Sie gingen Hand in Hand in den Tod

von Redaktion

Ein Jahr vor der Ballettschule: Alice und Ellen Kessler im Alter von fünf Jahren. © laif

Adrett im Showkostüm: Die Kesslers tanzten und sangen weltweit. © Picture Alliance

Juli 2025: Alice und Ellen Kessler mit Jürgen Drews (li.) und Michael Holm in der Münchner Residenz. © M. Schlaf

Alice und Ellen Kessler wurden als „Kessler-Zwillinge“ berühmt. © Picture Alliance

München – Im Juli hatten sie noch einen großen Auftritt. Im Antiquarium der Münchner Residenz bekamen Alice und Ellen Kessler von Ministerpräsident Markus Söder den Bayerischen Verdienstorden überreicht. Ein Foto in unserer Zeitung zeigte sie, lächelnd wie immer, mit den Schlagersängern Jürgen Drews und Michael Holm an ihren Seiten, die den Orden ebenfalls bekamen. Niemand ahnte, dass die Zwillinge da schon ihren gemeinsamen Abschied planten.

Alice und Ellen Kessler hatten sich für einen assistierten Suizid entschieden und sich dafür an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) gewandt. Die Berliner Organisation ist einer von drei Sterbehilfevereinen in Deutschland. Mit einem epochalen Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der Suizidhilfe aufgehoben.

Wer die Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte, muss mindestens sechs Monate Mitglied bei der DGHS sein. So soll verhindert werden, dass die Entscheidung überstürzt getroffen wird, erklärt eine Sprecherin. Das Gericht hat weitere Voraussetzungen für den assistierten Suizid definiert: Die Entscheidung muss mit freiem Willen getroffen sein, die Antragsteller müssen geistig gesund sein und sich mit Alternativen auseinandergesetzt haben. Für den Antrag auf Sterbehilfe müssen sie frei formulieren, warum sie ihr Leben beenden möchten. Und sie müssen die Infusion, durch die das hochdosierte Narkosemittel Thiopental fließt, selbst aufdrehen. Es führt nach kurzer Zeit zum Herz- und Kreislaufstillstand. Der Tod ist friedlich, man schläft einfach ein.

Die Kessler-Zwillinge hatten sich laut DGHS-Sprecherin schon seit langer Zeit damit befasst – sie waren deutlich länger als sechs Monate Mitglied im Verein. Ein Jurist und eine Ärztin hatten Vorgespräche mit ihnen geführt und waren gestern zu ihnen nach Hause gekommen, um sie beim Sterben zu begleiten. Das Datum 17. November hatten die beiden Schwestern selbst festgelegt.

Es kommt überraschend, denn öffentlich hatten beide darüber nie ein Wort verloren. Erst kürzlich sagten sie noch in einem Interview: „Leider können wir beide wohl nicht am gleichen Tag sterben, da nutzt die Eineiigkeit nichts. Es wird furchtbar sein, plötzlich allein zu leben. Aber wir haben alles geregelt.“

Bereits vor 20 Jahren haben beide ihr Testament gemacht. In dem kürzlich erschienenen Buch „Goldene Jahre“ verrieten sie, wem sie ihr Vermögen hinterlassen: „Wir haben keine Kinder, keine Nichten und Neffen. Also erben Ärzte ohne Grenzen, die Christoffel-Blindenmission, Gut Aiderbichl, Unicef und die Malteser.“

Die beiden gehen, wie sie gelebt haben: selbstbestimmt. „Unsere Zweisamkeit ist etwas ganz Besonderes“, betonten sie stets. Männer? Nur in Begleitung. Sie hätten sich ausgelebt, sagte Alice einmal, aber kein Mann passte jemals zwischen die beiden. Ellen war einmal verlobt, 20 Jahre lang. Doch zu einer Hochzeit kam es nie. „Ich war dauernd auf Achse“, sagte sie. Beide entschieden sich früh gegen Familie, Kinder, Ehepartner entschieden. Ihr Lebensmotto war Disziplin.

Die brachte sie ganz nach oben. Alice und Ellen Kessler tanzten in Paris, in Rom, New York, Las Vegas. Noch im hohen Alter machten sie täglich Gymnastik, achteten auf ihre Figur, schlugen niemals über die Stränge. Alkohol und Zigaretten waren tabu. Mit 40 ließen sie sich für den italienischen „Playboy“ ablichten. Die Ausgabe war sofort ausverkauft.

Vereint sind Alice und Ellen jetzt im Himmel. Allerdings: „An ein Weiterleben nach dem Tod glauben wir nicht. Wenn es aus ist, ist es aus.“ Doch sie haben einen letzten, großen Wunsch: Sie wollen in der Urne ihrer Mutter bestattet werden, wenn es das Gesetz zulässt. Es ist die letzte Ruhe für zwei außergewöhnliche Frauen.

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