INTERVIEW

„Zum Optimismus gibt es keine Alternative“

von Redaktion

TV-Star und Autor Dirk Steffens erklärt, wie wir mit mehr Zuversicht unsere Erde retten können

Was wir essen und kaufen, beeinflusst die Ökosysteme, sagt Dirk Steffens vor einer Darstellung im Deutschen Museum.

Landwirtschaft ist der größte Hebel beim Umweltschutz, sagt Dirk Steffens. Und wir sind als Konsumenten mittendrin.

Unsere Erde, eine runde Schönheit: Dirk Steffens bereiste die meisten Länder der Welt. In Pessimismus zu verfallen, sagt er, bringt nichts. Und: „Die Menschheit hat mehr Lösungen als Probleme.“ © Alle Fotos: Michaela Stache

München – Gefühlt schwebt inzwischen über allem das Wort Krise. Der Klimawandel scheint unaufhaltsam, Arten sterben, Mikroplastik vermüllt nicht nur die Meere, sondern auch unser Gehirn; Kriege überall, Wirtschaft und Industrie lahmen. In dieser Frustlage kommt der TV-Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens mit seinem Buch „Hoffnungslos optimistisch“ daher und behauptet: „Die Menschheit hat mehr Lösungen als Probleme.“

Wir treffen den bekannten Autor und TV-Moderator zum Interview im Deutschen Museum, wo die Welt des Menschen besonders anschaulich ist. Dirk Steffens (58, GEO) kommt mit Papiermüll in der Hand zur Verabredung. „Hab‘ ich grad aufgesammelt. Mach‘ ich jeden Tag.“ Warum? „Wenn das die acht Milliarden Menschen machen würden, dann würde sich die Welt verändern“, antwortet er. „Millionen kleiner Handlungen können ganze Systeme kippen. Märkte verändern sich, wenn Konsumenten es wollen. Politik verändert sich, wenn Wähler es wollen.“ Und schon sind wir mitten im Gespräch …

… Sie fangen mit Papiermüll auf der Straße an?

Meine Frau hat damit angefangen. Wir heben jeden Tag irgendwo ein Stück auf. Natürlich rette ich damit nicht die Welt, doch mein Gefühl verändert sich. Ich drehe auch eine Energiesparlampe ein, obwohl in China alle zwei Wochen ein Kohlekraftwerk ans Netz geht. Das hört sich erst mal völlig absurd an, aber wenn man kleine Dinge tut, verliert man das Gefühl der Machtlosigkeit und man ermächtigt sich selbst, die Zukunft zu gestalten.

Sie fahren auch konsequent Bahn. Ein Schmerz, der sich durch Ihr Buch zieht …

Ich verdanke der Bahn, dass das Buch rechtzeitig fertig geworden ist. Ohne die vielen Verspätungen hätte ich nicht genug Schreibzeit gehabt.

Sie sind also doch ein hoffnungsloser Optimist …

Ja! Auch was die Möglichkeiten angeht, die wir haben, um unsere Erde zu retten. Landwirtschaft ist der größte Hebel im Natur- und Umweltschutz. Also nicht jeden Tag Fleisch essen, sondern eher den Sonntagsbraten; und wenn man nicht auf jeden Cent gucken muss, nicht das billigste Fleisch aus der Massentierhaltung kaufen. Den großen Unterschied macht, weniger Lebensmittel wegzuschmeißen. Es kostet nichts, ist kein Verzicht und spart Geld, wenn Sie mit einem guten Einkaufszettel losgehen, den Kühlschrank umsortieren und vernünftige Vorratshaltung betreiben. Die Deutschen werfen elf Millionen Tonnen pro Jahr weg.

Ihr Tipp?

Vergessen Sie das Mindesthaltbarkeitsdatum! Es sagt nicht aus, dass man das Lebensmittel nicht mehr essen kann. Also: Selbst riechen, schmecken, fühlen, so wie das 10 000 Generationen vor uns gemacht haben und nicht gestorben sind.

Sie sagen, jeder Einkauf ist eine Art Volksabstimmung über die Welt?

Wenn Sie morgens am Frühstückstisch sitzen, nehmen Sie locker auf zehn verschiedene Ökosysteme der Welt Einfluss. Der Kaffee kommt vielleicht aus Kolumbien, der Sesam auf der Semmel aus Indien, die Schnittblumen aus Äthiopien, das Pflanzenfett in ihrer Schokocreme aus Indonesien und so weiter. Sie stimmen mit Ihrem Konsum über Kettenreaktionen und die globale Zukunft ab. Entscheiden muss jeder selbst.

Mit dem eigenen Standpunkt sollte man auch vorsichtig sein. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit Trugbildern, die Gefühle und Psyche produzieren.

