Wie aus drei Zwergerln Riesen wurden

von Redaktion

Verletzlich: Irmi nach der Geburt.

Dankbare Mama: Dr. Diana Schwilling.

Sie machen ihren Weg: Die Drillinge Clara, Markus und Irmi kamen als Frühchen zur Welt und starten beruflich durch.

Frühstart ins Leben: Diana Schwilling mit ihren Drillingen (v. li.) Markus, Clara und Irmi drei Wochen nach der Geburt.

München – Auf der neonatologischen Station des LMU Klinikums in Großhadern gehören Dramen zum Alltag. Hier kämpfen kleinste Kinder ums Überleben und ihre Eltern gegen extreme Ängste. Aber wer mit Michaela Lingel spricht, der erhält sachliche Einschätzungen statt tränentreibender Schilderungen. „Die würden ja keinem weiterhelfen. Wir wollen konkret etwas für unsere Frühchen-Familien tun“, sagt die Vorsitzende des Vereins „FrühStart ins Leben“. Vielleicht wird die Bezeichnung „Macher mit Herzblut“ den ehrenamtlichen Helfern gerecht. Sie erledigen seit 20 Jahren einfach verlässlich ihre Arbeit – und zwar höchst effektiv, wie Neonatologie-Chefarzt Professor Andreas Flemmer bestätigt: „Der Verein ist ein Segen. Er organisiert und finanziert viele Projekte, die wir den Kindern und ihren Eltern im Rahmen der Regelversorgung gar nicht anbieten könnten. Etwa psychologische Hilfe, Musiktherapie, schöne Elternzimmer oder auch modernste Technik für Behandlung und Pflege.“

Dr. Diana Schwilling (54) ist bereits seit 2005 dabei und seitdem im Vorstand des Vereins aktiv. „Die Mutter von heute 21 Jahre alten Drillingen hat selbst erlebt, welche körperlichen und emotionalen Herausforderungen die Familien auf der Frühchen-Station bewältigen müssen. „Noch heute bin ich der Station zutiefst dankbar für die Unterstützung und möchte durch mein Engagement etwas zurückgeben.“

Für die Drillinge geht es um Leben und Tod

Rückblende: Im Frühjahr 2004 durchlebt Schwilling eine komplizierte Schwangerschaft. Ständig Kopfschmerzen, Infektionen, vorzeitige Wehen. Von der 22. Schwangerschaftswoche an liegt sie im LMU Klinikum. Sie bekommt Antibiotika und wehenhemmende Medikamente, die die viel zu frühe Geburt ihrer Kinder verhindern sollen. „Ein Arzt sagte mir am Aufnahmetag in der Notaufnahme schonungslos offen: Entweder schaffen wir es, die Wehen zu stoppen – oder die Kinder kommen tot zur Welt. Ab der 24. Woche wächst die Hoffnung, dass wir sie über den Berg bringen können. Wenn es ihre Kinder bis zur 30. Woche im Mutterleib schaffen, dann haben sie gute Chancen, später ohne schweres Handicap durchs Leben zu gehen.“

Die werdende Mutter ist geschockt. „Ich lag zum Nichtstun verdammt im Bett und ging gedanklich durch die Hölle. Erst fürchtete ich eineinhalb Wochen lang, dass meine Kinder tot zur Welt kommen. Und dann quälte mich sechs weitere Wochen die Sorge, dass alle drei Kinder schwerbehindert sein könnten.“ Die damals 33-Jährige – zu dieser Zeit passionierte Marathonläuferin – beschließt zu kämpfen. „Aufgeben war für mich keine Option. Ich hätte mein Leben für meine ungeborenen Babys gegeben.“

