In den Fängen der „Finfluencer“

von Redaktion

Im Netz buhlen selbst ernannte Finanzexperten um das Geld der Anleger – viele sind unseriös

Zauberei gibt es an den Finanzmärkten nicht. Hohe Gewinnversprechen sind ein Warnsignal. © imago

München – In den Sozialen Medien wimmelt es von Ratgebern. Sogar Friedrich Merz (CDU) gehört dazu. Auf die Frage eines Instagram-Nutzers zur Rente riet der Kanzler, zusätzlich privat vorzusorgen. 10 Euro, 20 Euro, 50 Euro über eine lange Zeit – das sorge für „ein sicheres Alterseinkommen“. Das Verbraucherportal Finanztip hat nachgerechnet: Wer mit 20 anfängt, monatlich zehn Euro in einen Aktien-ETF mit jährlich sechs Prozent Rendite zu stecken, kommt mit 67 auf nur 30 000 Euro. Macht für den statistischen Rest seines Lebens 80 Euro monatlich als Zusatzrente. En Bringer ist das nicht.

Nun ist der Rat zur privaten Vorsorge ja kein schlechter. Aber wie macht man das sinnvoll? Sogenannte Finfluencer, selbst ernannte Finanzexperten, nutzen die Angst vor Altersarmut auf Youtube, Instagram oder Tiktok, um ihrem Publikum bestimmte Finanzprodukte nahezulegen. Finfluencer (ein Kunstwort aus „Finance“ und „Influencer“) positionieren sich als Aufklärer in Finanzfragen. Qualitativ ist die Bandbreite gewaltig – von gut aufbereiteten Informationen über Aktien, ETFs oder Kryptowährungen bis hin zu Verschwörungslegenden.

Das unabhängige Institut für Finanzdienstleistungen (iff) in Hamburg verweist auf eine Bitkom-Umfrage, wonach mehr als die Hälfte der Nutzer von Facebook, Instagram oder TikTok Influencern folgt. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 80 Prozent. Gleichzeitig ist bei Kleinanlegern die finanzielle Bildung oft schwach. Ob Jung oder Alt. In einer Umfrage des Bankenverbands erklärten 60 Prozent der Befragten, sich in Finanzfragen gut auszukennen, das tatsächliche Wissen war dann aber lückenhaft.

Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist schwer

Grundsätzlich, so das iff in seinem „Überschuldungsradar 2023“, seien mehr Beratungsangebote ja nicht schlecht. Nur hakt es oft bei der Qualität. Eine Studie habe weltweit 29 000 Finfluencer durchleuchtet und festgestellt, dass nur 28 Prozent fachlich qualifiziert gewesen seien. 16 Prozent waren demnach unqualifiziert, 56 Prozent sogar „antiqualifiziert“. Diese „negative Fachkompetenz“ habe Anlegern monatlich 2,3 Prozent Kapitalverlust beschert. Bei qualifizierten Finfluencern habe die Rendite immerhin bei bis zu 2,6 Prozent gelegen.

Häufig verweisen Finfluencer auf eigene Millionen. Woher das Geld wirklich kommt, legen sie selten offen. Manch scheinbar disziplinierter Investor ist selber ein Zocker.

Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist schwer. „Influencer haben in der Regel kommerzielle Interessen. Das ist nicht verwerflich, aber sie wollen Geld verdienen“, sagt Saidi Sulilatu, Chefredakteur beim Geldratgeber Finanztip. Es gebe transparente Finfluencer, die das Wohl ihrer Community im Auge hätten. Aber die Grauzone sei riesig. Influencer, die zum Beispiel von Kryptowährungen überzeugt seien, würden wohl kaum kritisch über den Kryptomarkt berichten.

Laut iff verfolgen Finfluencer diverse Strategien. Ein Teil generiert Provisionen über die Klicks oder Werbepartnerschaften über YouTube. Andere werben für Finanzprodukte bestimmter Unternehmen, an denen sie beteiligt sind oder von denen sie Verkaufsprovisionen bekommen. Manche bieten selber teure Finanzcoachings, Online-Kurse oder Bücher an. Oder sie puschen Finanzprodukte, in die sie selber investiert haben. „Pump & Dump“ nennt sich laut iff eine Strategie. Dabei investieren Finfluencer in ein bestimmtes Krypto-Asset („Pump“), erzeugen durch Empfehlungen eine Blase und verkaufen mit Gewinn („Dump“). Platzt die Blase, beschert das den gutgläubigen Anlegern teils hohe Verluste.