Es klingt verrückt, aber wir dürfen uns selbst nicht trauen! Der Grund ist unsere Evolution. Wir sind Tiere, die in einer zivilisierten Welt leben: 10 000 Generationen als Jäger und Sammler und eine Generation am Computer. Unsere Instinkte passen nicht zu unserem Leben. Was wir fühlen und instinktiv tun, das war gut, um dem Säbelzahntiger zu entkommen, aber das hilft nicht im Schienenersatzverkehr. Unsere Technik hat sich schneller entwickelt als unsere Kultur und unser Intellekt – wir sind überfordert. Heißt: Wir haben mehr geschaffen als wir händeln können.

Das ist auch der Grund, weshalb so viele Leute Fake News auf den Leim gehen?

Da gibt‘s zwei Gründe: Der eine ist ein Übermaß an Informationen. Heute kann jeder picklige Teenager mit dem Smartphone in jeder Sekunde seines Daseins das gesamte Wissen der Welt abrufen. Kein Kaiser, kein Papst, niemand in der Geschichte der Menschheit konnte das zuvor. Doch wozu führt das? Verhalten wir uns seither klüger, reflektierter, vorsichtiger? Nein. Das sind zu viele Informationen. Wir können die nicht mehr sortieren. Diese Datenflut führt dazu, dass wir nicht mehr unterscheiden können, was wirklich wichtig und wahr ist. Und oben drauf setzt sich dann noch absichtliche Manipulation durch Populisten oder Autokraten.

Was tun?

Ganz am Ende, und das ist für einen Wissenschaftsjournalisten wie mich eine verwirrende Erkenntnis, kommt es auf Ihr Herz an! Sind Sie ein anständiger Mensch? Und wenn Sie das sind und Ihren Gefühlen vertrauen, dann erklären sich viele Dinge von allein: dass man beispielsweise seine eigenen Lebensgrundlagen nicht zerstört. Dafür muss man nicht Biologie studiert haben, wenn ich im Supermarkt stehe, und da liegt ein Stück Fleisch für 99 Cent, und daneben eins, das hat vielleicht ein Biosiegel und kostet 3,99. Auf dieses gesunde mitmenschliche Gefühl sollten wir öfter vertrauen.

Was hält die Welt im Innersten zusammen?

Der Glaube. Der Glaube, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart. Davon wird Demokratie getragen. Denn wenn Sie nicht hoffen würden, nicht optimistisch wären, dann müssten Sie nicht zur Wahl gehen, weil Sie eh nichts verbessern können; dann müssten Sie auch nicht demonstrieren, Sie müssten sich nicht im Fußballverein engagieren, Sie müssten gar nichts machen, wenn alles egal ist.

Gibt es denn noch Handlungsspielraum, wenn wir an Klimawandel und Artensterben denken?

Es ist möglich, dass wir unsere Zivilisation durch Klimawandel, Artensterben und vielleicht auch einen Atomkrieg zerstören. Aber immer noch haben wir mehr Lösungen als Probleme. Das wird nicht ewig so bleiben. Doch gibt es zum Optimismus keine Alternative. Denn wenn Sie Pessimist sind, interessieren Sie sich nicht für die Befindlichkeit der Welt und reden den anderen das Leben madig. Das ist unproduktiv und undemokratisch. Wir sind immer noch die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt und haben vergangenes Jahr 63 Prozent Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Das ist unglaublich! Wir haben viel mehr erreicht, als viele für möglich gehalten haben. Ich würde mir wünschen, dass uns diese Erfolge mehr motivieren.

Haben Sie heute Ihr Bett gemacht? Wie US-General McRaven, den Sie zitieren, dass man fast alles erreichen kann, wenn man einfach mal anfängt, egal womit. Am besten mit einer kleinen Aufgabe, weil das den Erfolg garantiert.

Ja, selbstverständlich! Und noch viel mehr. Ich habe Frühstück für die Jungs gemacht und die Schulbrotdosen gefüllt.

Also hat Ihr Tag gut angefangen …

Optimismus heißt ja nicht, naiv zu sein und Probleme zu ignorieren, die Nachrichten sind bedrohlich. Doch je schlimmer eine Krise ist, desto wichtiger ist die optimistische Grundhaltung für Handlungsimpulse und Motivation, weil man sie sonst nicht überwinden kann.

Was ist für Sie der Sinn des Lebens? Sie sind nicht gläubig.

Auch die Wissenschaft bietet eine Art religiöse Erfahrung: Kein Atom geht jemals verloren, es bleibt im System. Wenn mein Körper zerfällt und wieder zu Erde wird, dann wächst Gras, das fressen Tiere, und ich bin mit jedem Atom meines Körpers in diesem ewigen Kreislauf des Lebens. Mein persönlicher Sinn des Lebens ist, ein glückliches Leben zu führen.

Was ist Ihre größte Angst?

Morgens aufzuwachen und die Welt nur noch als Bedrohung zu empfinden.

Zum Buch

Dirk Steffens: „Hoffnungslos optimistisch“, 144 Seiten, Hardcover, 20 Euro, Penguin Verlag.

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