Analog lernen ist gut fürs Gehirn, sagt Neurowissenschaftler Henning Beck. Dazu zählt auch das Zeitunglesen. © Hartmann
München – Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Über Chatbots kann man sogar schon den perfekten Freund erschaffen. Erst jüngst haben 700 Wissenschaftler und Prominente einen Stopp von KI-Entwicklungen gefordert, die den Menschen übertrumpfen sollen (s. Kasten). Der Neurowissenschaftler und Bestseller-Autor Dr. Henning Beck glaubt zwar nicht, dass KI uns beherrschen wird – aber sie könnte uns verdummen, warnt er. In seinem Buch „Besser denken“ (Econ Verlag) fordert Beck, das eigene Denken wieder mehr zu fördern. Ein Gespräch über Chancen und Risiken von KI, die Bedeutung von Lesen, Schreiben, echtem Papier – und gutem gedruckten Journalismus.
Herr Beck, wann werden wir von Künstlicher Intelligenz beherrscht?
Sie lesen zu viele Science-Fiction-Romane. Neue Technologien verbreiten immer Angst und Schrecken, bevor sie sich etablieren. Alles kann zum Guten und zum Schlechten verwendet werden. Wir fragen oft: Was ist die Gefahr, wenn wir eine neue Technologie einsetzen? Aber nie: Was ist die Gefahr, wenn wir es nicht tun? Wie viele Geschäftsmodelle werden wir nicht entwickeln? Wie viele Leben nicht retten, weil das Gesundheitssystem nicht digitalisiert ist? Welche revolutionären Ideen nicht verwirklichen?
KI-gesteuerte Pfleger, Berater, Partner, Freunde sind auf dem Vormarsch. Ist das kein Grund zur Sorge?
Ein Mensch definiert Ziele, überlegt, wie er sie erreicht, ist kreativ, empathisch, kooperativ. Anders der KI-Bot. Er hat keinen Willen, kann unser Denken und Fühlen nicht ersetzen. Er verarbeitet Daten, erkennt Muster, analysiert und erzeugt Sprache, versteht aber nicht, worum es geht. Er produziert passiv Muster aus Datensätzen, die wir ihm vorgeben. Statistik pur, trotzdem haben wir das Gefühl, mit einem echten Menschen zu kommunizieren.
Macht KI dümmer?
Sie könnte die Gesellschaft spalten: Die Schlauen könnten schlauer werden, die Dummen hingegen dümmer. Die Schlauen stellen präzisere Fragen und bewerten die Resultate kritischer, KI dient ihnen zur Selbstoptimierung. Die Dummen überschätzen die Antworten, vertrauen dem System, werden abhängig und manipulierbar. Das finde ich bedenklich. Laut einer Studie von „Ernst & Young“ fressen drei Viertel der Deutschen KI-Antworten unkritisch in sich hinein!
Ihr neues Buch „Besser denken“ handelt vom Denken in Zeiten von KI. Wie lautet die Kernbotschaft?
Die Zukunft gehört denen, die bewahren, was uns Menschen ausmacht. Ich sehe mit Sorge, dass der unkritische Umgang mit KI das Denken verflacht. Denken ist das Bemühen, die Welt zu verstehen, Informationen so zu verarbeiten, dass wir Sinnhaftes erzeugen, Entscheidungen treffen, Probleme lösen können. Übergeordnet ist die Klugheit. Ihr Gegenstück, Dummheit, führt zu Entscheidungen, die uns schaden.
Wie schützen wir uns davor?
Bildung kann vor Dummheiten schützen, sie schafft ein Umfeld, in dem wir Probleme langfristig besser lösen können. Lesen ist Krafttraining fürs Gehirn. Wer regelmäßig liest, trainiert den Wortschatz und das Kurz- und Langzeitgedächtnis. Dabei sind Hirnregionen aktiv, die auch unsere Umwelt kartieren. Wir können uns Inhalte umso leichter merken, je aktiver und räumlicher wir dies tun. Mit Büchern, Zeitungen und handschriftlichen Notizen gelingt das besonders gut.
Sie raten vom Lesen am Bildschirm ab. Warum?
Wer auf eine Scheibe starrt, deren dreidimensionale Umgebung immer gleich ist, versteht und speichert den Inhalt von Texten schlechter. Auch für das Schreiben empfehle ich Papier. Es zwingt zur Handschrift, was Merkfähigkeit und Textverständnis fördert. Wir müssen gedankliche Umwege gehen, das Wesentliche erfassen, geordnet zu Papier zu bringen, mental verarbeiten. Was die frühe Bildung betrifft: Digitale Technik hat in Kitas und Grundschulen nichts zu suchen. Geschrieben wird mit Stift auf Papier, am besten in Schreibschrift, Tastatur kommt später.
Also kein digitales Papier?
Es muss echtes Papier sein, das duftet und knistert. Wir können reinkritzeln, unterstreichen, blättern, falten, zerreißen, weglegen, archivieren, kombinieren. Lernen wird zum persönlich-sinnlichen Vergnügen. Nur ich kenne die Gedanken zwischen den Zeilen, nur ich weiß, was ich notiert habe, wie die Notizen zueinander stehen. Die Information wird dreidimensional, das führt dazu, dass wir uns alles besser merken und verstehen.
Rund zehn Millionen Deutsche zwischen 16 und 65 Jahren können nicht richtig lesen und schreiben.
Wer diese Kompetenzen für unwichtig hält, versteht den Sinn von Bildung nicht. Das Gehirn entwickelt nur, was es braucht. Wer viel liest und schreibt, tut seiner Denkfähigkeit etwas Gutes, bis ins hohe Alter. Kinder, die nicht rechtzeitig lernen, längere Texte zu erfassen, können sich später schlechter konzentrieren und verlieren die Fähigkeit zum kritischen Denken. Alles hinterfragen zu können, ist das A und O, um Denken zu lernen. Wir diskutieren darüber, ob Schulen W-Lan und Tablets bekommen. Dabei ist die wichtigere Frage: Bringen wir Kindern das Denken bei?
Wird das gedruckte Buch verschwinden?
Sicher nicht. Selbst Social-Media-Entwickler lesen Bücher und bezahlen für Qualitätsjournalismus, den sie online nicht bekommen. Ich kenne Leute, die mit Digitalisierung reich geworden sind und ihre Kids auf Schulen schicken, wo analoger Unterricht stattfindet.
Und die gedruckte Zeitung?
Zumindest für guten Journalismus erwarte ich eine Gegenbewegung. Die Bereitschaft, verlässliche Quellen gegen Bezahlung zu nutzen, könnte steigen. Redaktionen, die Meinungen von Fakten trennen, Informationen sichten, werten und aufbereiten, werden immer wichtiger, weil wir sonst von KI-generiertem Schrott überrollt werden. Möglicherweise erleben die Lokalteile eine kleine Renaissance, denn die Datensätze, mit denen KI lernt, sind sehr dünn.