Hauptsache schrill: Die Schuhe, die Thomas Gottschalk in seinen Shows trug, waren ein Dauerthema. © Ronald Wittek/pa
Skandal um die Buntstift-Wette: „Titanic“-Chefredakteur Bernd Fritz narrte Gottschalk im Jahr 1988. Anstatt die Farbe zu erschmecken, konnte er unten durch die Brille sehen. © pa
„Ätsch – ich darf hier vorne sitzen“: Thommy plaudert 1986 mit Superstar Tina Turner in „Na sowas!“, dem Vorläufer von „Wetten, dass..?“. © Screenshot: YouTube
Hoher Besuch 1996: Russlands Ex-Präsident Michail Gorbatschow und Gattin Raissa. © im
Da wird ihm heiß: Popstar Madonna legt 2005 ein Bein auf Thommys Schulter. © imago
Wette verloren: Thomas Gottschalk wird bei „Wetten dass.. ?“ 2008 in Nürnberg in ein Senffass getaucht. © P. Alliance
Auch das gab es: Thommy und Topmodel Heidi Klum geben sich einen Kuss. © pa
Dicke Luft: „Winnetou“ Pierre Brice 2001 mit Bully Herbig bei „Wetten, dass..?“. © pa
Die Boxbrüder Wladimir (Mitte) und Vitali Klitschko mussten nach einer verlorenen Wette ein russisches Lied singen. © pa
„Ich kann Ihnen sagen, er ist da!“: Der Auftritt von Popstar Michael Jackson im Jahr 1995 war eine Sternstunde. © imago
Mission Impossible: Hollywood-Star Tom Cruise fährt mit dem Motorrad über die Bühne, Thommy hat nur ein Dreirad. © pa
Anfang einer Erfolgsgeschichte: Am 26. September 1987 moderiert Gottschalk erstmalig als Nachfolger von Frank Elstner die beliebte ZDF-Samstagabend-Show aus Hof in Bayern. © pa
München – Was ihn antreibt, gibt Thomas Gottschalk schon 1986 preis. „Ätsch – ich darf hier vorne sitzen. Ihr müsst da bleiben“, neckt er sein Publikum, als Tina Turner auf seiner Couch sitzt und die langen Beine übereinanderschlägt. Die Sendung heißt noch nicht „Wetten, dass..?, sondern „Na sowas!“, und es schauen auch noch keine 20 Millionen an den Fernsehern zu. Aber seine Motivation ist schon deutlich: Er darf mit den Stars plaudern, wir anderen müssen – und dürfen – zuschauen.
Und das taten wir gerne, damals, als die drei Programme im deutschen Fernsehen noch das „Lagerfeuer der Nation“ waren. Wir taten es auch deshalb gerne, weil Thommy einer von uns zu sein schien, unser Ritter ohne Furcht und Scham in der Showbiz-Arena. Was Ottfried Fischer zuletzt über ihn sagte, stimmt ja: Gottschalk hat sich im Prinzip nie auf eine Sendung vorbereitet. „Er ist reingesprungen und war da.“ Da erging es ihm wie uns: Wenn die Eurovisions-Hymne erklang, öffnete sich für die Schweiz, Österreich und die Bundesrepublik das Tor zur Welt der Reichen und Schönen – und Gottschalk trat für uns ins Scheinwerferlicht, unvorbereitet wie wir. Dafür aber mit einem fast schon heroischen Selbstbewusstsein. Er quasselte mit Leonardo DiCaprio, José Carreras und Madonna auf Augenhöhe.
Jetzt geht diese Ära unwiderruflich zu Ende. Zwar hat Gottschalk schon Erfahrung im Zurücktreten. Zweimal verabschiedete er sich im ZDF von „Wetten, dass..?“ und kehrte 2021 für drei Ausgaben zurück, bis nach 154 Ausgaben endgültig Schluss war. Doch an diesem Nikolaustag will der 75-Jährige nun wirklich Abschied nehmen von der Samstagabendunterhaltung. Ein letztes Mal wird die TV-Legende mit Günther Jauch und Barbara Schöneberger in der RTL-Show „Denn sie wissen nicht, was passiert“ (20.15 Uhr) zu sehen sein.
