Viele Kunden senden Abdrücke ihrer Tiere – nach diesen Maßen werden die Prothesen dann passgenau gefertigt.
Der Tüftler: Dominik Hogen ist hauptsächlich für die Technik verantwortlich und verbringt viel Zeit in der Werkstatt.
Frontrolli: In dieser Größe kostet er 1300 Euro. © PAWSTHESIS (2)
In Reha: Dieser Hund bekam eine Orthese.
Simon Schuß (li.) und Dominik Hogen haben Pawsthesis gegründet. Im Hintergrund ihre 3D-Drucker. © Achim Schmidt (3)
Es läuft wieder: Gulliver (im kleinen Bild mit Besitzerin Renate Betz) kann dank Vollprothese wieder flitzen. © Pawsthesis
Friedberg – Mit acht Monaten läuft Podenco-Mischling Gulliver in Spanien in den Wald – und kommt schwer verletzt wieder heraus. Seine Pfote ist zerquetscht, die Knochen liegen blank. Womöglich ist er in eine Falle getappt. Sein damaliger Besitzer wickelt einen Verband darum – und gibt den Welpen im Tierheim ab. Gullivers rechtes Vorderbein ist nicht mehr zu retten, es wird samt Schultergelenk amputiert.
So erzählt es Renate Betz. Bei ihr hat „Gulli“ nach seiner Amputation ein neues, liebevolles Zuhause gefunden. Die 49-Jährige engagiert sich schon lange im Auslandstierschutz, sie nimmt oft Pflegehunde auf. So auch Gulliver. „Schnell war klar, dass wir ihn nicht mehr hergeben können“, sagt sie. Der Mischling blieb und lebt nun zusammen mit fünf Rudelgenossen bei Betz und ihrer Familie in der Nähe von Ingolstadt.
Nach Gullivers Ankunft in Deutschland recherchiert Betz zu Prothesen für Hunde. Ihr Schützling hat sich zwar gut arrangiert und kommt auf drei Beinen zurecht – Betz will aber verhindern, dass der junge Hund langfristige Schäden durch eine falsche Körperhaltung und Belastung davonträgt. Im Internet stößt sie auf ein kleines Start-up bei Augsburg – Pawsthesis, gegründet von Simon Schuß und Dominik Hogen, beide erst 27 Jahre alt.
Die beiden kennen sich seit ihrer Schulzeit und haben zusammen in Augsburg Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Eine Projektarbeit an der Uni veränderte alles: „Eigentlich hätten wir das Seminar gar nicht belegen müssen, wir hatten alle nötigen Punkte“, erzählt Hogen. Er habe seinen Kumpel Simon zunächst überreden müssen, bei dem 3D-Druck-Seminar mitzumachen. Dann sind beide Feuer und Flamme: Sie haben einen 3D-Drucker zur Verfügung und die Aufgabe, ein Geschäftsmodell damit zu entwickeln. „Wir wollten unbedingt etwas Sinnvolles machen“, sagt Schuß. Als sie in der Stadt einen dreibeinigen Hund sehen, ist ihnen klar, was. Ihre Professoren unterstützen die Studenten bei ihrem Prothesen-Projekt, sie bekommen ein Stipendium und gründen im Sommer 2021 das Unternehmen Pawsthesis.
Renate Betz und Gulliver sind ihre ersten Kunden. Im September 2021 statten Schuß und Hogen den quirligen Hund mit seiner ersten Prothese aus – seitdem probiert „Gulli“ die neuen Produkte und Weiterentwicklungen der jungen Unternehmer aus. „Er testet alles auf Herz und Nieren“, sagt Betz. Gulliver schont sein künstliches Bein nicht, er rennt, springt und spielt damit. Betz meldet an die Ingenieure zurück, was passt und was nicht. Trotz seiner traumatischen Vergangenheit ist Gulliver „ein kleiner Sonnenschein“ und sehr neugierig, beschreibt seine Besitzerin. An die Prothese hat er sich deshalb relativ schnell gewöhnt. Er trägt sie zu Spaziergängen, im Haus braucht er sie nicht.
■ 780 Hunden geholfen
Schuß und Hogen ist Gullivers Besitzerin sehr dankbar. „Die beiden sind sehr kundenorientiert und verändern alles, bis es wirklich passt. Sie sind das Beste, was uns passieren konnte“. Die 27-jährigen Ingenieure haben bisher rund 780 Hunde mit Hilfsmitteln ausgestattet – neben Vollprothesen stellen sie auch Teilprothesen, Orthesen und Frontrollwägen aus Kunststoff her. Bis auf die Schrauben und Textilien wie Klettverschlüsse kommen alle Teile aus ihren 3D-Druckern. Davon haben sie mittlerweile sechs Stück, die rund um die Uhr laufen.
Pawsthesis stattet aber nicht nur Hunde mit neuen Gliedmaßen aus. Auch eine Kuh, ein Pferd, Alpakas, Schafe und Ziegen gehörten schon zu ihren Klienten. Einmal kam sogar eine Kundin mit einer Pute zu ihnen, erzählt Hogen. Die Frau reiste mit dem Zug an und schob die Pute im Kinderwagen – das Tier bekam eine Orthese. So wie die meisten großen Tiere, bei ihnen sind Prothesen selten und wegen des Gewichts schwierig. Eine Vollprothese gibt es bei Pawsthesis ab 1600 Euro, eine Orthese ab 700 Euro. Die Kunden können zwischen verschiedenen Farben wählen, versendet wird weltweit. „Das Interesse und die Nachfrage an unseren Produkten sind riesig“, sagt Schuß. Ihr Unternehmen betreiben die Friedberger deswegen mittlerweile in Vollzeit – ihre Werkstatt verteilt sich auf mehrere Zimmer im Keller von Schuß‘ Haus. Einen Mitarbeiter haben sie schon eingestellt – und sind auf der Suche nach weiteren.
Dass sie sich mit einem Unternehmen für Tierprothesen mit Mitte zwanzig selbstständig machen, haben Simon Schuß und Dominik Hogen so nie geplant. Es hat sich gefügt. „Wir waren schon immer sehr tierverbunden“, sagt Schuß. Er hat selbst einen Hund, Hogen eine Katze. Beide sind zudem Imker. Dass sie Tieren zu neuer Lebensqualität verhelfen und davon leben können, ist ein Traum für die beiden. Genau wie für ihre Klienten, die wieder mobil sein können.