Der schmerzhafte Weg zur Pfarrerin

von Redaktion

Sie waren die ersten Pfarrerinnen in Bayern: Am 4. April 1976 wurden Liesel Bruckner (links) und Käthe Rohleder ordiniert. © Paulanergemeinde Amberg; Salimi/Ev. Frauenbund

Im Dezember 1985 wurde Renate Breit ordiniert – als Pfarrerin im Ehrenamt. Den Artikel hat sie noch. © Claudia Möllers

Erst im Clinch, jetzt versöhnt: Renate Breit (85) in der Simeonskapelle im Augustinum in München. © Achim Schmidt

München – Ihr Vater sollte Recht behalten. „Schaffen wirst du es sicher, aber es liegen viele Steine auf deinem Weg.“ Renate Bullemer hatte ihrem Vater, der evangelischer Pfarrer war, gerade erzählt, dass sie evangelische Theologie studieren will. Damals, in den 1960ern, war noch längst nicht daran zu denken, dass Frauen in der evangelischen Landeskirche in Bayern zu Pfarrerinnen ordiniert werden könnten. Es gab das „Amt der Theologin“ seit Mitte der 1930ger-Jahre, es gab Vikarinnen, eine Art Hilfspfarrerin, die aber keine Sakramente verwalten durften. Geschweige denn Leitungsämter übernehmen konnten.

Es sollte noch mehr als zehn Jahre dauern, bis die bayerische Landeskirche die Frauenordination einführte – nach langen und heftigen Debatten. Vor 50 Jahren, im Dezember 1975, machte die Landessynode den Weg für Frauen frei. Am 4. April 1976 wurden die ersten beiden Theologinnen, Liesel Bruckner und Käthe Rohleder, ordiniert. Renate Bullemer, inzwischen verheiratete Breit, war noch immer nicht dabei. Mehr noch: Sie war zuvor geradezu ausgebremst worden mit einer Regelung, die fast schon an den Zölibat in der katholischen Kirche erinnert. Davon später mehr.

Zehn weitere Jahre sollte es dauern, bis auch Bullemer endlich ordiniert werden konnte: Allerdings als Pfarrerin im Ehrenamt! Eine Demütigung, die die Theologin mit Größe trug. Heute, mit 85 Jahren, verbringt die ebenso zierliche wie energische Frau ihren Ruhestand mit ihrem Mann in der Senioren-Residenz Augustinum in München – der Einrichtung, die ihren Lebenswunsch, evangelische Pfarrerin zu werden, überhaupt erst ermöglicht hat.

Zu ihren Studienzeiten aber hatte noch die Überzeugung geherrscht: Frauen brechen das Studium ja doch ab; sie heiraten, bekommen Kinder. Da lohne sich eine größere Investition wohl nicht. Renate Bullemer aber ließ sich nicht beirren. Auch wenn sie nicht auf der Kanzel als Predigerin erwünscht war: 1964 legte sie das Erste Theologische Examen ab. Sie war bereits verlobt mit Helmut Breit, auch er studierte Theologie. Auch er legte 1964 sein Erstes Examen ab. Seine Verlobte war damals in ihrem Examensjahrgang als eine von drei Frauen unter 80 Männern eine regelrechte Exotin.

Sie durfte nach dem ersten Examen zwar als Theologin arbeiten und wurde als Religionslehrerin in fünf verschiedene Münchner Schulen geschickt, ins Predigerseminar aber konnte sie nicht. „Wir waren nur für die Seelsorge und Verkündigung an Frauen und Müttern vorgesehen“, erinnert sie sich mit einer Spur Bitterkeit.

Der Paukenschlag kam im März 1965 als Brief, mit diesem zölibatsähnlichen Ausschluss: „Zu Ihrer Eheschließung mit Herrn Vikar Helmut Breit wünschen wir Ihnen den Segen Gottes. Entsprechend den Bestimmungen unseres Vikarinnengesetzes lösen wir hiermit zum 1. März 1965 Ihr Dienstverhältnis als Vikarin.“ Das hieß: „Ich durfte keine Vikarszeit machen. Ich wurde von der Kandidatenliste gestrichen. Ich hatte nicht das Recht, das Zweite Examen zu machen. Uns gab es nicht mehr. Man hat uns ausradiert.“ Das Pfarreramt rückte in weite Ferne. Ihr wurde alles verweigert. Nur Religionsunterricht an Schulen durfte sie weiter erteilen.

Sollte alles umsonst gewesen sein? Renate Breit ließ sich nicht abwimmeln. Zehn Jahre nach dem Ersten Examen legte sie ihre Zweite Prüfung ab – mit zwei kleinen Kindern. Auch hierfür nahm sie Einschränkungen hin: Fürs Examen wurde sie nur als Gast zugelassen, ohne Anspruch auf eine Anstellung. „Ich habe ein ordentliches Examen gemacht. Aber dann war wieder Sendepause. Die Kirche hat uns ignoriert.“ Die junge Mutter arbeitete zehn Jahre ehrenamtlich, machte in dieser Zeit sogar noch eine Zusatzausbildung zur Krankenhausseelsorgerin. Aber anstellen wollte die Landeskirche sie nicht. Auch der Antrag, dass sie sich mit ihrem Mann die Pfarrerstelle an der Himmelfahrts-Gemeinde in Pasing teilen möchte, wurde abgelehnt. „Durch die vielen kirchlichen Einbremsungen war ich ja bereits über 40.“

Was ihr die Landeskirche verweigerte, ermöglichte das „Augustinum“: Es wollte die Theologin als Krankenhausseelsorgerin. Aber nur als Pfarrerin, die auch das Abendmahl halten darf. Dafür wurde 1985 eigens das Sondermodell „Ordination zum Ehrenamt“ eingeführt. So kam Breit über Umwege, durch ihre unbeirrte Zähigkeit doch noch ans Ziel ihrer Träume: 20 Jahre nach ihrem ersten Examen wurde sie am 22. Dezember 1985 feierlich ins Amt eingesetzt – ohne Dienstverhältnis. Aber dann war sie 16 Jahre lang Krankenhausseelsorgerin im Augustinum. „Das war meine beruflich glücklichste Zeit“, sagt sie heute. „Das Augustinum war für mich der Glücksfall.“ Sie habe gemerkt, dass sie gut zuhören und auf Menschen eingehen kann. Und sie konnte alles machen: Gottesdienste in der Simeonskirche halten, predigen, Sterbende begleiten, Beratungen zur Patientenverfügung anbieten. „Ich bin richtig aufgeblüht in dieser Zeit.“

Inzwischen ist Renate Breit versöhnt mit ihrer Kirche. Als erste Theologin aus einer Familie, die in sechs Generationen schon in Diensten der evangelischen Kirche steht, ist sie auch stolz auf ihre Beharrlichkeit. „Ich bin nicht mehr verbittert“, sagt sie. „Der Schmerz ist vorbei, der Kampf ist gekämpft. Ich bin froh, wie viele tolle Kolleginnen es jetzt gibt.“ Glücklich sei sie, wie die jüngeren Frauen heute Fuß fassen und sich bewähren. Renate Breit war immer die Ausnahme, die sie nie sein wollte. Sie habe gelernt, zielstrebig zu kämpfen, „mit der nötigen christlichen Demut“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Sie und ihre Mitstreiterinnen sind auch klug vorgegangen. Sie strebten keine Gleichberechtigung an, was wohl die Herren auf die Barrikaden getrieben hätte, sondern eine Gleichbegnadung. Ihren Erfolg können sie heute, 50 Jahre nach der Einführung der Frauenordination, mit Stolz feiern.

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