So könnte auch Gottschalks eigenes Motto lauten, so viel hat sich für ihn verändert. Nicht nur gesundheitlich. Von 1987 an gelang es ihm mit „Wetten, dass..?“, die ganze Familie vor dem Fernseher zu versammeln, an einem Samstagabend den Gesprächsstoff mindestens für die nächsten drei Tage in Arbeit, Schule oder Kneipe zu liefern. Er war der Lausbub am Lagerfeuer, der ab und zu Knallfrösche in die Flammen warf und das Würstl auch dann nicht herauszog, wenn es bedenklich zu kokeln begann. Die Kinder liebten seine Respektlosigkeit, die Mütter besprachen augenrollend den Rock-‘n‘-Roll-Barock, den seine damalige Frau Thea ihm wieder auf den Leib geschneidert hatte – Schlangenlederschuhe mit Gamaschen, Brokat-Kniebundhosen und darüber ein Micky-Maus-T-Shirt unterm Gold-Frack. Und die Opas feixten, wenn er dem Papa des jungen Models Heidi Klum aus Bergisch-Gladbach im Publikum zurief: „Darf ich sie mitnehmen?“ Sie sei zwar in festen Händen, aber er selbst ja auch. „Da kann man sich irgendwie absprechen.“
Früher konnte Gottschalk sich sicher sein, dass über jede noch so große Frechheit nach ein paar Tagen Gras gewachsen war. Die Stars kamen ja freiwillig, um ihre neuste Platte, ihren neusten Film einem Millionenpublikum schmackhaft zu machen. Noch heute kann sich ein großer Teil der Deutschen an den nicht enden wollenden Applaus für Michael Jackson erinnern. Daran, wie „Winnetou“ Pierre Brice wegen Bully Herbigs Persiflage „Der Schuh des Manitu“ aus der Haut fuhr. Oder an Céline Dion, die als Wetteinsatz ihren Hit „My Heart will go on“ gurgeln musste. Die Stars staunten über Wetten wie Klo-Pümpel-Zielwurf. Und sie kamen gern. Tina Turner etwa schien mit den Jahren richtiggehend Muttergefühle für den Lausbub zu entwickeln.
Heute gibt es auf TikTok & Co. unbarmherzige Zusammenschnitte seiner Schnitzer, den Tätscheleien, den Verhasplern. Was es nicht mehr gibt, ist ein konsensfähiges Unterhaltungsformat für die ganze Nation, dafür viele auf immer isoliertere Zielgruppen zugeschnittene Angebote. Daneben läuft auf Dauerbetrieb die Erregungsmaschine in den Sozialen Medien. Das Lagerfeuer ist erloschen.
So geraten auch Gottschalks Verdienste ungerechterweise aus dem Blickfeld. Er stellte eine Nähe her, die heute kaum mehr nachzuvollziehen ist – auch und gerade mit seinen Frechheiten. Als im Dezember 1996 die Gorbatschows zu Besuch sind, lautet die Wette, dass Astronauten auf der Raumstation „Mir“ in der Schwerelosigkeit nur zwei Minuten brauchen, um einen Christbaum zu schmücken. Die Verbindung ins All klappt nicht. Der Gesprächsstoff geht langsam aus, es ist wie bei einem Verwandtenbesuch. Also fragt Gottschalk Raissa Gorbatschowa und die damalige deutsche First Lady Christiane Herzog: „Sind Sie denn beide vorwiegend politisch tätig oder auch als Hausfrauen? Also: Gehen Sie auch mal mit dem Staubwedel durch den Kreml oder putzen Sie Schloss Bellevue durch?“
Das konnte man damals schon nicht sagen, und heute würde man dafür in den Sozialen Medien gegrillt. Gottschalk kam damit durch, weil er instinktiv seinen Auftrag erkannte: Generationen zu verbinden. Die Deutschen am TV interessierte im Zweifel weniger, wie das 1990 war mit den Zwei-plus-Vier-Verträgen, als der Alltag einer Staatsmanns-Gattin.
Es war eine andere Welt. Jetzt hört der Talkmaster der Nation auf. Auch, aber nicht nur wegen seiner Krebserkrankung. Der frühere König des Samstagabends wirkte schon seit Jahren immer weniger im Einklang mit dem Zeitgeist. „Ich war früher trittsicherer. Niemand ist glücklich darüber, wenn er spürt, dass ihm die Dinge entgleiten“, sagte Gottschalk vor einem Jahr im Interview mit dem „Spiegel“. „Das ist etwas, das man mit dem Alter feststellt: Man erledigt sich. Doch darüber darf man nicht klagen.“ Die Anteilnahme, die er in den vergangenen Tagen erfahren hat, dürfte ihm guttun.
Der gläubige Moderator sagte auch: „Spätestens wenn einer zum Papst gewählt wird, der später geboren ist als ich, gehe ich verbindlich in Rente.“ Nun ist es so weit – Thomas Gottschalk ist fünf Jahre älter als Leo XIV. Zeit zu gehen und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Behüt Dich Gott, alter Lausbub.