Notkaiserschnitt rettet auch die Mutter

Nachdem es die Kinder bis zur 30. Schwangerschaftswoche behütet in ihrem Bauch geschafft haben, fällt Schwilling ein Stein vom Herzen. Doch die Erleichterung währt nicht lange: Binnen weniger Tage verschlechtert sich ihr Zustand dramatisch. Ihr Körper lagert immer mehr Wasser ein, am Tag der Geburt bildet sich ein Lungenödem – eine lebensbedrohliche Wassereinlagerung in den Lungenbläschen. Sie bekommt kaum noch Luft, hat das Gefühl, innerlich zu ertrinken. Das ist doppelt belastend für Schwilling, denn als kleines Mädchen wäre sie mal fast in einem See ertrunken. „Im Krankenbett kam das alles wieder hoch.“ Um das Leben der werdenden Mutter zu retten, bleibt den Ärzten nur ein Ausweg: ein Notkaiserschnitt. Zu Beginn der 32. Schwangerschaftswoche holen sie Irmi, Clara und Markus zur Welt. Alle drei leben, wiegen aber gerade mal zwischen 1200 und 1350 Gramm.

Auch die Mutter befindet sich in einem kritischen Zustand, verbringt eine Woche auf der Intensivstation. Aber es geht langsam aufwärts – wenn auch in kleinen Schritten und mit Hindernissen. Bei Clara wird ein Herzfehler festgestellt, die Diagnose ist äußerst kritisch. Sie kann nicht selbstständig schlucken, ist blass, apathisch, bekommt aufgrund ihrer Herzinsuffizienz schwer Luft, muss fast aufrecht in ihrem Bettchen schlafen. Als Clara nur fünf Monate nach ihrer Geburt operiert wird, wiegt sie gerade mal vier Kilogramm. Aber den Herzchirurgen und Intensivmedizinern gelingt es, die Kleine sicher durch den schweren Eingriff zu bringen. „Nach der OP hat Clara zum ersten Mal in ihrem Leben gelächelt. Es war, als hätte ich ein neues Kind zurückbekommen“, erinnert sich ihre Mutter überglücklich.

Wie viele andere Frühchen-Mamas lernt Diana Schwilling, wie wichtig es ist, besonders viel Geduld mit ihren Kindern zu haben – bei gleich drei Säuglingen eine Herkulesaufgabe. „Beim Füttern haben die Kinder viel geweint, damit muss man umgehen, aber es war schwer. Ich hatte ja nur zwei Arme und zwei Beine.“

Frühchen sind häufig Vorurteilen ausgesetzt

Die Mutter isst nur noch nebenbei, schläft kaum noch. „Nach zwei Wochen war ich am Ende. Wir hatten dann das große Glück, dass es wir es uns als Familie leisten konnten, für die erste Zeit eine eigene Kinderkrankenschwester anzustellen. Dank ihrer Unterstützung konnte ich auch mal mit nur einem Kind zum Kinderarzt gehen oder spazieren gehen.“ Zudem erhalten ihre Kinder viel individuelle Förderung, etwa durch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. Auch die Familie selbst engagiert sich mit viel Herzblut, um die Entwicklung der Drillinge Schritt für Schritt zu unterstützen. Nach 18 Monaten lernen alle drei während eines Ostsee-Urlaubs zur selben Zeit laufen. „ Da wusste ich: Jetzt wird alles gut. Ich freute mich an den kleinen Dingen noch viel mehr, weil sie nicht selbstverständlich waren.“

Auf der einen Seite dauern manche Entwicklungsschritte bei Frühchen etwas länger. Und auf der anderen Seite sind sie immer wieder Vorurteilen ausgesetzt – sogar von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten. So erinnert sich Schwilling an ein Gespräch mit ihrer damaligen Kinderärztin nach Claras Herz-OP: „Bei einem Kontrolltermin sagte sie mir unverblümt: ,Ganz toll, dass die Clara den Eingriff so gut weggesteckt hat und bis heute überlebt hat. Und wenn sie später mal nicht die Hellste im Kopf sein sollte, dann keine Sorge: Es gibt ja in Deutschland gute Sonderschulen – Hauptsache, der Kleinen geht es gut.‘“

Fakt ist: Clara hat die Kinderärztin Lügen gestraft. Heute studiert sie Medizin, hat genauso wie ihre Schwester bereits das erste Staatsexamen bestanden. Irmi hat sich übrigens mit dem besten Abitur ihres Gymnasiums im Gepäck an der Uni eingeschrieben. Ihr Bruder Markus ist Pilot geworden. Drei beginnende Bilderbuchkarrieren also – trotz ihres Frühstarts ins Leben.

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