Operation mit 90 – lohnt sich das noch?

von Redaktion

Hightech im OP: Professor Martin Angele beim Eingriff mit dem DaVinci-Roboter.

Auf einem guten Weg: Patientin Amalie (90) und ihr Operateur Professor Martin Angele freuen sich über das gute Ergebnis. © Fotos (4): Fotopress Thomas Sehr

Garmisch-Partenkirchen – Medizin für alte Menschen, das Thema ist ein heißes Eisen, spätestens seit der CDU-Gesundheitspolitiker Professor Hendrik Streeck eine Debatte darüber angestoßen hat, ob auch Hochbetagte noch teure Medikamente erhalten sollten (wir berichteten).

Sein Kollege Professor Martin Angele hat beinahe täglich mit schwerkranken Senioren zu tun. Eine von ihnen ist Amalie (90). Sie ließ sich vor wenigen Wochen im Klinikum Garmisch-Partenkirchen operieren, es wurde ein Tumor im Bereich des Sigma- und Enddarms entfernt. Für Angele, einer der erfahrensten Bauchchirurgen der Republik, keine übermäßig schwere OP, aber für seine topfitte Patientin einfach nur großes Glück: „Ich fühle mich gut und genieße mein Leben.“ Amalie hat einen Ski-Saisonpass für die Zugspitze, im Januar will sie wieder auf den Brettern stehen – vielleicht sogar mal ein paar Schwünge mit ihrem ebenso skibegeisterten Operateur ziehen. Aus Dankbarkeit.

Lohnt sich eine OP mit 90 noch? „Wenn alte Patienten selbst darüber nachdenken, verstehe ich das. Aber ich finde es falsch, wenn jüngere Menschen diese Frage aufwerfen. Nachdem ich die 90-jährige Patientin kennengerlernt hatte, bestand überhaupt kein Zweifel, dass sie nach den Leitlinien behandelt werden muss wie jüngere Patienten. Sie ist geistig und motorisch topfit, war immer fest entschlossen, wieder gesund zu werden“, sagt Angele. „Senioren haben genauso ein Recht auf eine exzellente medizinische Versorgung wie junge Menschen. Lebensqualität darf keine Frage des Alters sein.“

Seine 90-jährige Patientin ist ein Paradebeispiel für diese These. Natürlich weiß Angele, dass viele andere Senioren in vergleichbarem Alter sterbenskrank sind, körperlich und geistig sehr schwach, mitunter auch lebensmüde. „Es gibt in dieser Altersklasse viel größere Unterschiede als bei jungen Menschen“, sagt der empathische Chefarzt, der vor seinem Wechsel nach Garmisch-Partenkirchen 30 Jahre lang im LMU Klinikum Großhadern arbeitete. „Deshalb muss man sich mit dem einzelnen Menschen befassen. Nur so ist eine fundierte Einschätzung möglich, ob eine OP sinnvoll ist oder nicht.“ Auch im Garmischer Klinikum wird jeder kritische Einzelfall im Tumorboard beraten – unter anderem gemeinsam mit Onkologen, die die besonderen Bedürfnisse von hochbetagten Patienten im Blick haben. „Man muss nicht nur das kalendarische, sondern auch das biologische Alter berücksichtigen“, erläutert Onkologie-Chefarzt Dr. Till Seiler.

„Im Alter braucht man einfach Ärzte, die sich wirklich um einen kümmern und am Ball bleiben“, betont Amalie. Bei ihrer Krebserkrankung profitierte sie auch von der guten Zusammenarbeit der Klinikärzte mit niedergelassenen Medizinern. Nachdem der Tumor bei einer Darmspiegelung entdeckt worden war, organisierte der Garmischer Gastroenterologe Dr. Maximilian Gemeinhardt sofort einen Termin im Klinikum, nur drei Tage später saß seine Patientin dort bereits im Sprechzimmer.

Mithilfe des OP-Roboters „DaVinci“ entfernte Chirurg Angele den Tumor – vollständig, aber schonender als in einer offenen OP. „Der Vorteil des Roboters besteht darin, dass nur kleine Schnitte erforderlich sind und vergleichsweise wenig Gewebe verletzt wird“, erklärt der Operateur. Dadurch erholte sich seine Patientin schnell. Sie hatte das Glück, dass noch keine Lymphknoten von Tumorzellen befallen waren. Dadurch blieb ihr, abgesehen von einem Aufenthalt in einer Reha-Klinik, eine aufwendige Nachbehandlung erspart. „Wenn die Lymphknoten bereits befallen sind, ist das Risiko für Metastasen und für einen Rückfall erhöht. Deshalb müssen die Patienten häufig nach der OP mit einer Chemotherapie behandelt werden, um die Gefahr von Neubildungen zu verringern“, erklärt Onkologe Seiler. Das Risiko, dass die 90-Jährige ohne Chemo in den nächsten fünf Jahren erneut an Krebs erkrankt, beziffern Experten auf etwa zehn Prozent. „Ich kann damit leben“, sagt Amalie.

Amalie hat die Klinik bereits nach sieben Tagen wieder verlassen – noch etwas geschwächt, aber alltagstauglich. Sie nahm viel Zuversicht mit nach Hause, nicht nur weil die Operation optimal verlaufen ist: „Ich habe in meinem langen Leben schon Ärzte erlebt, die sich für Götter in Weiß halten. Diesmal war das ganz anders, ich habe mich einfach gut aufgehoben gefühlt. Das hilft beim Gesundwerden, mehr als manche Arznei.“

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