. Gekauft werde, was guttut – für das Tier und das eigene Gewissen. Das mache den Markt interessant für Premium-Artikel wie das Hundebett für 1500 Euro.

Das Unternehmermagazin „Markt und Mittelstand“ sieht eine klare Entwicklung hin zum Familienmitglied. Und bei den Haltern eine „hohe emotionale Zahlungsbereitschaft“. Gekauft werde, was gut tut – für das Tier und das eigene Gewissen. Das mache den Markt interessant für Premium-Artikel. Pullover, Schuhe, Hüte. Produkte gibt es in jeder Preisklasse: das Leberkässemmel-Quietsch-Spielzeug für elf Euro, den Wintermantel für 144 Euro, das Hundebett für 1500 Euro.

Für sein Tier nur das Beste sei eine „Form von Inklusion in menschliche Aktivitäten“, sagt Soziologin Mönkeberg. Auch dass ein Tier etwas offen ablehne, gehöre dazu. Das Tier sei ein sozialer Mittler, könne aber ebenso neue soziale Kontakte des Besitzers verweigern. Hundetrainerin Isabel Boergen fällt auf, dass sich auch jüngere Paare einen Hund zulegen. Ihre Vermutung: „Sie üben Familie.“