Prien – Ludwig Thoma, vor 150 Jahren geboren, ist bis heute den meisten als Autor der Lausbubengeschichten, der Filser-Briefe und der Heiligen Nacht bekannt. Er hat aber auch ganz anders geartete Schriften verfasst: Artikel mit antisemitischem Inhalt, die anonym im Miesbacher Anzeiger zu Beginn der 1920er Jahre erschienen.
Günther Madsack, ehemaliger Direktor des Ludwig-Thoma-Gymnasiums (LTG), beleuchtete – auf Einladung des Fördervereins des LTG – in einem Vortrag die unterschiedlichen Facetten des Schriftstellers.
„Ein schwieriger Charakter, eine komplexe Persönlichkeit“, charakterisierte Madsack eingangs den Heimatschriftsteller, der einige Jahre in seiner Kindheit die Ferien in Prien verbrachte, wo seine Mutter im vorderen Teil des heutigen LTG, dem Ludwig-Thoma-Haus an der Seestraße, neben dem auch eine Büste Thomas steht, ein Hotel und eine Gastwirtschaft betrieb.
Madsack gliederte den Vortrag in drei Abschnitte: von Thomas Kindheits- und Jugendjahren bis zum Ergreifen des Anwaltsberufs, dann die glücklichen Jahre der literarischen Erfolge und schließlich die Zeit vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis zu seinem Tod 1921.
Madsack ging sehr differenziert und ausführlich auf die einzelnen Lebensabschnitte ein. Thoma als „underdog“, „Versagensängste“ – Begriffe, die auf Thoma in dessen frühen Jahren durchaus zuträfen: mehrfacher Schulwechsel, zweimal durchgefallen, Abitur „nur mit viel Gütigkeit“, und auch, wenn er das Jura-Studium abschloss, zum Doktortitel reichte es nicht.
Doch dann der Wandel zum erfolgreichen Schriftsteller in der Prinzregentenzeit. Schon gleich zu Beginn seiner Karriere als Rechtsanwalt in Dachau veröffentlicht Thoma erste Artikel und lässt schnell die Rechtswissenschaft sein. In rascher Folge erscheinen „Agricola“, die „Filser-Briefe“, „Tante Frieda“, „Erster Klasse“, „Der Münchner im Himmel“, um nur einige zu nennen. Werke, in denen Thomas antiklerikale Haltung sowie seine Kritik an der Zentrumspartei deutlich geworden sei und in denen er sich gegen den preußischen Militarismus und die Prüderie gewandt habe.
Im „Simplicissimus“ erscheinen 832 Artikel von Thoma, im „März“ 215 Beiträge, er verkehrt mit namhaften Schriftstellern, Künstlern und Mäzenen, spielt Tennis, reist quer durch Deutschland, nach Frankreich, Italien und kommt einmal sogar bis nach Algier – kurzum: Thoma ist Weltreisender, gibt sich selbstbewusst, aufgeschlossen und weltoffen. Da passe es auch, dass er Marietta di Rigado, eine auf den Philippinen geborene Tänzerin, gegen den Rat der Freunde heiratet.
Aber dann komme es 1914 zum Bruch in Thomas Vita, so der Referent. Der Erste Weltkrieg bricht aus, und damit verändere sich zusehends Thomas Persönlichkeit. Er selbst spreche vom „leeren Raum“, von „Erschrecken“ und von der „Vernichtung von Ordnung“, wie Madsack zusammenfasste.
Für den Miesbacher Anzeiger seien nachweislich 167 Beiträge im Zeitraum von Juli 1920 bis zu seinem Tod im August 1921 erschienen, in denen er sich gegen Reichspräsident Ebert und gegen die Sozialdemokratie ausgesprochen habe und in denen sein politischer Antisemitismus deutlich geworden sei.
In dieser Zeit verliebte er sich in Maria von Liebermann, genannt Maidi, aus der jüdischen Sekt-Dynastie Feist-Belmont, der er schreibt: „Ich bin wirklich kein Antisemit.“ Zudem habe er viele jüdische Freunde. Und im Testament vermacht er den größten Teil seines beträchtlichen Vermögens sowie seine Honorare und Tantiemen Maidi Liebermann. Auch seine geschiedene Frau Marion, seine Schwestern Katharina Hübner und Bertha Zurwesten sowie sein Bruder Peter Thoma seien großzügig bedacht worden.
Madsack wollte es deshalb mit der Schriftstellerin Margaret Atwood halten: „Jedes Land hat, wie jeder Mensch, ein nobles Ich – das Ich, für das es sich gern halten würde… und dann hat es ein verborgenes, viel weniger tugendhaftes Ich, das in Augenblicken der Bedrohung und Wut hervorbrechen und unsägliche Dinge tun kann.“ Dies trifft wohl punktgenau den schwierigen Charakter Thomas.