Showtime in Las Vegas: Die Kessler-Zwillinge mit Frank Sinatra Anfang der 1960er-Jahre. © pa
Die Zwillinge von Paris: Alice und Ellen Kessler bei einem ihrer Auftritte im Lido. © pa
München – Nur 45 Minuten waren sie in ihrem Leben getrennt. Es war diese Dreiviertelstunde, die am 20. August 1936 zwischen der Geburt von Alice und Ellen lag, als die eineiigen Zwillingstöchter in Nerchau bei Leipzig geboren wurden. Es ist der Beginn eines Lebens im Duett. Das nun gemeinsam zu Ende gegangen ist (siehe Text oben).
Wer die beiden Schwestern je in ihrem Haus in Grünwald besucht hat, war bis in ihr hohes Alter beeindruckt von der Art, wie sie sich bewegten. Bat man sie gar, für Pressefotos noch einmal in die Show-Outfits von früher zu schlüpfen, passierte Magisches: Die beiden Ladys verwandelten sich in diesem Moment wieder in die Tänzerinnen vom Lido, die sie so viele Jahre über waren. Mit Figuren und einer Körperspannung, von der manch 20-Jährige nur träumen kann.
Bereits als Sechsjährige besuchen sie eine Ballettschule, 1947 werden sie ins Kinderballett der Leipziger Oper aufgenommen, 1950 bestehen sie die Aufnahmeprüfung zur Operntanzschule mit Auszeichnung. Kurz darauf siedelt die Familie in den Westen über, wo die Zwillinge ihre künstlerische Laufbahn fortsetzen. Sie lernen schnell für sich selbst zu sorgen, finden 1952 im Düsseldorfer Palladium eine Anstellung als Revuetänzerinnen. Eines Tages hockt im Publikum auch der Besitzer des Pariser Lido. Begeistert von Schönheit und Charme der Zwillinge, verpflichtet er sie für das weltberühmte Kabarett. 1954 gehen Alice und Ellen Kessler nach Paris, um dort allabendlich mit den Bluebell-Girls aufzutreten.
Anfangs haben Sie es nicht leicht: zwei Deutsche auf einer Pariser Bühne ist für viele Franzosen, nur wenige Jahre nach Kriegsende, ein Affront. Doch mit Professionalität, Disziplin, Verlässlich- und Freundlichkeit tanzen sich Alice und Ellen Kessler an die Spitze und starten in Paris eine einzigartige internationale Showbiz-Karriere „Made in Germany“. „Es war wirklich harte Arbeit. Aber wir kannten es nicht anders. Wir haben jeden Tag zwei Vorstellungen gehabt. Es war normal für uns“, erinnerte sich Alice Kessler einmal im Gespräch mit unserer Zeitung an die fünf Jahre im Ensemble des legendären Varieté-Balletts.
Viele Stars kommen ins Lido. „Elvis kam jedes Wochenende. Da hat man gesagt: Heute tanze ich nur für den. Damit man wieder einen Ansporn hat. Denn wenn man jeden Abend das Gleiche macht, wird das maschinell“, verriet Ellen ihr Erfolgsgeheimnis. „Also hieß es vor der Vorstellung: ,Heute tanze ich für Burt Lancaster‘ oder ,Heute tanze ich für Hemingway‘.“ Auch in den USA wartet der Erfolg. Dort sind sie in den 1960er-Jahren fester Bestandteil der Shows von Dean Martin, Frank Sinatra oder Ed Sullivan – als Deutschlands erfolgreichster Exportartikel und doppelte Verkörperung des sogenannten Fräuleinwunders.
In Deutschland stehen die Schwestern für zahlreiche Musikfilme und Fernsehshows vor der Kamera. Besonders große TV-Erfolge feiern sie jahrelang in Italien. 1961 sind sie dort die ersten Showgirls, die im Fernsehen Bein zeigen dürfen. In Italien genießen „Le gemelle Kessler“ bis heute Kultstatus.
In den mehr als 40 Jahren ihrer aktiven Karriere absolvieren die Kessler-Zwillinge weit mehr als 1000 Liveauftritte weltweit. Las Vegas, New York, Buenos Aires, Tokyo oder Sydney. Trotzdem bleiben sie bodenständig. Fragte man sie, ob ihr Erfolg auch daran lag, dass sie ein Duo waren, riefen sie sogleich im Chor: „Oh ja, sehr!“ Man könne Dinge machen, die man allein nicht machen würde. Man ist stark zu zweit“, erklärte Alice. Das waren sie. Bis zum Schluss.KATJA KRAFT