Aber warum suchen Anleger überhaupt Hilfe in den Sozialen Medien? Laut iff hat die komplexe Finanzwelt viele verunsichert. Bei Finfluencern fühlten sie sich sicherer. Die Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise hätten Soziale Medien zum „ausschließlichen Ort des kommunikativen Austausches“ gemacht.

Sulilatu hat eine weitere Erklärung: In Sozialen Medien werde eine andere Sprache gesprochen. „Sie orientiert sich an unserer Alltagssprache.“ Anleger hätten so das Gefühl, ihre Finanzen selbst regeln zu können. Im klassischen Finanzbetrieb werde erwartet, dass der Kunde dem Berater voll vertraut. So entstehe Abhängigkeit – und dem Kunden würden oft Produkte vermittelt, die er gar nicht verstehe. „Finanzen können aber durchaus einfach sein“, sagt Sulilatu. Viele Finfluencer würden die Dinge so erklären, dass man sie versteht.

Dazu kommt laut den iff-Experten, dass in Sozialen Medien subjektive Faktoren eine große Rolle spielen: Sympathie, persönlicher Auftritt, Kommunikationsstil. Faktoren, die über die Qualität der Beratung wenig aussagen. Schlecht qualifizierte Finfluencer hätten das gut drauf und „in der Regel mehr Follower“, so das iff.

Qualifikation ist laut Sulilatu aber keine Garantie. Allein darauf zu achten, „davon halte ich gar nichts“, sagt der Finanztip-Experte. „Gerade gut ausgebildete Leute können Sie mit guten Argumenten hinters Licht führen.“ Expertenwissen befähige zum Betrug. „Es ist wahnsinnig schwierig“, sagt Sulilatu.

Wichtig sei, Finfluencer zu hinterfragen: Hat er eigene finanzielle Interessen? Argumentiert er transparent, oder drischt nur Phrasen? Sind die Gewinnversprechen unrealistisch? Nennt er auch die Risiken? Je größer das Eigeninteresse, desto mehr würden kritische Informationen weggelassen, warnt Sulilatu.

Anleger erleiden dann schnell hohe Verluste bis hin zur Überschuldung. „Es ist in meinen Augen sehr schwierig, einen Finfluencer juristisch haftbar zu machen“, sagt Sulilatu. Denn Empfehlungen gelten nicht als Anlageberatung. „Finfluencer unterliegen bisher keiner ausreichenden Regulierung“, warnt auch das iff.

Defizit bei der Finanzberatung

Schlagzeilen gemacht hat „Immo Tommy“, der sich auf seiner Homepage selbst „Europas größter Immobilien-Creator“ nennt – aber im Verdacht steht, über sein Netzwerk völlig überteuerte Immobilien mit zudem fragwürdigen Kreditmodellen verkauft zu haben. Die Ermittlungen laufen.

Sulilatu warnt allerdings: Auch klassische Banken und Anlageberater hätten eigene Interessen. „Eine objektive Finanzberatung gibt es in diesem Land praktisch nicht“, lautet sein Befund. Und mit der Haftung sei es in der Praxis auch nicht weit her. Die Haftpflichtversicherung werde über das Kleingedruckte meist erfolgreich ausgehebelt.

An unabhängigen Informationsquellen in Geldfragen hapert es also. Die Bundesregierung arbeitet zwar an einer Finanzbildungsstrategie. Doch Ergebnisse fehlen noch. Derzeit gebe es eine interne Abstimmung, sagt ein Sprecher des Finanzministeriums. Man habe zwar unter www.mitgeldundverstand.de eine Informationsplattform eingerichtet. Doch Inhalte sind wenig zielgruppengerecht aufbereitet.

Ein positives Beispiel hat die Finanztip-Stiftung auf den Weg gebracht. Sie bietet Schulen Unterrichtsmaterialien zu Geldfragen an. Auch gehen Fachleute direkt vor Ort in die Schulen. In den vergangenen zwölf Monaten habe die Stiftung so 150 000 Schüler erreicht, sagt Stiftungs-Chef Fabian Dany. Er plädiert dafür, Finanzwissen stärker in den Lehrplänen zu verankern – aber nicht durch externe Anbieter. „Banken und Versicherungen haben im Klassenzimmer nichts verloren.“

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