Das Virus ist nur noch 36 Kilometer entfernt

von Redaktion

Seine Existenzgrundlage: Michael Häsch sortiert die Eier und stapelt sie auf Paletten. Viele tausend jeden Tag. © cm/H.-Hiss

Rund 3000 Tiere leben in diesem Stall. Eine behördliche Stallpflicht, sagt Häsch, wäre für ihn von Vorteil. © Hermsdorf-Hiss

Banges Warten: Noch dürfen die Hennen von Michael Häsch ins Freie, aber das Virus ist nah. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Dietramszell – Noch schnell die weißen Überzieher über die Schuhe gestreift. Dann klopft Michael Häsch an die hölzerne Tür. Die über 3000 Bewohnerinnen sollen sich schließlich nicht erschrecken, Geflügelhalter Häsch geht behutsam mit seinen Hühnern um. Ein Gegacker und Gepicke herrscht im Legehennenstall am Rande von Dietramszell (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen). Die Hennen hocken unter den Lege-Nestern oder gegenüber auf den Sitzstangen, wo auch Tränken und Futter bereitstehen. Andere baden am Boden in einer Sandkiste. Sie alle warten sehnlichst darauf, dass Häsch das Tor nach draußen öffnet.

Noch dürfen sie raus, die gut 15 000 Legehennen des Bertenbauer Hofs, der in siebter Generation von Familie Häsch geführt wird. Doch die Idylle täuscht. Ein bedrohlicher Schatten liegt über dem Betrieb: Die Vogelgrippe rückt immer näher. Auf dem Gnadenhof in Germering im Kreis Fürstenfeldbruck mussten gestern rund 80 Tiere, alles Federvieh, getötet werden. Nur knappe 36 Kilometer Luftlinie entfernt (siehe Text unten).

„Das Virus H5N1 ist in diesem Herbst besonders aggressiv. Und es ist nur eine Frage der Zeit, dass es auch hier ist“, sorgt sich der 65-jährige Geflügelhalter. Die Viruskonzentration bei infizierten Vögeln sei in diesem Jahr um das Tausendfache höher als in den vergangenen Jahren. Häschs Hof liegt zwischen Starnberger See und Tegernsee, die Isar und die Loisach sind nicht weit entfernt: „Wir haben genügend Wasserflächen hier, wo Zugvögel rasten können.“

Seit dem Vogelgrippefall in Sachsenkam im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen im Jahr 2006, dem ersten Vogelgrippe-Fall in Deutschland, leben Geflügelhalter in ständiger Angst. Kein Vergleich allerdings zu Mecklenburg-Vorpommern, wo derzeit die Hotspots sind. „Wir haben jedes Jahr das gleiche Problem. Ich versteh‘s nicht, dass man nicht ein europaweites Aufstallungsgebot macht, um a bisserl Druck aus dem Kessel zu nehmen.“ Mit anderen Worten: Im Herbst und Frühjahr, wenn die Zugvögel in ihre Winterquartiere oder die Brutgebiete fliegen, sollte Geflügel komplett über Wochen im Stall gehalten werden. Um Infektionen durch kranke Wildvögel zu vermeiden.

„Irgendwie ist es kurios“, wundert sich Häsch, der auch stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der Bayerischen Geflügelwirtschaft ist. „Wenn man in den Stall geht, zieht man Schutzanzüge und Überzieher für die Schuh‘ an. Und dann lässt man die Hennen ins Freie.“ Doch gerade im Freien, auf den Wiesen lauert das Virus durch infizierte Wildvögel oder durch einen Fuchs, der vor dem Eindringen auf die Wiese einen vergrippten Vogel gefressen hat. „Das hat mir noch keiner erklären können, weshalb das die Vogelgrippe verhindern könnte.“ 600 – 800 Hühner verliert Häsch pro Jahr ohnehin an Fuchs und Habicht. „Der Habicht ist fast jeden Tag da. Ich sag dann immer scherzhaft: Das ist der Preis für die Biodiversität. Deshalb sind Freilandeier teurer.“

■ Zehn Tage Stillstand – 20 000 Euro Verlust

Für die Aufstallung braucht es allerdings eine behördliche Anordnung vom Landkreis. Denn sonst können die Betriebe ihre Eier oder das Fleisch nicht mehr in ihren vereinbarten Haltungsvorschriften vermarkten. Bei behördlich angeordneter Stallpflicht könnte Häsch die Eier seiner Freilandhühner noch als Freilandeier verkaufen. Sonst nur als Eier aus Bodenhaltung – eine spürbare finanzielle Einbuße.

Vogelgrippe hatte Häsch noch nicht auf seinem Betrieb. Die Vorstellung ist ihm ein Graus: „Alle Tiere müssten getötet werden, der Betrieb ist gesperrt, man hat keine Einnahmen mehr, kann seine Kunden nicht mehr beliefern. Bis alles gereinigt und desinfiziert ist, stellt sich die Frage: Bekomme ich überhaupt junge Hühner?“ Die Tierseuchenkasse bezahlt zwar den Zeitwert der Tiere und das Desinfizieren. Darüber hinaus braucht der Geflügelhalter aber noch eine Betriebsausfallversicherung, die dafür aufkommt, dass man seine Kunden nicht beliefern kann und der Umsatz wegbricht. „Wir dürften auch unseren Hofladen nicht mehr betreiben.“ Und die Frage bleibt: Gewinnt man seine Kunden zurück?

Notfallpläne liegen vor: Gibt es mehr als fünf Prozent Todesfälle in einem Stall, muss das Veterinäramt informiert werden. Dann wird alles abgesperrt, ein Entsorgungsunternehmen beauftragt, alles Geflügel durch CO2-Begasung getötet. „Es kommt keine Ware mehr raus oder rein, es darf kein Mist mehr verbracht werden.“ Doch allein nur die Vorstellung, dass sein Betrieb für zehn Tage stillgelegt würde, weil im Umkreis von zehn Kilometern bei einem privaten Geflügelhalter die Vogelgrippe ausgebrochen ist, bereitet ihm große Sorgen.

In dieser Beobachtungszone darf man keine Eier rausbringen. Kurzzeitig kann man die Eier lagern, es gibt laufend Untersuchungen, bis der Betrieb wieder freigegeben wird. Die Eier können dann nicht mehr als frische Produkte verkauft werden. Daraus würden dann Eiernudeln oder Eierlikör gemacht. Wenn Michael Häsch seine Kunden zehn Tage nicht mehr beliefern könnte, „dann wäre das schnell ein Verlust von 20 000 Euro – und diesen Schaden trägt man selber“. Daher appelliert Häsch an alle Hobby-Geflügelhalter, peinlichst die Hygienevorschriften einzuhalten: Das Gehege samt Futter und Wasser gegen Wildvögel abzusichern und beim Betreten Schutzkleidung zu tragen.

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