Abwehrpfeile am Rand zum Weltall

von Redaktion

September 2023: Boris Pistorius unterschreibt den Arrows-Kaufvertrag. © IMAGO

Eine Arrow-Abwehrrakete hebt ab: Deutschland hat drei der Systeme von Israel gekauft. © IMAGO/Chameleons Eye/IAI

Berlin/Holzdorf – Rund 80 Kilometer südlich von Berlin hat gestern die Zukunft der deutschen Luftverteidigung begonnen. Dort liegt der Fliegerhorst Holzdorf/Schönewalde. Durch seine Startbahnen verläuft die Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Und seit gestern ist Holzdorf der erste europäische Stützpunkt für das Raketenabwehrsystem namens Arrow 3.

Je ein weiteres der insgesamt drei Systeme, die Deutschland gekauft hat, soll in Nord- und Süddeutschland stationiert werden. Im Süden ist der bayerische Fliegerhorst Kaufbeuren ein heißer Kandidat. Dort ist das Technische Ausbildungszentrum der Luftwaffe angesiedelt, unter anderem werden dort Techniker für den Eurofighter ausgebildet. Im Gespräch ist, in Kaufbeuren das Frühwarn- und Feuerleitradarsystem aufzustellen. Das Abschusssystem mit den Raketen könnte woanders landen, möglicherweise auf dem Lechfeld im Kreis Augsburg.

Bund investiert 3,6 Milliarden Euro

Als Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Herbst 2023 den Beschaffungsvertrag unterschrieb, sprach er von einem „ohne Übertreibung historischen Tag für unsere beiden Nationen“. Die andere Nation, das ist Israel, das das Raketensystem gemeinsam mit den USA entwickelt und nun dreifach an uns verkauft hat. Die israelischen Streitkräfte sprechen vom größten Rüstungsgeschäft in der Geschichte Israels. Die Bundeswehr investiert 3,6 Milliarden Euro in das System, das erstmals außerhalb Israels in Position gebracht wird.

Das Arrow-System ist deshalb so bedeutend, weil es die Luftverteidigung am Rande zum Weltall ermöglicht. Mit einer Reichweite von bis zu 2400 Kilometern und Flughöhen sogar über 100 Kilometern verschafft das System der Bundeswehr erstmals die Fähigkeit zur Frühwarnung und Abwehr von Mittel- und Langstreckenraketen. Der „Pfeil“ kann feindliche Flugkörper außerhalb der Atmosphäre durch einen direkten Treffer zerstören. Laut Hersteller ist das System auch darauf ausgelegt, Raketen zu zerstören, die Massenvernichtungswaffen tragen. Schädliche Stoffe wie etwa Kampfstoffe sollen in großer Höhe möglichst gefahrlos zerstäubt werden.

Das rein defensive Arrow-3-System besteht aus einem Gefechtsstand, Radarsensoren, Startgeräten mit je vier Lenkflugkörpern sowie weiteren Peripherie-Geräten. Etwa 200 deutsche Soldaten sind künftig damit beschäftigt, das Waffensystem zu bedienen. Ab dem Jahr 2030 soll es vollständig einsatzbereit sein – als Teil des geplanten europäischen Raketenabwehrschirms „European Sky Shield Initiative“.

Europa braucht ein Luftabwehr-Netz

Die Luftverteidigung ist komplex, eine Allround-Lösung gibt es nicht. Der „European Sky Shield“ soll als europaweiter Verbund Abhilfe schaffen. Deutschland verfügt bisher über den Eurofighter, Patriot-Systeme, im Nahbereich über die Systeme Mantis und Sykranger sowie im mittleren Bereich über das bodengestützte Flugabwehrraketen-System Iris-T-SLM. Mit Arrow 3 ist die Verteidigung nun auch in größeren Höhen, im sogenannten „Upper Layer“, möglich.

Pistorius sieht die Luftverteidigung deutlich gestärkt. „Wir erlangen damit erstmals die Möglichkeit zur Frühwarnung und zum Schutz unserer Bevölkerung und Infrastruktur vor weitreichenden ballistischen Raketen. Mit dieser strategischen Fähigkeit, die im Kreis unserer europäischen Partner einmalig ist, sichern wir unsere zentrale Rolle im Herzen Europas“, sagte er. Deutschland übernehme Verantwortung.

Die Luftwaffe erläuterte gestern auf dem Luftwaffenstützpunkt Holzdorf die sogenannte Erst- oder Anfangsbefähigung des Systems. Dieser Schritt – von der Nato Initial Operational Capability (IOC) genannt – bedeutet nach Militärangaben, dass erste Systemanteile in Betrieb genommen werden: Radar, Startgeräte und geschultes Personal sind verfügbar, um den Schutzbetrieb begrenzt aufzunehmen. 2030 soll der Pfeil voll leistungsfähig sein.

Der Aufbau des in Israel beschafften Systems ist eine Reaktion auf die Bedrohung durch Russland. Der Kriegsverlauf in der Ukraine zeigt, wie verwundbar die Infrastruktur eines Landes heutzutage auch weit von hinter der Front ist – durch relativ preiswerte Drohnen, aber auch durch ballistische Raketen.

Europa hatte die Verteidigung gegen Angriffe aus der Luft nach dem Ende des Kalten Krieges heruntergefahren und dann lange vernachlässigt. In Nato-Planungskreisen hieß es zuletzt, die Verteidigungsfähigkeiten in der Luft müssten wohl um 400 Prozent erhöht werden. Am Projekt „European Sky Shield Initiative“ sind aktuell 23 Staaten beteiligt.

Die Sicherheitspartnerschaft liege im Interesse beider Länder, sagte Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. Er verweist auf Gefahren aus Iran, deutsche Politiker nennen Russland als Bedrohung – wobei beide Staaten militärisch kooperieren. Zuletzt schlugen Drohnen iranischer Bauart in Polen ein. „Es ist durchaus möglich, dass künftig auch ballistische Raketen aus dem Iran auf Europa zielen“, sagte Prosor.

Arrow 3 kam in Israel mehrfach gegen iranische Raketen zum Einsatz. Die „Jerusalem Post“ schrieb, Arrow sei entscheidend gewesen, um im April 2024 die „große Mehrzahl“ der 120 ballistischen Raketen aus dem Iran abzufangen.

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