Nur Zentimeter an der Katastrophe vorbei

von Redaktion

Birgit Marter war mit ihrem Hund Paul unterwegs. © rs

Sylvia Zachmeier wollte eigentlich zum Einkaufen. © rs

Der rote Punkt zeigt, wo die Schüsse fielen.

Polizeikräfte suchen am Mittwoch nach dem Bewaffneten. Unser Fotograf hielt diese Szene fest. © Günther Herkner

Da hatte der Irrtum schon seinen Lauf genommen: Rettungskräfte rückten an, um den angeschossenen Feldjäger zu versorgen. © Günther Herkner

Altenerding/München – Altenerding ist eigentlich ein beschaulicher Ort. Umgeben von Feldern liegt der Erdinger Stadtteil im Süden der Kreisstadt. Am Donnerstag aber ist es vorbei mit der Ruhe. Nach den Polizeischüssen auf Bundeswehrsoldaten mit einem Verletzten ist ordentlich was los auf den Straßen. Die Polizei ermittelt, das Fernsehen hat seine Armada geschickt. Bayerischer Rundfunk, NTV, RTL, München.TV steht auf den Autos. Eine Anwohnerin, die anonym bleiben will, beobachtet den spontanen TV-Parkplatz, der sich vor ihrem Anwesen gebildet hat, kopfschüttelnd. Sie erzählt, dass sie das Geschehen am Mittwochabend von ihrem Badezimmerfenster aus beobachten konnte. Spontan habe sie sich zum nahen Sportpark begeben, um die Tochter einer Freundin zu holen. „Wir haben sie über Umwege heimgeführt, weil sie Angst hatte“, sagt sie.

Tanja Kutschka war mit ihrer Familie im Garten, als die Schüsse fielen. „Oh, was ist jetzt los“, hätten sie sich gefragt. Dann drangen Schreie herüber. Sie seien sofort nach drinnen gegangen, erzählt die 40-Jährige. Kurz darauf stand der Hof am Pretzener Weg voller Polizeiautos. Die Beamten riegelten das Gebiet ab.

Begonnen hatte das Desaster am Mittwoch gegen 17 Uhr: Ein Anwohner hatte der Polizei einen bewaffneten Mann im Tarnanzug gemeldet. Die rückte mit starken Kräften aus – und traf tatsächlich auf den Bewaffneten. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Nach bisherigem Kenntnisstand hielten die Soldaten, allesamt Feldjäger, die Polizisten für einen Teil des Manövers „Marshal Power“, das die Bundeswehr auch auf den Äckern Altenerdings gestartet hatte. Die Polizisten waren darüber nicht im Bilde.

Vermutlich schossen die Feldjäger zuerst mit Übungsmunition auf den vermeintlichen Manöverfeind – und die Polizisten schossen mit scharfer Munition zurück. Dass der ungleiche Schusswechsel glimpflich verlief, ist großes Glück. Denn eine Polizeikugel streifte einen Feldjäger am Gesicht. Ein paar Zentimeter präziser und er wäre womöglich nicht mehr am Leben. Stattdessen konnte er laut einem Sprecher des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr die Klinik schon verlassen. Das Führungskommando sprach von einer „Fehlinterpretation vor Ort“, die zur Schussabgabe geführt habe.

Erdings Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) war gestern hörbar verärgert. Die Stadt sei über die Feldjägerübung nicht informiert worden. Es habe im Rathaus nur eine generelle Anfrage der Bundeswehr gegeben, ob man städtische Sanitäreinrichtungen benutzen dürfe. Konkretes sei nicht mehr gefolgt, sagt Gotz. Aus dem Landratsamt heißt es, der Kreis, die betroffenen Städte, Märkte und Gemeinden seien zwar über das grundsätzliche Prozedere in Kenntnis gesetzt worden. „Die genauen Abläufe wurden jedoch nicht mitgeteilt.“

Franz Bauschmid ist Landwirt. Sein Maisfeld liegt direkt am Straßenbauhof, wo die Soldaten übten. Auch auf seinem Feld werden Spuren gesichert. „So was darf eigentlich in Deutschland nicht passieren. Das gehört aufgeklärt“, sagt er dem Team vom Bayerischen Rundfunk. Besonders erschrocken sei er, als er gehört habe, dass Jugendliche im nahen Sportverein betroffen waren. „Ein Spezl von mir hat auch einen 16-jährigen Sohn, der war gerade beim Fußballspielen. Dann hört man, dass die eingeschlossen werden und dass da Schüsse fallen. Das ist natürlich auch als Elternteil ein Schockmoment.“ Auch die 16-jährige Josefina Seibt war betroffen. „Als ich kurz nach sechs ankam, standen die beiden Trainer schon vor der Halle. Polizei war am Parkplatz“, sagt sie unserer Zeitung. Dann seien sie in die Kabinen gesperrt worden.

Birgit Marter war gegen 17 Uhr mit Hund Paul unterwegs, als sie die Blaulichter sah. Überall seien Polizisten gewesen. „Ich wollte schon woanders hingehen, aber die haben mir dann von der Ferne zugerufen, dass ich da entlanggehen darf.“ Als sie von einer anderen Spaziergängerin von den Schüssen gehört habe, sei sie gleich heim gegangen. Heute ist sie schon wieder mit Paul unterwegs.

Sylvia Zachmeier wollte um die Zeit des Vorfalls zum Rewe, kam aber nicht weit. Jemand habe ihr gesagt: „Da kommt man nirgends durch.“ Die Schüsse hat die 83-Jährige nicht gehört. Der Trubel rund um das Maisfeld habe sie dennoch neugierig gemacht. Sie hakte bei den Nachbarn nach. „Aber niemand wusste was.“

Offenbar machten schnell auch Gerüchte die Runde. Etwa jenes, dass jemand in einem Geschäft um sich geschossen habe, wie die Altenerdingerin erzählt, die nicht namentlich genannt werden will. „Ich weiß immer nicht, wo die Leute das alles hernehmen. Ich warte lieber auf die Zeitung, bevor mir die Leute Märchen erzählen.“

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