„Als jüdische Menschen sind wir mitgemeint“

von Redaktion

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern diskutiert die Frage „Müssen wir unsere Koffer wieder packen?“

Gemeinderabbiner Brodman entzündete das erste Licht der Chanukkia.

Deutschland verlassen – oder bleiben? Darüber diskutierten am Sonntag (v. li.) Philipp Peyman Engel, Doron Rabinovici und Laura Cazés. © Astrid Schmidhuber (2)

München – Natürlich war dieses Wochenende in der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) seit Langem geplant, lange vor dem antisemitischen Terrorangriff auf eine Chanukka-Feier am Bondi Beach in Sydney. Doch das Massaker von Australien machte – einmal mehr – mit aller Brutalität deutlich, wie drängend all die Themen sind, die da in der jüdischen Gemeinschaft debattiert wurden. Am Sonntag ging es im voll besetzten Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums vor allem um diese beiden Fragen „Bedroht von allen Seiten?“ und – ganz konkret – „Müssen wir unsere Koffer wieder packen?“

Die Morde von Sydney mit mindestens 16 Toten und mehr als 40 verletzten Menschen waren am Münchner St.-Jakobs-Platz bei allen sehr präsent. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch brachte es auf den Punkt: „Wir diskutieren frei – hinter dicken Mauern und Panzerglas. Das ist der Splitscreen jüdischen Lebens.“ Mit Blick auf die Attacke sprach die Überlebende der Shoah aus, was allen im Saal klar ist. „Als jüdische Menschen sind wir mitgemeint. Egal, wo wir leben.“

Diese Tatsache zeigt zugleich das Dilemma, in dem sich Jüdinnen und Juden befinden: Wo lässt es sich sicher leben? Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland machte auf weitere Probleme aufmerksam: „Wer kann es sich überhaupt leisten, die Frage zu stellen, ob es woanders besser ist?“ Viele Mitglieder der Gemeinden in Deutschland seien alt und finanziell nicht in der Lage auszuwandern. Außerdem, sagte die 35-jährige Münchnerin, erlebten viele junge Juden den Hass online – das Internet löst also Antisemitismus von einem spezifischen Tatort.

Für Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“, ist die Antwort auf „Gehen oder Bleiben?“ von der Tagesform abhängig, wie er im Gespräch mit dem so empathisch wie pointiert formulierenden Moderator Awi Blumenfeld einräumte. „Wir sind jüdische Deutsche. Deutsche – wie alle anderen auch. Wenn jemand ein Problem mit uns hat – warum sollen wir die Koffer packen? Dann sollen die anderen die Koffer packen!“ Deutschland sei seine Heimat, so der 42-Jährige, „aber ich merke, dass ich mich immer mehr entfremde“. Seine Kinder, die Familie – sie leben heute in der Schweiz und nicht in der „Horror-Stadt Berlin“, wo seine Redaktion sitzt. Der Journalist berichtete zudem von einem Gemeindevorsitzenden in Ostdeutschland, der seine Mitglieder aufs Auswandern vorbereitet, sollte die AfD im Herbst 2026 die Landtagswahlen gewinnen.

Der Wiener Autor und Historiker Doron Rabinovici vertrat die kämpferischste Position: „Wir werden Mut brauchen“, sagte der 64-Jährige. „Viele Arschlöcher wollen uns die Lichter ausblasen. Wir müssen das Licht entzünden.“ Das übernahm im Wortsinn Rabbiner Shmuel Aharon Brodman und entfachte die erste Kerze der Chanukkia. Die zweite folgte gestern Abend auf dem Platz vor der Synagoge. „Chanukka sameach!“MICHAEL SCHLEICHER

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